Die erste thermische Beizanlage zur ökologischen Saatgut-Behandlung bei Getreide in der Schweiz ist in Betrieb genommen worden. Die zur Fenaco gehörende UFA-Samen investierte 3 Mio Franken in diese thermische Beizanlage, die in Lyssach BE aufgebaut wurde. Diese wird den Einsatz von chemisch-synthetischen Beizmitteln stark reduzieren.
Die Schweizer KonsumentInnen wünschen zunehmend Getreide, das ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel produziert wurde. «Ohne Pflanzenschutzmittel sinken aber die Qualität, die Erträge und das Hektolitergewicht der Getreideernte», erklärt Jürg Jost, Leiter von UFA-Samen – erst recht nach dem sprichwörtlich «verhagelten» Sommer 2021.
Wieso braucht es eine Saatgut-Behandlung?
Eine Saatgut-Behandlung schützt keimende Nutzpflanzen, indem sie Krankheiten abtötet, die sich auf dem Korn oder im Korn befinden, u.a.:
- Schneeschimmel (Microdochium majus)
- Stinkbrand und Zwergbrand (Tilletia caries / Tilletia controversa)
- Flugbrand (Ustilago spp.)
Diese samenbürtigen Krankheiten führen zu hohen Ertragsverlusten. Zudem gefährdet der Stinkbrand mit seinen Stoffwechsel-Produkten die Gesundheit von Mensch und Tier.
Die Nachfrage nach ökologischer Saatgut-Behandlung wächst
Aktuell werden in der Schweiz jährlich 19'500 Tonnen Getreide-Saatgut chemisch-synthetisch gebeizt. Der Schweizer Bio-Markt ist dagegen mit 2600 Tonnen Saatgut vergleichsweise klein. Dieses Saatgut für den Bio- und IP-Suisse-Markt bleibt ungebeizt oder wird mit Bio-Beizmitteln behandelt.
Die Nachfrage nach Schweizer Bio-Brotgetreide wird in den nächsten Jahren stark anwachsen. Dies unter anderem, weil Coop bis 2027 für seine Bio-Brote nur noch Schweizer Mehl mit der Bio-Knospe verwenden will. Zudem zielt der Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundes auf eine Reduktion der chemisch-synthetischen Wirkstoffmengen.
Die Nachfrage nach Alternativen zur bisherigen Beizung von Getreide in der Schweiz ist entsprechend gross. Jürg Jost rechnet sogar damit, dass bis 2030 das gesamte Saatgut für Schweizer LandwirtInnen thermisch behandelt wird.
Die neue Saatgutanlage in Lyssach BE nutzt das Prinzip der thermischen Saatgut-Desinfektion mittels Dampf-Pasteurisierung und verzichtet damit komplett auf chemisch-synthetische Wirkstoffe.
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Mit «ThermoSem» werden in Skandinavien schon 60'000 Tonnen/Jahr behandelt
Die «ThermoSem»-Anlage zur Saatgut-Behandlung wurde von der schwedischen Firma ThermoSeed Global AB entwickelt und in den Niederlanden gebaut. In den letzten Monaten wurde die Anlage in Lyssach aufgebaut.
ThermoSeed ist eine Tochter der Agrar-Genossenschaft Lantmännen («Landwirte»), eine Art schwedischer Fenaco. Für die Entwicklung der Anlage wurde Lantmännen 2021 der Europäische Preis für genossenschaftliche Innovation im Bereich natürliche Ressourcen und Biodiversität überreicht.
Sechs solcher Anlagen sind in Skandinavien schon in Betrieb, zwei in Frankreich. In diesen «grossflächigen» Ländern sind die Anlagen horizontal aufgebaut, in Lyssach erstmals vertikal – die Bauteile stehen hier aus Platzgründen übereinander.
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Nachdem das Saatgut analysiert ist, wird kräftig Dampf gemacht
Bevor die eigentliche thermische Behandlung beginnt, werden Proben des Saatgutes analysiert. Dies geschieht noch in Schweden, soll aber bald bei Agroscope in Reckenholz ZH möglich sein, betont Jost. Mit dem Resultat der Analyse wird die Beizanlage in Lyssach über eine Internetverbindung «eingestellt».
Dann macht der Anlagenführer Dampf, und das im wörtlichen Sinn. Die Anlage kann bis zu 15 Tonnen Saatgut pro Stunde behandeln. Die Kombination von Hitze, Feuchtigkeit und der nötigen Zeitdauer von 60 bis 90 Sekunden unter kontrollierten Bedingungen erlaubt eine Desinfektion des Saatgutes und führt zu Unterdrückung von samenbürtigen Krankheiten.
Das behandelte Saatgut ist danach frei von oberflächlichen Pilzsporen und Staub. Die Saatgut-Keimfähigkeit liegt bei 85 Prozent. An seine Grenzen kommt das thermische Verfahren nur beim Flugbrand: Dieser kann nicht mit Dampf bekämpft werden, weil sich der Erreger im Innern des Samens befinden.
Thermisch behandeltes Saatgut belastet nicht die Atemwege der Landwirtinnen
Die thermische Behandlung ist im Unterschied zur chemisch-synthetischen Behandlung auch für die LandwirtInnen äusserst sicher.
Das ist wichtig, weil sie die einzigen sind, die mit dem gebeizten Saatgut im wörtlichen Sinne in Berührung kommen. Mit der thermischen Behandlung sind die LandwirtInnen nicht mehr Staub ausgesetzt, der von Beizmitteln belastet ist.
Das thermisch behandelte Saatgut kommt unter dem Namen «ThermoSem» auf den Markt
Was die Landwirte natürlich auch interessiert, sind die Kosten: «Das thermisch behandelte Saatgut kostet mehr als das chemisch-synthetisch behandelte Saatgut», erklärt Jürg Jost. Konkret kosten 100 Kilogramm Saatgut:
- 15 Franken aus der thermischen Beizanlage
- 10 Franken als chemisch-synthetisch behandeltes Saatgut
Jost ist überzeugt, dass sich die neue Behandlungsmethode trotz des Aufpreises durchsetzen wird. «Wir haben bereits jetzt viele positive Rückmeldungen von Schweizer LandwirtInnen erhalten. Viele Betriebe suchen nach einer nachhaltigen Alternative zu den herkömmlichen Beizmethoden», sagt er.
Die Fenaco bringt das thermisch behandelte Saatgut in der Schweiz unter dem Namen «ThermoSem» auf den Markt.
Agroscope, FiBL und Fenaco forschen gemeinsam am Saatgut der Zukunft
Die thermische Beizanlage wurde in Schweden entwickelt. Ihre Evaluation für die Schweizer Landwirtschaft ist aber das Resultat einer Forschungskooperation von Fenaco und Agroscope. Dabei wurden Anlagen zur physikalischen Saatgut-Behandlung verglichen, Labor- und Feldversuche mit alternativ behandeltem Saatgut angestellt sowie eine Machbarkeits-Studie erstellt.
Das Resultat ist die thermische Beizanlage in Lyssach, die samenbürtige Krankheiten abtötet. Zusammen mit dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL sucht die Fenaco nun noch eine nachhaltige Lösung gegen bodenbürtige Krankheiten.
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Forschung für Lösungen gegen «bodenbürtigen» Krankheiten
Die thermische Saatgut-Behandlung bekämpft samenbürtige Krankheiten, die auf dem Samenkorn vorkommen. Das Saatgut ist aber auch im Acker von Krankheiten bedroht.
Für die Suche nach einer nachhaltigen Lösung gegen diese «bodenbürtigen» Krankheiten haben das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL und die Fenaco 2021 ein Forschungsprojekt gestartet. Ziel des Projekts ist die Entwicklung biologischer Methoden für einen Schutz gegen bodenbürtige Krankheiten ohne chemisch-synthetische Mittel.
«Die Kombination von thermischer Saatgut-Behandlung für den Schutz vor samenbürtigen Krankheiten und biologischer Behandlung gegen bodenbürtige Krankheiten wird uns neue Dimensionen im alternativen Pflanzenschutz eröffnen», erklärt Michael Feitknecht, Leiter Innovation bei der Fenaco. Projektresultate werden für 2025 erwartet.