Ich schätze die Vielfältigkeit und Multi
funktionalität des Landwirte-Daseins. Die Arbeit auf dem Familienbetrieb 
und die grosse Abwechslung im Alltag.

Auch viele Konsumenten finden unsere Schweizer Familienbetriebe wunderbar – als Gegenstück zu den anonymen, gross
industriellen Agrar-Konzernen. Diese beuten für kurzfristigen Profit die Mit
arbeitenden ebenso aus wie den Grund und Boden, auf dem sie wirtschaften.

Aber beuten wir uns auf den Familienbetrieben nicht selbst aus? Uns und unsere Angehörigen? Den Partner, der ohne Lohn und vernünftige Altersvorsorge arbeitet? Die Kinder und die Grosseltern, die oft gratis Melken und Obst zusammenlesen?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist schön, als Familie zusammenzuarbeiten. Für Kinder ist der Bauernhof ein Paradies zum Aufwachsen. Und die Grosseltern sind oft zufrieden, dass sie gebraucht und geschätzt werden. Problematisch ist nur, dass es ohne diese Helfer wirtschaftlich oft gar nicht möglich wäre, über die Runden zu kommen.

Ein Gedankenspiel: Stellen wir uns vor, zehn Bauern spannen zusammen. Sie gründen eine AG, für die sie arbeiten. Jeder wird für die geleisteten Stunden gleich entschädigt. Es gibt Wochenend- und Ferien-Pläne. Die Flächen werden rationeller bewirtschaftet. Die Auslastung der Maschinen steigt. Jeder kann sich auf den Kernbereich spezialisieren, der ihn am meisten interessiert.

Wer einen schlechten Tag hat, ist damit nicht alleine. Misserfolge werden zusammen weggesteckt, Erfolge gemeinsam gefeiert. Man muss nicht jedes letzte Detail selber entscheiden und nicht Experte sein für alles. Kurzum: Dieses Gedankenspiel bietet mehr Lebensqualität, besserer Verdienst, 
weniger Verantwortung, gesicherte Stellvertretung.

Zurück in die Realität. Hier hat jeder Betrieb eine bestehende Infrastruktur.
Es macht meist keinen Sinn, bestehende ältere Stallungen abzureissen und einen grossen, modernen Stall aufzustellen. Und die alten Traktoren durch neue, grosse Schlepper zu ersetzen, muss man sich leisten können. Die Betriebsgrösse ist rechtlich limitiert, zum Beispiel durch die Höchstbestandes-Verordnung bei den Nutztieren. Und auch bei den Direktzahlungen entstehen Probleme.

Es wäre ein enormer Zufall, wenn sich zehn Bauern genau so ergänzen, dass jeder seinen bevorzugten Bereich übernehmen kann. Wahrscheinlich gäbe es bald Streit, wer nun mähen darf und 
wie genau die Kühe zu melken sind.

Misserfolge werden tendenziell den anderen in die Schuhe geschoben. 
Dafür hat jeder das Gefühl, er leiste 
doch bedeutend mehr als die Partner.

Kurzum: Die Utopie funktioniert in der Praxis kaum. Sonst wären ja alle dumm, die auf eigene Faust wirtschaften.

Es muss ja nicht gleich eine Zusammenlegung von zehn Betrieben sein. Aber ich bin überzeugt: Das Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen Höfen ist längst nicht ausgeschöpft. Neben den betriebswirtschaftlichen Gründen gibt es noch mehr Vorteile: Man gibt zwar etwas Entscheidungsfreiheit auf, gewinnt aber Handlungsfreiheit für Freizeit und Familienleben.

Vielleicht müssen wir uns verabschieden vom idealisierten Bild der glücklichen, bodenständigen Familienbetriebe. Gross ist nicht einfach nur böse, sondern bietet – neben allen Herausforderungen – 
auch Chancen.

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.