Wenn es etwas vermeintlich Neues gibt in der Landwirtschaft, feiern wir das auf unsere eigene Art und Weise: In der Regel gründen wir als Erstes einen Verband, einen Verein oder eine IG. Jüngstes Beispiel ist der Verein Agricultura Regeneratio. Gut möglich aber, dass zwischenzeitlich bereits drei neue Vereine gegründet wurden. Braunohrenziegenzüchterverband Unterfreiamt wäre noch frei, oder eine Allianz der Markt- und Umweltorientierten Unternehmerlandwirte mit Herz und Hirn ist vermutlich auch noch nicht im Register eingetragen.

Ich habe unsere Buchhaltung Ende des Jahres angeschaut. Es ist eindrücklich, was sich alles an Mitgliederbeiträgen ansammelt: Aargauer Naturstrom, SVLT, Mitgliederbeitrag IG Natur & Landwirtschaft, Mitgliederbeitrag Erlebnis Freiamt, Jahresbeitrag Bauernverband, Proviande, VSGP, SGPV… Alle bekommen einen mehr oder weniger grossen Batzen für ihre Tätigkeit. Und in allen Jahresberichten steht, wie wichtig genau diese jeweilige Tätigkeit ist.

Auf den ersten Blick erscheint die Vielfalt an Vereinen und Verbänden absurd. Gibt es das auch in anderen Branchen? Wir haben sogar die Agrarallianz, also quasi einen Verein, der aus Verbänden besteht. Lokale Verbände, kantonale Sektionen, die wiederum Einsitz in nationale Bündnisse haben… Es schwirrt der Kopf und stellt sich die Frage: Bezahlen die Bauern mit ihrer täglichen Arbeit eine Horde von Verbandsleuten, damit sie im Büro munter über neue Strategien und Visionen für die Landwirtschaft diskutieren können?

Diese Haltung ist als Landwirt zugegebenermassen verlockend. Wie immer lohnt sich aber auch hier ein zweiter Blick.

Die Landwirtschaft hat traditionell eine starke Interessenvertretung in der Gesellschaft. In der Politik ist sie – gemessen am Anteil Landwirte in unserem Land – überproportional gut vertreten. Wenn Sie bereits heute oft unzufrieden mit der Agrarpolitik sind: Versuchen Sie sich einmal vorzustellen, wie das wäre, wenn weniger Landwirte politisch engagiert sind.

Landwirtschaftliche Vereine und Verbände sind nicht selten ein Sprungbrett für junge Landwirte, die sich später politisch für das Wohl der Bauern engagieren. Auch sonst ist diese Vielfalt bei den landwirtschaftlichen Vereinigungen eine unserer Stärken.

Es ist wichtig, dass wir als zersplitterte Gruppe von kleinen Produzenten gegen aussen mehr oder weniger geeint auftreten können. Dafür sorgen diese Vereine und Verbände. Das zeigt auch deren Schwierigkeit: Sie müssen intern streiten, Kompromisse finden und dann gegen aussen geeint auftreten. Dass das schwierig ist, dürfte allen klar sein. Nicht zu Unrecht existiert der Spruch: Wenn zwei Bauern an einem Tisch sitzen,gibt es mindestens drei Meinungen.

Es sind oft Landwirtinnen und Landwirte, die sich nebenbei in einer landwirtschaftlichen Vereinigung engagieren. Würden Sie ihre Aufwände und Arbeitsstunden seriös aufschreiben und ihren Stundenlohn für die geleistete Arbeit ausrechnen, müsste ein rational denkender Mensch in vielen Fällen postwendend den Bettel hinschmeissen.

Ja, die Vielzahl an Verbänden in unserer Branche ist sehr gross und brächte wohl manchen neutralen Beobachter zum Schmunzeln. Letztendlich ist sie aber auch ein Abbild unserer äusserst vielfältigen Landwirtschaft. Es ist gut, dass sich viele Menschen auf unterschiedliche Weisen für die Landwirtschaft engagieren. Das sollte uns auch einige Mitgliederbeiträge wert sein.

PS: Eigendeklaration: Selber bin ich Aktuar im Freiämter Landwirtschaftsverein.

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Ausser-gewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.