Im Laufe des Jahres 2022 stellen wir der Mit-Initiantin der Massentierhaltungs-Initiative MTI, Meret Schneider, und je einem Vertreter der Halter von Schweinen und Rindern, Geflügelmästern und Eierproduzenten dieselben Fragen. So erhalten wir interessante «Pro & Contra» zur Massentierhaltungs-Initiative MTI und deren Folgen.

Im dritten «Pro & Contra» stehen sich gegenüber:

DossierZwei Muttersauen mit ihren Ferkeln in einem Gruppensäugestall.Volksinitiative 2022Massentierhaltungs-Initiative MTIDonnerstag, 28. Oktober 2021 Abstimmungs-Termin für die Massentierhaltungs-Initiative MTI ist der 25. September 2022.

«die grüne» befasst sich schon seit September 2021 intensiv mit der Schweizer Nutztier-Haltung, so dass Sie bis zur Abstimmung ein umfangreiches Dossier in der Hand haben. In gedruckter Form sind es rund 80 Seiten, die Sie selbstverständlich auch auf unserer Website lesen können (siehe Link im Kästchen).

Alle «Pro & Contra» finden Sie in unserem MTI-Dossier.


Wo beginnt und wo endet Massentierhaltung?

Der Begriff Massentierhaltung bezeichnet sehr vage die Intensivhaltung einer grossen Anzahl von Tieren. Wo genau beginnt die Massentierhaltung für Mastpoulets und wo sind die zumutbaren Grenzen nach unten respektive oben?

Schneider: Bei den Masthühnern treten die Auswüchse der Massentierhaltung klar hervor. Mastpoulets werden in Herden bis zu 27 000 Tieren gehalten, mit 15 Tieren/m2 ein immenser Stress für die Tiere. Laut MTI wären maximal 2000 Tiere vertretbar, in Kombination mit Weide-zugang und mehr Platz ein akzeptabler Kompromiss.

Viel wichtiger ist jedoch die Intensivmast. Die frisch geschlüpften Küken von Hochleistungs-Hybriden werden aus ausländischen Grossbrütereien in die Schweiz importiert. Der Küken-Transport aus dem Ausland dauert bis zu 48 Stunden, obwohl Tiertransporte in der Schweiz auf acht Stunden beschränkt sind.

Diese Hochleistungs-Hybriden werden dann in Schweizer Mastbetrieben in vier bis fünf Wochen vom 60-Gramm-Küken zum 2 kg schweren Masttier gemästet.

Waldvogel: Der Begriff «Massentierhaltung» ist weder eine wissenschaftlich noch ethisch fundierte Definition, weshalb wir ihn nicht verwenden. Wir sprechen vom Tierbestand und dieser hat nichts mit dem Tierwohl zu tun, also dem eigentlichen Anliegen der MTI.

Die Schweiz begrenzt den Tierbestand bereits durch die Höchstbestandesverordnung – übrigens als einziges Land weltweit. Diese Höchstbestände zu erhöhen, wird nicht beabsichtigt. Sie zu senken führt aber nicht zu einer Erhöhung des Tierwohls, weil für jedes Tier exakt gleich viel Platz zur Verfügung steht.

Die Tierzahlen sind bei Hühnern naturgemäss grösser:250 Mast-Poulets entsprechen einer Grossvieheinheit GVE oder anders herum gerechnet:70 Milchkühe entsprechen 17 500 Mastpoulets.

Was kostet mehr Tierwohl den Landwirt?

Eine Reduktion der Bestände von Mastpoulets auf den von der MTI geforderten Bio-Suisse-Standard erforderteinschneidende Massnahmen. Wie hoch wäre der finanzielle Aufwand und wer soll das finanzieren?

Schneider: Eine Umstellung auf kleinere Herden und Auslauf würde der Umstellung eines Betriebes auf BTS und RAUS entsprechen. Das wäre billiger als eine Umstellung auf Bio, da für das Tierwohl nicht relevante Faktoren wegfallen.

Diese Kosten müssen nicht die Bauern selber tragen.Der Bund müsste diese Kosten übernehmen als Ersatz der bisherigen BTS- und RAUS-Programme.

Und 80 Prozent der Konsumenten wären bereit, mehr zu bezahlen, wenn dadurch mehr Tierwohl garantiert wird.

Waldvogel: Die Bio Richtlinien 2018 erlauben nur 500 Mastpoulets in einem mobilen Stall. Für diese Reduktion müssten 24'000 neue Mobilställe gebaut werden.

Die Auflagen von Raumplanung, Luftreinhaltung und Landschaftsschutz schränken aber den Bau neuer Ställe bereits heute ein oder verbieten diesen gar.

Die Konsequenz der MTI wäre also eine massive Reduktion der Schweizer Poulet-Produktion – und dafür mehr Importe aus Ländern mit schlechteren Haltungsbedingungen.

Wie werden die Importe kontrolliert?

Dürfen mit der Massentierhaltungs-Initiative Mastpoulets oder Pouletfleisch aus dem Ausland importiert werden? Oder sollte der Bund Import-Vorschriften erlassen? Wie können solche kontrolliert werden?

Schneider: Die MTI verbietet den Import von Tierprodukten und damit auch von ausländischem Geflügelfleisch, das nicht Schweizer Standards entspricht.

Mit der vom Parlament schon beschlossenen Deklarationspflicht von nicht nach Schweizer Standards produzierten Tierprodukten müssen solche Kontrollen künftig sowieso durchgeführt werden. Der Bund muss also unabhängig von der MTI Kontrollen für die Einfuhr von Mastpoulets und Pouletfleisch durchführen.

Waldvogel: Importvorgaben oder ein Importverbot sind aus Gründen des Freihandels und des Marktzutrittes von Importen als Gegengeschäft für Exporte gar nicht möglich. Ein Drittel der Poulets werden heute importiert,vor allem aus Brasilien, wie soll dort kontrolliert werden?

Unsere Gesellschaft will mehr Tierwohl und höhere Produktionsauflagen – viele Konsumenten müssen oder wollen aber auf den Preis achten. Ein Importverbot würde lediglich den Einkaufstourismus fördern.

Wie sieht der perfekte Geflügelstall aus?

Wie sieht für Sie die perfekte Lebens-Umgebung für Mastpoulets aus?

Schneider: Eine ideale Lebensumgebung für Masthühner ist mit einer auf Produktion ausgerichteten Landwirtschaft kaum vereinbar, daher müssen wir hier Kompromisse eingehen.

Hühner würden idealerweise in Scharen von bis zu 30 Tieren mit einem Hahn leben, hätten täglich Weidezugang und wären von älteren Rassen wie Bielefelder Kennhühner oder Maranser.

Weil dies heute unrealistisch ist, wären gemäss MTIauch Bestände bis zu 2000 Tieren vertretbar, solange sie täglich Weidezugang haben und keine Hochleistungs-Hybriden sind.

Waldvogel: Schweizer Geflügelställe kommen der perfekten Umgebung für Mastpoulets sehr Nahe! Verglichen mit dem Ausland ist die Schweiz punkto Tierwohl weit voraus.

97 % sind im BTS-Programm mit einem Aussenklimabereich. Bei Freiland- und Bio-Labels zudem mit Weide, obwohl Hühner keine Weidetiere sind und sich nicht von Gras ernähren.

Hühner mögen keine freien, offenen Flächen, sind lieber im Stall und Aussenklimabereich! Unsere Mastpoulets könnenihr natürliches Verhalten auch in grossen Tierbeständen ausleben.

Wer bezahlt schliesslich das Tierwohl?

Wie schätzen Sie die Bereitschaft des Detailhandels und der Konsumenten ein, die mit der MTInötigen Preiserhöhungen für Schweizer Geflügelfleisch den Landwirten zu vergüten?

Schneider: Die Bauern müssten bei der Umstellung vom Bund unterstützt werden. Vor allem müssten aber die Preise für Geflügelfleisch steigen und die Detailhändler ihre überhöhten Margen auf tierfreundlicherem und Bio-Fleisch stark senken.

Die Bereitschaft der KonsumentInnen steht und fällt mit dem Stand der Information: wenn klar kommuniziert wird,warum ein Produkt teurer ist, welchen Mehrwert damitfür das Tier und die Bauern generiert wird, steigt die Bereitschaft massiv, einen höheren Preis zu zahlen.

Wir müssen weniger konsumieren, dafür tierfreundlicher.Um ein «weniger» kommen wir nicht herum,das muss den KonsumentInnen klar kommuniziert werden.

Waldvogel: Im Schweizer Detailhandel werden nur 8 % des Geflügelfleisches aus Freilandhaltung gekauft. Freiland- und Bio-Poulets sind den KonsumentInnen zu teuer, sie fordernhohe Tierhaltestandards, kaufen aber billiges Fleisch.

Weil der Markt es alleine nicht richtet, muss der Bundheute Förderbeiträgen für BTS- und RAUS-Haltung zahlen.

Wenn die Produktionskosten und Verkaufspreise vonGeflügelfleisch nicht mehr von einer Mehrheit der Schweizer KonsumentInnen bezahlt werden wollen oder können, werden wir Produzenten aussteigen und das Geflügelfleisch kommt aus dem Ausland. Damit wäre niemandem gedient, am wenigsten den Tieren.

Wie berichtet «die grüne» über die Massentierhaltungs-Initiative MTI?

«die grüne» beschreibt die Nutztier-Haltung aus verschiedenen Perspektiven: Zu den Autoren gehören neben Redaktorin Deborah Rentsch und Chefredaktor Jürg Vollmer auch Fachleute wie Hansuli Huber (Ex-Geschäftsführer vom Schweizer Tierschutz STS).

Eine Besonderheit unserer Fachzeitschrift sind die Opposite Editorials (für die es keinen passenden deutschen Begriff gibt). Gemeint sind Kommentare, die bewusst von der Redaktionslinie abweichen. «die grüne» wird zum Beispiel der Initiantin Meret Schneider Raum geben, in dem die Nationalrätin ohne redaktionelle Eingriffe ihren Standpunkt vertreten kann.

Und natürlich veröffentlichen wir auch die Leserbriefe zu unseren MTI-Beiträgen. Schreiben Sie uns Ihre Meinung zur MTI in den Kommentaren!

Die Massentierhaltungs-Initiative MTI

Die vom Verein Sentience Politics und der Nationalrätin Meret Schneider (Grüne / ZH) lancierte Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz» (Massentierhaltungs-Initiative MTI) will die Massentierhaltung in der Schweiz verbieten und die Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Nutztier-Haltung in die Verfassung aufnehmen.

Der Bund soll Kriterien für die Unterbringung, den Auslauf, die Anzahl gehaltener Tiere und die Schlachtung festlegen. Die Anforderungen sollen mindestens den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen. Die neue Verfassungsbestimmung soll auch für den Import tierischer Produkte gelten.