Die Schweizerische Volkspartei SVP fordert als Folge des Krieges in der Ukraine einen «Plan Wahlen 2.0». Bis Ende März 2022 solle der Bundesrat aufzeigen, wie die Versorgungssicherheit der Bevölkerung sichergestellt werden kann. Konkret sollen mit einer «Anbauschlacht» wie im Zweiten Weltkrieg Biodiversitäts-Massnahmen rückgängig gemacht und stattdessen Nahrungsmittel angepflanzt werden.
Was fordert die SVP mit dem «Plan Wahlen 2.0»?
[IMG 2] In einer Medienmitteilung zur «Ernährungssicherheit: SVP fordert Plan Wahlen 2.0» erklärt die SVP, «seit Jahren sinkt der Selbstversorgungsgrad der Schweiz – das Resultat einer ideologisch verblendeten links-grünen Politik, welche die inländische Produktion schwächt und dafür die Schweiz noch mehr von ausländischen Lebensmittel-Importen abhängig macht.»
Tatsächlich liegt der Selbstversorgungsgrad SVG seit 1990 konstant bei plus/minus 60 Prozent – aktuell bei 57 Prozent – wie die Statistik der Schweizer Bauernverbandes zeigt.
Für die Schweizer Versorgung seien auch die Dünger-Importe aus der Ukraine und Russland wichtig, erklärt die SVP in ihrer Medienmitteilung weiter. 2021 wurden 24’000 Tonnen Düngemittel in die Schweiz exportiert, 14’000 Tonnen davon waren Stickstoffdünger. Zudem kommen viele Importe aus der EU ursprünglich aus der Ukraine.
Der Krieg in der Ukraine habe direkte Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit der Schweiz mit Nahrungsmitteln und Futtermitteln sowie Dünger, heisst es in der Medienmitteilung.
Die SVP fordert deshalb einen «Plan Wahlen 2.0» («Der Plan Wahlen im Zweiten Weltkrieg» siehe Kästchen am Schluss dieses Beitrages): «Der Bundesrat soll bis Ende März 2022 aufzeigen, wie die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sichergestellt werden kann.» Konkret solle der Bundesrat (Zitat aus der SVP-Medienmitteilung):
- Den Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln zeitnahe und massiv erhöhen;
- Eine möglichst hohe Produktion von Nahrungs– und Futtermitteln im Inland sicherstellen;
- Sämtliche ideologischen links-grünen Agrar- und Öko-Projekte sistieren, die den Selbstversorgungsgrad und die Produktivität der Schweizer Landwirtschaft senken;
- die Pflichtlager laufend überprüfen und die Pflichtlagerhaltung erhöhen.
Wie wird der Selbstversorgungsgrad eines Landes berechnet?
Der Selbstversorgungsgrad brutto ist die Differenz der Inland-Produktion zum inländischen Gesamt-Verbrauch.
Beim Selbstversorgungsgrad netto wird die tierische Inland-Produktion um jenen Anteil reduziert, der mit importierten Futtermitteln produziert wird.
Bauernverbands-Präsident Markus Ritter verteidigt den «Plan Wahlen 2.0»
[IMG 3] Der Präsident des Schweizer Bauernverbandes SBV, Markus Ritter verteidigt den «Plan Wahlen 2.0» der SVP in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen, «weil die Schweiz sehr viele Lebensmittel importiert, aktuell über 40 Prozent. Und bei diesem Vorstoss geht es vor allem darum, dass wir unsere Produktion erhalten.»
«Wir haben in der Schweiz 18 Prozent Biodiversitäts-Förderflächen am gesamten Kulturland, weit über den 7 Prozent, die wir gemäss den Vorgaben des Bundes haben müssten. Jetzt sollen auf den besten Böden, den Ackerböden, nochmals 3,5 Prozent ausgeschieden werden. Das finde ich in der heutigen Zeit nicht richtig. Dort, wo wir Brot produzieren können, sollten wir das auch tun.»
Ritter verteidigt auch die Tatsache, dass es für einen höheren Selbstversorgungsgrad mehr Stickstoffdünger braucht, der ausgerechnet in Russland und in der Ukraine aus Gas produziert wird: «Wenn diese Dünger fehlen, wird die Produktion in der Schweiz und weltweit deutlich zurückgehen.»
«Wir wollen einfach nicht 20 Produzent reduzieren, wie der Bundesrat das möchte, sondern realistische 10 Prozent. Wir müssen so viel düngen, wie die Pflanzen brauchen, dass sie gut wachsen, gute Erträge bringen. Und das ist gerade in der jetzigen Zeit sicher wichtig.»
Die SVP-Forderungen nach einem «Plan Wahlen 2.0» sind ein Schuss durch das eigene Knie in den Ofen
Die Erfolgaussichten der SVP-Forderungen sind allerdings so klein, dass man von einem Schuss in den Ofen sprechen muss. Massnahmen wie die geplanten Biodiversitätsflächen und die Extenso-Programme für Getreide sind das Ergebnis von langwierigen politischen Prozessen, die sich nicht über Nacht umstossen lassen. Mit einer erneuten «Anbauschlacht» erhöht sich nur die Abhängigkeit von Futtermittel- und Kunstdünger-Importen.
Genau genommen sind die SVP-Forderungen nach einem «Plan Wahlen 2.0» sogar ein Schuss durch das eigene Knie in den Ofen: Denn das zweite Kern-Element des Original-«Plan Wahlen» 1940 war die Umstellung von der Graswirtschaft auf Ackerbau. Sprich: Eine massive Reduktion der Nutztierhaltung. Das dürfte den SVP-Wählern und vor allem den Schweizer Landwirten gar nicht schmecken und ist vor der Massentierhaltungs-Initiative strategisch suboptimal.
Der «Plan Wahlen» im Zweiten Weltkrieg
Mit dem «Plan Wahlen» (benannt nach Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, der von 1936 bis 1942 auch «die grüne»-Chefredaktor war) wollte die Schweiz im Zweiten Weltkrieg ihren Selbstversorgungsgrad erhöhen, um bei einem Embargo von Deutschland und Italien genug Lebensmittel zu haben.
Mit einer «Anbauschlacht» wurden öffentliche Parks und Sportplätze in Kartoffeläcker und Weizenfelder umgewandelt. Die Bilder, die der Fotograf Hans Staub 1943 von der Getreide- und Kartoffel-Ernte auf dem Sechseläuten-Platz machte, sind ikonisch.
Als Wahlen seinen «Plan Wahlen» Mitte der 1930er Jahre entwarf, ging es ihm nur am Rande um die Nahrungsmittelbeschaffung in einem allfälligen Krieg. Vielmehr plante er eine Umstellung der Schweizer Landwirtschaft von der (auf den Export ausgerichteten) Milchwirtschaft hin zum subventionierten Getreideanbau.
Entgegen der weit verbreiteten Meinung hielt sich der Erfolg der «Anbauschlacht» aber in engen Grenzen: Der Selbstversorungsgrad SVG wurde nur von 52 auf 59 Prozent erhöht. Und das auch nur, weil die durchschnittliche Kalorienmenge pro Person von 3200 auf 2200 kcal reduziert wurde.Von der Selbstversorgung blieb die Schweiz weit entfernt.
Heute liegt der SVG bei 57 Prozent, also nur minim unter jenem des vermeintlich erfolgreichen «Plan Wahlen», der 1945 beendet wurde.