Der Streit um faire Milchpreise – fair für die Milchkühe und die Milchproduzenten – hat in der Schweiz Tradition: Kein landwirtschaftliches Thema, in das so viel Herzblut, aber auch Schweiss und Tränen geflossen sind.
Streit um faire Preise in der Landwirtschaft ist natürlich kein singuläres Phänomen des Milchsektors. Auch in der Fleischbranche und Obstbranche wird gestritten, verhandelt und gefeilscht, was an sich nichts Problematisches ist.
Im Schweizer Milchmarkt jedoch wird der Streit von einer permanenten Unterlegenheit und Verzweiflung der Milchbauern geprägt, was nicht zuletzt mit den Branchenorganisationen BO Milch, BO Butter und BO Milchpulver zu tun hat.
Was im Fleischsektor gut funktioniert, scheint im Milchsektor komplett zu versagen: Die Interessenvertretung der Bauern gegenüber der verarbeitenden Industrie. Und das schon lange. Schauen wir zurück auf den ersten «Milchkrieg» 1913.
«Milchkrieg» zwischen dem Milchverband Zug und der Nestlé & Anglo Swiss
Als die Milchfabriken im Flachland vor 110 Jahren sämtliche Milch aus der Umgebung an sich zogen und sich dadurch eine Monopolstellung erarbeitet hatten, nutzten die Abhängigkeit der Bauern für ihre Preisgestaltung voll aus.
In Cham ZG führte dies zwischen der Nestlé & Anglo-Swiss einerseits und den Bauern andererseits zum «Milchkrieg». Der Grund: Die Milchfabriken hatten keine kostendeckenden Preise gezahlt, jedoch hohe Gewinne abgeschöpft.
Um 1900 hatten sich die Bauern erstmals in genossenschaftlichen Milchverbänden organisiert, um ihre Position zu stärken. Nach einer längeren Phase des konjunkturellen Aufschwungs brach der Milchpreis jedoch plötzlich ein und die Milchsiederei in Cham von Nestlé & Anglo-Swiss reduzierte den Preis von 21 auf 17,5 Rappen pro Kilogramm.
Da der damalige Marktpreis bei 16,1 Rappen lag, erachtete die Nestlé & Anglo Swiss ihr Angebot von 17,5 Rappen als grosszügig und fasste die Forderung der Bauern nach 19,5 Rappen als Aggression auf, der sie sich keinesfalls beugen wollten.
Der erste «Milchkrieg» endete für die Milchproduzenten in einer Niederlage
Am 1. Mai 1913 kam es zwischen dem Milchverband Zug und der Nestlé & Anglo Swiss zum offenen Streit: «Kein Liter Milch mehr nach Cham!», lautete die Devise der Bauern.
Mit der Einstellung sämtlicher Milchmengen sollte die Milchsiederei in die Knie gezwungen werden. Dieser gelang es jedoch schnell, Milch von Bauern zu kaufen, die nicht in einem Verband organisiert waren.
Schon nach wenigen Wochen lieferten die ersten Zuger Genossenschaften trotz Verbot wieder Milch nach Cham und der erste «Milchkrieg» endete für die Milchproduzenten in einer Niederlage. Weitere «Milchkriege» folgten.
«Milchkriege» in der Schweiz von 1908 bis 1998
1908 Einkaufsboykott der Käser in der Ostschweiz
1911 Gründung der Emmental AG
1912/1913 Milchkriege
1930/1931 Bieler Milchkrieg
1945–1947 Milchkriege in der Romandie
1960–1965 Pastmilchkrieg der Migros, beginnend mit dem «Basler Milchkrieg»
1967 Butterboykott der Konsumentinnen in der Romandie
1980er Jahre Schwarzkäserei (illegale Milchverwertung)
1998 Konflikte nach der Marktordnung der Milchbranche
Seit 110 Jahren hat sich wenig geändert im Milchmarkt Schweiz
Erstaunlich, wie wenig sich seit 1912 geändert hat. Noch immer kämpfen Bauern um kostendeckende Milchpreise und noch immer ist die verarbeitende Industrie in der Lage, trotz vorhandener Milch weitere Milch für den Veredelungsverkehr zu importieren, diese zu verarbeiten und anschliessend wieder zurück zu importiert – und damit den Preis zu drücken.
Fast 100 Jahre später, genauer 2009, wurde die Milchquote abgeschafft. Daraufhin bauten die Landwirte grosse Ställe und vergrösserten ihre Kuhbestände.
Die Milchverarbeiter reagierten darauf, indem sie die überschüssige und entsprechend billige Milch abnahmen und über Ramsch-Käse auf den (meist ausländischen) Markt brachten. Da man dafür noch die Verkäsungszulage erhielt, wurden für diesen Billig-Käse grosse Käsereien gebaut und damit die bestehenden Sortenkäse unter Druck gesetzt.
Der Nationalrat wollte Milchimporte im Veredelungsverkehr für die Käseproduktion verbieten
Um künftig zu verhindern, dass die Milchbauern mit Dumpingpreisen unter Druck gesetzt werden, stimmte der Nationalrat kürzlich der Motion «Stopp dem Milchchaos» von Werner Salzmann (SVP/BE) zu, die Milchimporte im Veredelungsverkehr für die Käseproduktion verbieten will.
Der Bundesrat lehnte die Motion aber ab und begründete dies unter anderem damit, dass bei den Importgesuchen von den direkt betroffenen Verbänden keinerlei Einwand erhoben wurde.
Da frage ich mich schon, wo die Branchenorganisation BO Milch blieb, deren Legitimation eigentlich in der Existenzsicherung und Vertretung der Milchbauern besteht?
Die Antwort liegt in der Zusammensetzung des Vorstandes der Milch" target="_blank">BO Milch: Alle grossen Verarbeiter sitzen mit drin und scheinen ihre Interessen mit Erfolg zu vertreten.
Dabei sind nicht nur die Bauern von der Milch verarbeitenden Industrie abhängig, sondern auch umgekehrt. Dieses Ab-hängigkeitverhältnis der verarbeitenden Industrie von den Bauern müssten die Milchproduzenten in Verhandlungen viel stärker in die Waagschale werfen.
Aber wie die Geschichte zeigt, greift dies nur, wenn unter einem bestimmten Preis konsequent nicht geliefert wird – und wenn wir politisch keine Milchimporte ohne kostendeckenden Preis im Inland bewilligen.