Kurz & bündig

  • Mathias und Hans Leuenberger haben 2019 den weltweit ersten Pouletmaststall mit Minergie-Zertifikat in Betrieb genommen.
  • Nun wurde der Stall während eines Jahres als Leuchtturm-projekt getestet.
  • Die berechneten Energiesparpotenziale haben sich bestätigt und sollten die Mehrkosten wieder hereinholen.

www.globogal.ch

 

Wie baut man die weltweit erste Minergie-zertifizierte Pouletmasthalle? Alles begann damit, dass Hans Leuenberger aus Hellsau bei einem Bekannten über den Kanton Bern fluchte. Genauer gesagt, über dessen strenge Anforderungen an den Bau der neuen Pouletmasthalle, die er und sein Sohn Mathias bauen wollten.

Unter anderem war eine Holzfassade gefordert, aber der Junior hatte sich bereits für eine Stahlhalle der Stallbaufirma Globogal AG entschieden. Dem gelernten Landmaschinenmechaniker ist dieses Material lieber, Holz lebt ihm zu sehr. «Da sagte mir der Bekannte, wenn du schon die Holzfassade bauen musst, dann isoliere doch einfach etwas besser. Vielleicht schafft ihr dann sogar den Minergie-Standard›», erinnert sich Vater Hans Leuenberger.

Die Halle zeichnet sich unter anderem durch eine Wärmerückgewinnung (WRG) in der Lüftungsanlage aus (siehe Kasten). Die Wärmepumpe versorgt neben dem Stall auch das Wohnhaus mit Heizwärme. Die Energie dafür stammt zu grossen Teilen von der grossen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Gegenüber einer konventionell mit Gas beheizten und ohne WRG betriebenen Pouletmasthalle spare der Betrieb der Anlage pro Jahr über 40 Tonnen CO2 ein, heisst es im Baubeschrieb.

«Das Gestinke von Schweinen wollte ich nicht haben»

Vater und Sohn Leuenberger war klar, dass sie neben Mutterkuhhaltung und Acker- und Futterbau einen neuen Betriebszweig brauchen würden, damit zwei Generationen vom 26-Hektaren-Betrieb leben können. Im Moment führen sie ihn noch in einer Generationengemeinschaft.

Schweine kamen für Mathias Leuenberger nicht in Frage: «Das Gestinke wollte ich nicht haben», sagt der Jungbauer dezidiert. Die 30 Milchkühe waren bereits vor sechs Jahren verkauft worden und hatten 20 Mutterkühen Platz gemacht, die Fleisch für das Label «Swiss Black Angus» liefern.

Er habe damals gesagt, für diesen Milchpreis stehe er nicht auf, sagt Leuenberger Junior. Vater Hans fiel die Aufgabe der Milchproduktion nicht schwer: «Als Mathias mit dem Vorschlag Mastpoulets kam, fand ich, warum nicht? Es war für uns beide Neuland.»

Per Zufall hatte Mathias Leuenberger von seinem Klauenschneider vernommen, dass die Migros-Tochter Micarna noch Pouletmäster suchte. Micarna schloss nach einem Betriebsbesuch mit Leuenbergers einen Vorvertrag ab. Das half ihnen, die Finanzierung für die Halle sicherzustellen. Mathias Leuenberger konnte bei der bernischen Stiftung für Agrarkredit eine Starthilfe auslösen, sein Vater einen Investitionskredit.

Die Odyssee bis zum Minergie-Zertifikat

Die Idee der Minergie-Pouletmasthalle hatte beide unterdessen nicht mehr losgelassen. Es folgte also die Anfrage bei der Berner Minergie-Zertifizierungsstelle, ob es möglich sei, die Halle zu zertifizieren. Das war es, brauchte aber viel Aufwand und Durchhaltewillen von Familie Leuenberger und allen anderen Beteiligten.

Bereits 2015 hatte man sich an der Messe Tier&Technik mit Vertretern der Firma Globogal getroffen und sich für eine Halle mit WRG entschieden. «Wir haben die Tragweite unseres Vorhabens unterschätzt», sagt Hans Leuenberger rückblickend.

«Man muss sich bewusst sein, es gab gar keinen Minergie-Standard für Geflügelmasthallen. Dieser musste zuerst erarbeitet werden», ergänzt David Stauffer, Geschäftsführer der Globogal AG. Er windet seinen Kunden ein Kränzchen: «Ohne den Pioniergeist von Hans und Mathias wäre das Ganze gar nicht möglich gewesen.»

Es dauerte fünf Jahre vom ersten Baugesuch bis zur Baubewilligung. Der Bau selbst dauerte rund ein Jahr. Vieles konnten die beiden Landwirte selbst erledigen. Mathias Leuenberger machte die Erdarbeiten und schweisste die Blitzanlage zusammen.

Vater Hans betreibt im Nebenerwerb mit einem deutschen Partner eine Firma, die Solaranlagen plant und montiert. So konnte er die Photovoltaik-Anlage selbst planen, was etwas an Kosten einsparte.

Die Pouletmasthalle kostete eine Million Franken

Trotzdem, für ihre Vision mussten die beiden Landwirte viel Geld in die Hand nehmen: Die Halle kostete 1 MioFranken. Rund 150'000 Franken davon waren nötig, um den Minergie-A-Standard zu erreichen. Davon bekommt die Familie Leuenberger einen gewissen Betrag wieder zurück, denn für den Minergie-A-Standard gibt es 100 Franken pro Quadratmeter beheizter Fläche. Die Investition sollte sich für die Familie Leuenberger durch die Energiesparmöglichkeiten wieder auszahlen.

Um herauszufinden, ob sich die berechneten Einsparpotenziale bewahrheiten würden, wurde der Stall von April 2019 bis April 2020 als Leuchtturmprojekt getestet. Dabei wurden im Stundentakt alle relevanten Tier-, Energie- und Stallklimaparameter vom Produktionscomputer «Image 2» aufgezeichnet.

Dank der Webapplikation «Webchick» sind die Daten für Auswertungen oder spätere Vergleiche auf einem Server gespeichert. Der Monitoring-Bericht wurde durch das Bundesamt für Energie unterstützt und liegt nun vor. «Wir freuen uns, dass er die erwarteten Energiesparpotenziale bestätigt», sagt David Stauffer.

Der Wärmebedarf liess sich mehr als halbieren

Das sind die wichtigsten Resultate aus dem Monitoring-Bericht:

  • Der Wärmebedarf für die Heizung lässt sich durch die Wärmerückgewinnung in der Abluft und die bessere Wärmedämmung der Bauhülle mehr als halbieren.
  • Die Wärmerückgewinnung ist für etwa drei Viertel, die bessere Wärmedämmung für etwa ein Viertel der Einsparungen verantwortlich.
  • Die Investitionen für den Wärmetauscher lässt sich durch die Energieeinsparungen in drei bis vier Jahren zurückzahlen.
  • Die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach produzierte mehr als doppelt so viel Strom, wie für die Heizung (Wärmepumpe), Lüftung (EC-Lüfter), Beleuchtung (LED) und sonstige Einrichtungen benötigt werden.
  • Dank Wärme und Stromspeicher wird etwa 87 Prozent des gesamten Strombedarfs des Stalles durch die Photovoltaik-Anlage gedeckt.
  • Die Mehrkosten des Minergie-Pilotstalls könnten bei den aktuellen Energietarifen unter Einbezug der Förderbeiträge durch die tieferen Energiekosten kompensiert werden.
  • Eine Senkung der Jahreskosten durch Optimierung sollte möglich sein.
  • Dank der tiefen relativen Feuchtigkeit war die Beschaffenheit der Einstreu während der ganzen Dauer der Umtriebe sehr gut.
  • In allen Umtrieben sind bei den Poulets praktisch keine Fussballen-Geschwüre verzeichnet worden. «Bei konventionellen Ställen ohne WRG liegt die mittlere CO2-Konzentration, vor allem in der kalten Jahreszeit, oft weit über 2000 ppm», erklärt David Stauffer. Durch die höhere relative Feuchtigkeit werde die Einstreu feucht, was zu den schmerzhaften Fussballen-Verletzungen führen kann.

Die Integratoren zeigen noch wenig Interesse

«Wir wollten mit dem Pilot-Versuch zeigen, dass Minergie in Geflügelmastställen technisch und wirtschaftlich möglich ist. Das haben wir erreicht», sagt David Stauffer zufrieden.

Trotzdem gebe es noch Schwierigkeiten, ergänzt René Steiner von der Firma WPC Wärmepumpen-Center AG in Worb BE, welche die Technik zur Wärmepumpe geliefert hat, im Gespräch mit «die grüne»:

«Eine Knacknuss ist sicher die Finanzierung. Dazu muss man leider sagen, dass das Interesse der Integratoren in der Branche noch klein ist.» Auch fehle es an Forschung auf dem Gebiet, weil zum Beispiel Agroscope zu wenig Mittel zur Verfügung habe, so Steiner.

«Trotzdem glaube ich, dass wir mit unserem erfolgreichen Projekt zeigen konnten, dass Minergie-Ställe in der Pouletmast Zukunft haben», zeigt sich David Stauffer optimistisch.

Mathias Leuenberger ist nach einem Jahr Praxistest zufrieden mit seinem Minergie-Stall: «Ich arbeite immer lieber hier. Das Klima ist angenehm und die Tiergesundheit gut.»

Bei 30-tägiger Mast hat es in der Halle Platz für 12'450 Tiere oder bei 37-tägiger Mast für 8730 Tiere. Bei 30-tägiger Mast gibt es später im Laden ganze Poulets zu kaufen. Bei der längeren Mast handelt es sich um Zerlegungspoulets.

«Die Pouletmast ist eine sehr planbare Produktion»

Auch für die Pouletmast als Betriebszweig würde sich Mathias Leuenberger jederzeit wieder entscheiden. «Es ist eine sehr planbare Produktion.» Diese ermöglicht es ihm auch, weiterhin 80 Prozent als Landmaschinenmechaniker zu arbeiten, während sein Vater sich um die Mutterkühe und den Acker- und Futterbau kümmert.

In drei bis vier Jahren wird Mathias Leuenberger den Betrieb übernehmen, seinem ersten Lehrberuf aber treu bleiben, um in der Landtechnik den Anschluss nicht zu verpassen.

Während nach den intensiven letzten Jahren auf dem Betrieb im beschaulichen Hellsau nun eine ruhigere Phase eingekehrt ist, sind die beiden Landwirte stolz auf ihre Weltpremiere. Und hoffen, dass ihr Beispiel Schule macht und weitere Landwirte den Mut fassen, einen Minergie-Stall zu bauen.

 

Betriebsspiegel der Familie Leuenberger

Hans und Mathias Leuenberger, Hellsau BE

LN:26 ha (davon 16 ha Eigenland)

Kulturen: Raps, Kartoffeln, Mais, Weizen, Gerste, Konservenerbsen

Tierbestand:12'450 Mastpoulets (Micarna), 20 Angus-Mutterkühe (Label Swiss Black Angus)

Weitere Betriebszweige: Mathias Leuenberger arbeitet 80 Prozent als Landmaschinenmechaniker, Hans plant und montiert Solaranlagen

Arbeitskräfte: Familie

 

 

So funktioniert die Minergie-Halle

Die für die Wärmepumpe benötigte elektrische Antriebsenergie stammt zum grössten Teil aus der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Beim Überschussstrom wird die Wärmepumpe zwangseingeschaltet und arbeitet auf einen grossen Pufferspeicher, wo die Wärme zwischengespeichert wird.

Die Wärmerückgewinnung in der Lüftungsanlage ermöglicht Einsparungen beim Heizenergie-Bedarf von 50 Prozent. Die Wärmepumpe erzeugt Vorlauftemperaturen von bis zu 65 Grad, was zum Erreichen der not-wendigen Raumtemperatur von 34 Grad in der Halle notwendig ist. Als Wärmequelle für die Wärmepumpe werden Erdsonden genutzt. Diese sind auf einer Landfläche von rund einer Hektare auf einer Tiefe von 1,20 bis 1,50 Metern eingepflügt und umfassen eine Gesamtlänge von über 3000 Metern.

Die Geflügelhalle erfüllt die Anforderungen von Minergie A, produziert also mehr Energie, als sie verbraucht. Gleichzeitig erfüllt sie den Standard P, was heisst, dass sie optimal gedämmt ist.

 

 

Das ist Minergie

Minergie ist seit 1998 ein Schweizer Baustandard für neue und modernisierte Gebäude. Die Marke wird von der Wirtschaft, den Kantonen und dem Bund gemeinsam getragen. Die Bezeichnung Minergie-Haus darf nur für Gebäude verwendet werden, die einen der drei Minergie-Baustandards tatsächlich erfüllen. Es können auch Bauteile und Systeme als Minergie-Module ausgezeichnet werden.

Der Verein Minergie ist weltweiter Inhaber und Nutzungsberechtigter der Marke. 

www.minergie.ch