Spätestens seit den beiden Trinkwasser-Initiativen im Jahre 2021 hat die Medien-Berichterstattung eine regelrechte Hysterie um Pflanzenschutzmittel entfacht. Denn Fungizide wie Chlorothalonil oder Herbizide wie Glyphosat sind gemäss der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO «möglicherweise krebserregend».

Im Juli 2023 hat aber die IARC in einem «Aspartame hazard and risk assessment» auch das Süssungsmittel Aspartam neu als «möglicherweise krebserregend» eingestuft. Und Aspartam konsumieren viele Schweizer täglich in rauhen Mengen in kalorienreduzierten Softdrinks wie Coca-Cola light, in Kaugummis und Diätprodukten.

Wieviel Aspartam steckt in Coca-Cola light – und wieviel kalorienreduzierte Softdrinks darf man trinken?

Der Aspartam-Gehalt in Coca‑Cola light beträgt 130 Milligramm pro Liter. Gemäss IARC ist die maximal erlaubte Tagesdosis ETD für Aspartam 40 Milligramm pro Kilo Körpergewicht. Als 90 Kilo schwerer Mann dürfte ich pro Tag 90 × 40 Milligram = 3600 Milligramm Aspartam trinken, also 28 Liter Coca-Cola light. Dabei schüttelt es mich schon bei einer 3 Deziliter-Büchse von diesem Zeug.

Zum Vergleich: Beim Grenzwert für Pflanzenschutzmittel dürfte ich 13'500 Liter Trinkwasser mit Rückständen des Fungizids Chlorothalonil oder 2400 Liter Wein mit Rückständen des Herbizids Glyphosat trinken.

Dieser erste Vergleich zeigt, wie absurd die meisten Medien-Schlagzeilen über die «Pestizid-Hölle Schweiz» sind.

Der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm wurde willkürlich festgelegt

«Im ganzen Kanton Bern gibt es keine einzige Wasserfassung, bei der man von einem ernsthaften Gesundheitsrisiko sprechen müsste!» erklärte der Berner Regierungspräsident Christoph Ammann schon 2021 kategorisch.

«Bei uns kann man bedenkenlos in jeder Gemeinde das Wasser aus jedem Wasserhahn trinken», erklärte auch Alda Breitenmoser, Leiterin des Amtes für Verbraucherschutz im Kanton Aargau, dessen Grundwasser schweizweit am stärksten belastet ist: «Die Schlagzeilen von der Pestizid-Hölle Schweiz sind reine Hysterie!»

Die Fakten sind klar: In der Schweiz gilt bei Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird, für Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe und deren Metaboliten (Abbauprodukte) ein Grenzwert von 0,1 µg (Mikrogramm) pro Liter. Das sind umgerechnet:

  • 0,1 µg (Mikrogramm)
  • 0,0001 mg (Milligramm)
  • 0,0000001 gr (Gramm)

Der Wert von 0,1 mg wurde nicht mit toxikologischen Studien ermittelt, er sagt also nichts über das Gesundheitsrisiko aus. Vielmehr ist es ein historischer Grenzwert aus der Zeit, als man niedrigere Konzentrationen gar nicht messen konnte und das Wasser deshalb bei weniger als 0,1 mg pro Liter als unbelastet und rein angesehen hat.

Viele Labors im Ausland haben die Analyse-Methoden noch gar nicht, mit denen dieser Grenzwert gemessen werden kann. Im Gegensatz zum Schweizer Wasserforschungsinstitut (Eawag), das damit eine Hysterie um die «Pestizid-Hölle Schweiz» auslöste.

Das Fungizid Chlorothalonil im Schweizer Trinkwasser

Der Wirkstoff Chlorothalonil wird seit 1966 verkauft. Über fünfzig Jahre lang galt Chlorothalonil als unbedenklich. Die Schweizer Landwirte sprühten Chlorothalonil auf Kartoffeln, Getreide und Gemüse, um sie vor einem Totalverlust der Ernte durch Pilzbefall zu schützen.

Chlorothalonil ist aber auch in vielen Holzschutzmitteln, weshalb auch in Trinkwasser-Fassungen weitab vom Ackerbau der Grenzwert von 0,1 mg pro Liter überschritten wird.

Das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag hat in den letzten Jahren an 600 Messstellen das Trinkwasser analysiert. Mit neuen Analyse-Methoden wurde in einigen Gemeinden eine Konzentration der Chlorothalonil-Abbauprodukte gemessen, die bis zu 25 Mal höher war als der Grenzwert von 0,1 mg pro Liter.

Im Januar 2019 veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA eine Chlorothalonil-Studie mit dem Fazit: «Eine Gesundheitsgefährdung durch Chlorothalonil-Abbauprodukte kann nicht ausgeschlossen werden».

Im Dezember 2019 verbot deshalb das Bundesamt für Landwirtschaft BLW den Einsatz von Chlorothalonil in der Schweiz mit Wirkung auf den 1. Januar 2020.

Kein Witz: Chlorothalonil ist harmloser als ein Glas Whisky

Ein Spezialist im Bundesamt für Landwirtschaft BLW sprach damals von einem «Furz im Wasserglas». Andere Fachleute begegneten der Hysterie mit Galgenhumor.

Der Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin verglich Chlorothalonil mit Whisky. Dieser enthält mit 40 Prozent Alkohol ein Zellgift, das nachweislich Leberkrebs verursacht: «Mit einem einzigen Glas Whisky nehmen Sie eine viel grössere Menge an toxischen Substanzen ein, als wenn Sie einen Liter von unserem Wasser trinken.»

Die maximal erlaubte Tagesdosis ETD für Chlorothalonil liegt bei 0,015 Milligramm pro Kilo Körpergewicht. Für mich wären das 90 × 0,015 Milligramm = 1,35 Milligramm. Diese ETD könnte ich medizinisch unbedenklich ein Leben lang jeden Tag einnehmen.

Der Trinkwasser-Grenzwert liegt in der Schweiz bei 0,1 Mikrogramm (oder 0,0001 Milligramm) Chlorothalonil oder dessen Metaboliten pro Liter. Ich müsste also Unmengen Grundwasser trinken, um diese Menge Chlorothalonil oder dessen Metaboliten aufzunehmen: nämlich 13 500 Liter Grundwasser pro Tag, was rund 100 Badewannen entspricht.

Absurderweise gilt in der Schweiz zum Beispiel für Erdbeeren ein Grenzwert von 5 Milligramm Chloro-thalonil pro Kilo Erdbeeren. Um die ETD nicht zu überschreiten, dürfte ich nur 90 × 3 Gramm = 270 Gramm Erdbeeren pro Tag essen.

Synthetische Pestizide sind oft weniger schlimm als Bio-Mittel

Planzenschutzmittel müssen toxisch sein, weil sie das Wachstum von Unkräutern, die Entstehung von Schimmel oder den Befall durch tierische Schädlinge verhindern sollen. Die alten Römer haben deshalb die Begriffe «pestis» (Schädling oder Seuche) und «caedere» (töten) zum Namen Pestizid zusammengesetzt. Nomen est omen.

Ein gesundes Pflanzenschutzmittel wäre ein Widerspruch in sich. Umgekehrt könnte eine Landwirtschaft ohne Pflanzenschutzmittel unsere Nahrungsmittelversorgung nicht sicherstellen.

Ohne Pflanzenschutzmittel hätten konventionelle Landwirte bei den wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen wie Zuckerrüben, Kartoffeln, Gerste, Mais oder Weizen Ernteverluste von 50 bis 80 Prozent. Und im dümmsten Fall mit 100 Prozent einen Totalausfall der Ernte.

Deshalb schützten schon die Römer und alle nachfolgenden Kulturen ihre Nutzpflanzen mit Pestiziden wie Arsen, Quecksilber, Blei und Kupfer. Im frühen 20. Jahrhundert kamen syn mit thetische Pflanzenschutzmittel wie DDT und Lindan auf. Wie man heute weiss, sind das alles Wirkstoffe mit einer sprichwörtlich todsicheren Erfolgsquote – auch beim Menschen.

Heute sind Tausende von natürlichen und synthetischen Pflanzenschutzmitteln verfügbar. Natürlich oder synthetisch – aus toxikologischer Sicht macht das keinen Unterschied. Die Synthetisierung kann sogar nachhaltiger sein. Und manchmal haben Pflanzenschutzmittel der Bio-Landwirtschaft schlimmere Auswirkungen als jene der konventionellen Landwirtschaft.

Bio-Kupferkalk-Brühe und das Bio-Insektizid Pyrethrum

Bio-Landwirte setzen zum Schutz von Obst, Weintrauben und Kartoffeln zum Beispiel eine natürliche Kupferkalk-Brühe ein – euphemistisch als «Bordeaux-Brühe» bezeichnet. Im Schnitt 2,5 Kilo pro Hektar und Jahr im Weinbau und 6,0 Kilo im Obstbau. Bis Mitte der 1970er-Jahre waren es sogar horrende 60 Kilo Kupferkalk-Brühe pro Hektar und Jahr.

Bio-Landwirte (und immer mehr konventionelle Landwirte, die es gut meinen) brauchen das Schwermetall zur Sicherung ihrer Ernte und damit ihrer Existenz. Es tötet aber Vögel, Hasen, Maulwürfe, Mäuse, Igel, Regenwürmer und Fische – und ist für Menschen gesundheitsschädlich. Und das natürliche Pflanzenschutzmittel Kupfer kriegt man nie wieder aus dem Boden (was man angesichts der 60 Kilo pro Hektar in früheren Jahrzehnten gar nicht wissen möchte).

Für das ebenfalls im Bio-Landbau zugelassene Insektizid Pyrethrum werden wiederum in Afrika, Südamerika und Tasmanien in riesigen konventionellen (also nicht Bio-)Monokulturen Chrysanthemen angepflanzt. Für die weltweit verkauften 500 Tonnen Pyrethrum müssen auf Tausenden Hektaren über 20'000 Tonnen Chrysanthemen-Blüten geerntet und getrocknet werden.

Die Bio-Landwirte setzen Pyrethrum unter anderem bei Obst und Beeren, Salaten und Küchenkräutern gegen Blattläuse und andere Krabbeltiere ein. Leider tötet Pyrethrum auch alle Nützlinge. Und wenn es ins Wasser gelangt, vergiftet Pyrethrum die Fische.

Nur nebenbei: In Floh-Halsbändern für Hunde hat es auch Pyrethrum. Ich habe es lieber, wenn sich mein Hund mal kratzt ...

Das Herbizid Glyphosat in unseren Lebensmitteln

AboEin Kanister mit dem Glyphosat-Produkt «Roundup» von Monsanto (Symbolbild: «die grüne»)GlyphosatGlyphosat – Zahlen, Daten und Fakten zu den 15 wichtigsten FragenMittwoch, 28. August 2019 Glyphosat kam 1974 auf den Markt und ist heute mit jährlich 800'000 Tonnen das weltweit am weitesten verbreitete Herbizid.

Lange Zeit galt Glyphosat als das beste Unkrautbekämpfungsmittel, weil es eine extrem breite Wirksamkeit hat und seine Auswirkungen auf Menschen, Säugetiere und Umwelt vergleichsweise moderat sind. Seit 2010 gibt es sogar ein Patent für Glyphosat zur Therapie von Malaria.

Aufgrund neuer Forschungsergebnisse verzichten viele Schweizer Landwirte freiwillig auf Glyphosat. Die Verkaufsmenge an Glyphosat ist seit 2008 um 45 Prozent auf 186 Tonnen pro Jahr zurückgegangen.

So viel muss man essen und trinken, damit Glyphosat schaden könnte

Trotzdem ist Glyphosat heute noch in Lebensmitteln zu finden. 2016 untersuchte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit BLV 243 Lebensmittel. Im Unterschied zu Untersuchungen im Ausland nicht «querbeet» durch den Supermarkt – sondern nur jene Lebensmittel, bei denen explizit Glyphosat-Rückstände erwartet wurden. Und es wurde eine neue, extrem sensitive Analyse-Methode angewendet.

In 40 Prozent der auf Verdacht ausgewählten Lebensmittel wurden Glyphosat-Rückstände nachgewiesen. Vor allem in Teigwaren und Frühstücks-Flocken wie Cornflakes und Hülsenfrüchten, die aus dem Ausland kommen. «Die Konzentrationen liegen aber immer weit unter den geltenden Höchstwerten und sind gesundheitlich unbedenklich», betonte das BLV.

Die Erlaubte Tagesdosis ETD für Glyphosat beträgt 0,5 Milligramm pro Kilo Körpergewicht. Bestimmt wird diese ETD, indem die höchste Dosis, bei der keine (!) toxischen Effekte auftreten, durch 100 dividiert. Man gibt also einen Sicherheitsfaktor von 100 dazu auf einen Wert, bei dem nie Schäden auftreten.

Bei den oben erwähnten Untersuchungen hat das BLV in Teigwaren die höchste Konzentration gefunden: 0,421 Milligramm pro Kilo Teigwaren. Müssen wir jetzt unsere Italien-Ferien rein Pestizid-technisch streichen?

Kaum. Für meine 90 Kilo liegt die Erlaubte Tagesdosis, die ich ohne gesundheitliche Folgen täglich ein Leben lang aufnehmen kann, bei 90 × 0,5 Milligramm = 45 Milligramm pro Tag. Questo mi fa piacere: Ich kann für den Rest meines Lebens jeden Tag (!) 108 Kilogramm Teigwaren essen.

Auch von anderen Lebensmitteln müsste ich unglaubliche Mengen essen und trinken, um die Erlaubte Tagesdosis zu erreichen: Zum Beispiel 982 Kilogramm Brot oder 2400 Liter Wein. Prost!

Das Fazit meiner Recherchen zu Chlorothalonil und Glyphosat

Wenn ich mir alle Zahlen und Fakten anschaue, dann kann man tatsächlich bedenkenlos in jeder Gemeinde das Wasser aus jedem Wasserhahn trinken. So, wie es die Leiterin des Amtes für Verbraucherschutz im Kanton Aargau erklärte.

Und es gibt keine einzige Wasserfassung, bei der man von einem ernsthaften Gesundheitsrisiko sprechen müsste. So, wie es der Berner Regierungspräsident Christoph Ammann betonte.

Das Schweizer Grundwasser und damit auch das Trinkwasser hat trotz den nun messbaren Rückständen von Pflanzenschutzmitteln – und vielen anderen Einflüssen – eine Qualität, die weltweit Spitzenwerte erreicht und in vielen Ländern schlicht undenkbar ist. Die Schlagzeile von der «Pestizid-Hölle Schweiz» ist – Tschuldigung – tatsächlich ein Furz im Wasserglas.