Es ist alle Jahre das gleiche Prozedere, und doch immer wieder spannend und mit neuen Untertönen: Die Raps- und Getreideernte. Ab Ende Juni beginnt sie für die Ackerbauern der Region.

Nervosität macht sich breit, sobald der erste Mähdrescher auf der Strasse oder in einem Feld gesichtet wurde. Ja, manchmal reicht sogar der Bericht, dass irgendwo auf einem Kiesboden eine Bio-Parzelle bereits gedroschen wurde, und man stellt sich die Frage: Ist unsere Gerste auch schon abgereift?

Mehr oder weniger häufig wird mehr oder weniger genau kontrolliert, ob die Körner schön zwischen den Zähnen den knirschen. Gehen drei unterschiedliche Personen ins Feld, kommen drei nicht ganz identische Aussagen zum Reifegrad. Ja, es ist Dresch-Saison.

Eigentlich erstaunlich, wie viel Raum dieses Dreschen manchmal einnimmt. Obwohl doch die Aufgabe der meisten Landwirte – ausgenommen natürlich jener mit Mähdreschern oder Ballenpressen – recht überschaubar ist: Frucht kontrollieren, Lohnunternehmer anrufen, Wagen bereitstellen, zur Getreidesammelstelle fahren, fertig.

OK, dann kommt noch das Stroh, das dürr sein muss. Und die Ballen, die so versorgt sein wollen, dass man sich nachher nicht ein Jahr lang ärgern muss. Und die Stoppelbearbeitung mit dem richtigen Gerät zum richtigen Zeitpunkt. Trotzdem: Ist das Wetter schön, sind es für mich auch all diese Arbeiten.

Etwas stressig ist vielleicht der Transport zur Sammelstelle: Der Verkehr ist nach dem Lockdown wieder gewohnt dicht. Die Geduld der Autofahrer klein, die Anhängerzüge hingegen gross. Dafür wird es dann auf der Sammelstelle interessant, die Stunde der Abrechnung: Feuchtigkeit, Hektolitergewicht und – natürlich – der Ertrag, der sofort durch die abgeerntete Fläche dividiert wird, um herauszufinden, wie viel pro Hektare eingefahren werden konnte.

Dann beginnt das grosse Rätselraten oder Kaffeesatzlesen: Wieso war da nicht mehr im Kipper? War es die Trockenheit im Frühling? Die Sorte? Die leichte Staunässe über den Winter hindurch?Zu wenig oder zu spät gedüngt? Zu stark verkürzt? Hat der Lohnunternehmer etwa nicht sauber gedroschen? Sind zu viele Ähren abgeknickt? Oder, wie immer der Hauptverdächtige: War einfach das Wetter schuld?

Es folgt die Phase des Vergleichs, sozusagen die zweite Runde im Kaffeesatzlesen: Wie war es im letzten Jahr? Wie viel hatten die Berufskollegen? Bei welcher Feuchtigkeit? Und wieso hatten sie mehr oder weniger?

Dann werden die Schlüsse für die kommende Saison gezogen: Früher düngen, mehr Gülle, andere Sorte, dünner säen, später säen, zurück zum Pflug, nur noch Mulchsaat, eine neue Sämaschine. Oder – eine wichtige Möglichkeit, die auch existiert und manchmal ganz vergessen geht: Man ist ganz zufrieden mit dem Ergebnis und hat nicht das Gefühl, für die kommende Aussaat das Rad komplett neu erfinden zu müssen. Jeder so, wie er will.

Etwas frustrierend am Ganzen ist, dass die Kaffeesatzleserei und das Tüfteln für den perfekten Anbau in diesen Kulturen wirtschaftlich keinen besonders grossen Nutzen bringt. Aber darum geht es ja auch nicht, oder? Es ist ganz einfach schön, wenn der Kipper voll und der Ertrag hoch ist. Na ja, vielleicht doch noch etwas höher als jener beim Nachbar …

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.