Wenn jemand seine Meinung ändert, wird das von Aussenstehenden meistens als Zeichen der Schwäche gesehen. «Eben noch sagte Hansli das, und jetzt plötzlich jenes! Eine richtige Fahne im Wind ist er, der Hansli. Da weiss ja kein Mensch, woran er ist.»

Das finde ich – Stand heute – schlecht. Also nicht, dass jemand seine Meinung ändert, sondern, dass Meinungsänderungen häufig negativ bewertet werden. Eine geänderte Meinung könnte man auch anders interpretieren: Es muss nicht eine leicht manipulierbare Person ohne Rückgrat sein. Es wäre doch auch möglich, dass jemand in der Zwischenzeit schlauer geworden ist und sich eines Besseren besonnen hat.

Gutes Anschauungsmaterial liefert die Corona-Pandemie: «Vor drei Monaten sagte der Bundesrat noch dies, und heute einfach jenes. Das geht doch nicht!»

Doch, hoffentlich geht das. Bei einer neuen Erkrankung wäre es verdächtig, wenn man von Anfang an genau wüsste, wie ihr am besten beizukommen ist. Und ja, wenn wir in zehn Jahren auf diese Zeit zurück blicken, würden wir vermutlich vieles anders machen. Zumindest, sofern wir in der Zwischenzeit schlauer geworden sind, was ich doch sehr hoffe.

Aber lassen wir die Pandemie beiseite. Auch in der Landwirtschaft werden wir laufend schlauer. Bauern, die alte Betriebs-zweige aufgeben, neue Geschäftsfelder aufbauen, ihre Effizienz steigern, auf Bio oder wieder zurück umstellen – sie alle tun das, weil sie denken, es sei nachher besser, als es bisher war. Ob ich oder eine andere aussenstehende Person diese Meinung teile, ist dabei schnurzegal.

Da muss ich mich auch selber an der Nase nehmen. Bei mir hat sich manchmal eine kritische Abwehrhaltung eingeschlichen, ein leichter Hang zum Haare in der Suppe suchen.

Ich möchte gern weniger kritisch sein gegenüber Projekten von Drittpersonen. Egal ob Berufskollegen oder nicht. Besonders dann, wenn Sie mich überhaupt nichts angehen. Diejenigen, die etwas in ihrem Leben oder auf ihrem Betrieb ändern, haben sich vermutlich mehr Gedanken darüber gemacht als ich.

Tragischerweise habe ich manchmal auch bereits Abwehrreflexe entwickelt, was Änderungen auf unserem Betrieb angeht – und das nach nur drei Jahren! «Nein, ich miste sehr gut mit der Plastikschaufel, da brauche ich sicher nichts anderes.» Denkste! Nie im Leben würde ich den Metallschieber wieder hergeben.

Dies ist nur ein kleines Beispiel, im Grossen gibt es natürlich ähnliche Fälle. Gerade in Stress-Phasen bin ich nicht sehr empfänglich für Meinungsänderungen.

Ich bin heute also der Meinung, dass es kein gutes Zeichen ist, immer gleicher Meinung zu sein. Man stelle sich vor, wir hätten alle noch dieselben Ansichten wie vor 50 Jahren! Also ich möchte nicht nochmals über das Frauenstimmrecht abstimmen müssen (obwohl ich neugierig wäre, wie das Ergebnis heute ausfallen würde).

Da ich noch ein Weilchen zu leben habe, muss ich doch schwer annehmen, dass sich meine heutigen Überzeugungen im Laufe der Zeit verändern werden.

Ich schreibe eine Erinnerung in meinen Kalender: Im August 2022 krame ich diesen Text wieder hervor. Ich bin ziemlich sicher, dass ich diese Kolumne dann so nicht mehr schreiben würde. Das wäre schön. Ich würde es gerne als Zeichen deuten, dass ich zwischenzeitlich klüger geworden bin.

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.