Zeichnung eines Traktors, der einen russischen Panzer abschleppt.Krieg in der UkraineMitten im Ukraine-Krieg kämpfen die Landwirte um ihr Vieh, um die Getreide-Ernte – und um ihr LebenDienstag, 8. März 2022 Zurzeit wird eifrig darüber diskutiert, welche Auswirkungen der Krieg von Russland in der Ukraine auf die Schweizer Wirtschaft und die Konsumenten haben wird. Meist geht es dabei um die Sicherung der Energieversorgung, während die Lebensmittelversorgung kaum als Gefahr wahrgenommen wird.

Das ist aber keine Selbstverständlichkeit. Hätten wir in der Schweiz keine Landwirtschaftspolitik, bei welcher die Versorgungssicherheit ganz oben auf der Agenda steht, müssten wir auch darüber besorgt sein. Doch die Schweiz hat aus ihren leidvollen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 gelernt.

Bis etwa 1860 versorgte sich die Schweiz im Wesentlichen selbst mit Getreide. Doch in der Folge begann man damit, grössere Mengen von Getreide (vor allem Weizen) aus Ungarn, aus der Ukraine und später auch aus Übersee (USA) zu importieren. Die Aufgabe der Selbstversorgung mit Getreide wurde durch die Entwicklung der Eisenbahn und von Dampfschiffen begünstigt, wodurch die Transportkosten drastisch sanken.

Die billigen Getreideimporte führte in den 1870er-Jahren bald zu einer Agrar-Krise, welche eine Umstrukturierung der Landwirtschaft bewirkte. Aus den Schweizer Getreidebauern wurden zunehmend Milchbauern, denn auf dem Milchmarkt war der Preisdruck geringer. Die Schweiz verabschiedete sich nach und nach von der Getreideproduktion

Im Ersten Weltkrieg war die Selbstversorgung der Schweiz nicht gesichert

Als dann unerwartet am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war die Schweiz nicht vorbereitet. Die Getreide-Importe kamen zum Erliegen. Die heimische Landwirtschaft war nicht in der Lage, die Bevölkerung ausreichend mit Getreide zu versorgen. Die Schweiz deckte zu diesem Zeitpunkt gerade noch 15 Prozent des Getreide-Bedarfes mit eigener Produktion. Die Folge waren gravierende Versorgungsmängel, die zu prekären Situationen führten.

Nach dem Krieg war klar: Eine solche Situation darf sich nicht wiederholen. So versuchte der Bundesrat schon kurz nach Kriegsende, den inländischen Getreide-Anbau durch ein Einfuhrmonopol zu stützen – verbunden mit der Übernahme des Inlands-Getreides zu einem Garantiepreis – und vor den Schwankungen des Weltmarktes zu schützen. In der Folge wurden Pflichtlager eingeführt und man erhöhte den Selbstversorgungsgrad bei Getreide wieder.

Tatsächlich war man im Zweiten Weltkrieg 1939 bis 1945 dann wesentlich besser vorbereitet. Die Haushalte wurden aufgefordert, selbst Vorräte anzulegen und später kam es dann zur berühmten «Anbauschlacht» nach Plänen des späteren Bundesrates Friedrich Traugott Wahlen (der während dieser Zeit von 1936 bis 1942 «die grüne»-Chefredaktor war).

2022 ist die Versorgungssicherheit der Schweiz durch eine Krise nicht bedroht

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es der Schweiz den Selbstversorgungsgrad bei Getreide weiter zu steigern. Gemäss Swiss Granum, der Schweizerischen Branchenorganisation für Getreide, Ölsaaten und Eiweisspflanzen, deckt die Schweiz 2022 rund 90 Prozent des Bedarfs an Brotgetreide selbst (Brotweizen, Dinkel, Roggen, Emmer).

Nehmen wir auch Futtergetreide und Saatgut dazu, dann liegt der Selbstversorgungsgrad aber um einiges tiefer – zwischen 50 und 60 Prozent, da Futtergetreide zu einem wesentlich grösseren Anteil importiert wird.

Zusätzlich werden grosse Mengen an Getreide gelagert. Aktuell beträgt die Lagermenge für:

  • Weichweizen (für Brot) 160'000 Tonnen
  • Hartweizen (für Teigwaren) 23'000 Tonnen
  • Reis 16'400 Tonnen

Damit kann der Bedarf an diesen drei Nahrungsmittelgruppen für vier Monate gedeckt werden. Zusätzlich halten die Händler freie Betriebsvorräte, die ähnlich gross sind wie die Pflichtlager.

Die Getreide-Importe aus der Ukraine selbst sind nur noch bescheiden. Zwar ist die Ukraine weltweit der siebtgrösste Weizen-Produzent und der fünftgrösste Weizen-Exporteur. Doch die Schweiz rangiert mit ihren Importen aus der Ukraine nur unter ferner liefen. Die geringen Import-Mengen betreffen ausschliesslich Futtergetreide.

Im Unterschied zur Situation im Ersten Weltkrieg ist die Versorgungssicherheit der Schweiz durch eine Krise im Ausland deshalb nicht mehr bedroht.

Wovon die Schweizer Landwirtschaft aber – wie auch der Rest unserer Wirtschaft betroffen ist – sind die aufgrund der Invasion steigenden Energie- und Rohstoff-Preise. Dies führt zu höheren Kosten bei einer Reihe von Vorleistungen, welche die Produktion in der Landwirtschaft verteuern. Doch damit kann man leben.

Mathias Binswanger

Der Ökonom Mathias Binswanger (1962) ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Olten und Privatdozent an der Universität St.Gallen.

Das jährliche Ökonomen-Einfluss-Ranking der «Neuen Zürcher Zeitung» zählt Binswanger seit Jahren zu den drei einflussreichsten Ökonomen der Schweiz. Mathias Binswanger ist auch Autor mehrer Bücher, unter anderen:

«Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel: Landwirtschaft und Globalisierung»
Mathias Binswanger
Picus Verlag, März 2020, 120 Seiten
ISBN 978-3711720948
Fr. 21.90