In meinen Ferien wurde ich in einem Restaurant gefragt, ob ich irgendwelche Unverträglichkeiten hätte oder gewisse Produkte nicht essen würde. «Nein, alles ganz unkompliziert, ausser Oliven und Sardellen esse ich alles», war meine Antwort, und es lag ein leichter Stolz in meiner Stimme. Der Stolz, punkto Nahrungsaufnahme ein unkomplizierter Allesesser zu sein.

DossierKolumne«Plötzlich Bauer» von Sebastian HagenbuchDonnerstag, 28. Oktober 2021 Später fiel mir auf, dass das irgendwie etwas komisch ist. Es ist schliesslich kein Leistungsausweis, dass mir vieles schmeckt und mein Magen auch bei Gluten oder Milchprodukten nicht rumort. Es handelt sich dabei nicht um eine starke Performance meinerseits, sondern ich habe wohl einfach Glück gehabt. Mehr Glück als andere.

Selektive Esser: Mühsam oder bedauernswert?

Eine Leistung wäre es vielleicht, wenn ich trotz Unverträglichkeit das aufgetischte Brot und das Glas Milch zu mir nehme, um niemandem zur Last zu fallen und Foodwaste zu verhindern. Und nachher klammheimlich und so leise wie möglich zu kotzen, ohne Spuren zu hinterlassen oder jemandem davon zu erzählen. Ja, das wäre eine Leistung, wenn auch eine ziemlich bescheuerte.

Wenn ich mit jemandem esse, und diese Person isst nicht alles – sei es aus gesundheitlichen oder ideologischen Gründen – so neige ich aber tatsächlich dazu, dieser Person das Prädikat «kompliziert» zuzuschreiben. Das ist natürlich Quatsch. Mit Laktoseintoleranz oder Glutenunverträglichkeit i(s)st man eigentlich schon genug gestraft, auch ohne von einem sorglosen Allesesser als kompliziert ab-gestempelt zu werden.

Ich habe sogar Freunde, die keine Laktose oder Gluten vertragen, und auch solche, die sich vegetarisch ernähren (ich gebe es ja zu). Dennoch passiert es mir immer wieder, dass ich selektiven Esser als mühsam wahrnehme.

Empathie ist eine anstrengende Sache

Wahrscheinlich fällt es mir aus meiner privilegierten Allesesser-Position heraus einfach schwer, mich in andere hineinzuversetzen. Und das gilt leider kaum nur für das Essverhalten meiner Mitmenschen. Ist schliesslich anstrengend, diese Sache mit der Empathie.

Äh, und was hat das jetzt mit Landwirtschaft zu tun? Nun ja, zugegebenermassen nicht sehr viel. Vielleicht damit, dass es als mir als Landwirt auch immer wieder schwerfällt, emphatisch mit Konsumentinnen und Konsumenten – Kundinnen und Kunden also – zu sein.

Gerade Personen, die ihre Produkte direkt auf dem Hof kaufen, legen Wert auf die Geschichte hinter dem Lebensmittel. Klar kann ich es kompliziert finden, wenn jemand genau wissen möchte, wie unser Schweinefutter genau zusammengesetzt ist oder inwiefern sich die verschiedenen Süsskartoffelsorten punkto Inhaltsstoffen voneinander unterscheiden.

Stolz auf die produzierten Lebensmittel

Letztendlich muss ich aber eigentlich froh sein über komplizierte (oder sagen wir: interessierte) Konsumenten: Das Gegenteil wären wohl Schnäppchenjäger, die letzten Endes schlicht und einfach das Billigste kaufen – also nicht unbedingt das, was ich oder meine Schweizer Berufskolleginnen und Berufskollegen im Stall und auf dem Acker produzieren.

Ja, die Gespräche rund um das Essen können immer wieder mühsam sein, ob es sich nun um die landwirtschaftliche Produktion oder Ernährungsgewohnheiten von Mitmenschen handelt. Ob ich will oder nicht, ich werde vermutlich noch oft in solche Gespräche verstrickt.

Wenn es mein Energiehaushalt zulässt, versuche ich, Empathie für meine Gesprächspartner aufzubringen. Und wenn ich bei dieser ganzen Diskussion über unsere Nahrung auf etwas stolz sein kann, dann auf die von uns produzierten Lebensmittel und nicht auf die Fähigkeit, diese ohne Durchfall oder Erbrechen essen zu können. Denn Ersteres ist eine tatsächlich erbrachte Leistung.

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG.
Hagenbuch erzählt in seiner Kolumne von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischem Blick und einem Augenzwinkern.