Die Eidgenössischen Räte – also der Nationalrat und Ständerat – haben im Juni 2023 in der Sommer-Session eine ganze Reihe Beschlüsse zur Landwirtschafts- und Ernährungs-Politik gefasst: Von den Revisionen des Landwirtschaftsgesetzes und des Raumplanungsgesetzes über zollfreie Butter- und Milch-Importe bis zu schärferen Pestizidregeln beim Lebensmittelimport.

Schlussabstimmungen zum revidierten Landwirtschaftsgesetz und der Änderungen im Tierseuchengesetz

Mit den Schlussabstimmungen haben die eidgenössischen Räte am 16. Juni 2023 die Sommer-Session abgeschlossen. Zwölf Vorlagen sind parlamentarisch unter Dach und Fach, darunter zwei Landwirtschafts-Vorlagen:

– mit 179 zu 0 Stimmen bei 15 Enthaltungen (Nationalrat) und mit 44 zu 0 Stimmen bei 0 Enthaltungen (Ständerat) das revidierte Landwirtschaftsgesetz, welches die Ausrichtung der Agrarpolitik regelt, ohne Klimaziele vorzusehen.

– mit 194 zu 0 Stimmen bei 0 Enthaltungen (Nationalrat) und mit 44 zu 0 Stimmen bei 0 Enthaltungen (Ständerat) technische Änderungen im Tierseuchengesetz, die mit der Agrarpolitik zusammenhängen.

Nationalrat und Ständerat sagen ohne Gegenstimmen Ja zur Revision des Landwirtschaftsgesetzes (Agrarpolitik AP22+)

In der Schlussabstimmung haben der Nationalrat mit 179 zu 0 Stimmen bei 15 Enthaltungen (von SP, Grünen und GLP) und der Ständerat mit 44 zu 0 Stimmen bei 0 Enthaltungen die Revision des Landwirtschaftsgesetzes angenommen, das die Ausrichtung der Agrarpolitik AP22+ regelt.

Im Ständerat hätte die Linke und im Nationalrat mit der Linken auch die GLP gerne mehr ökologische Anliegen eingebracht. Im Nationalrat wurden jedoch rund zwanzig Minderheitsanträge dazu abgelehnt. Im Landwirtschaftsgesetz gibt es deshalb weder einen Absenkpfad für Treibhausgase noch einen Ausbaupfad für mehr Tierwohl.

Die fast schon unendliche Geschichte dazu: Vor zwei Jahren legte das Parlament die Agrarpolitik AP22+ schroff ab und verlangte vom Bundesrat eine Langzeit-Perspektive für die Landwirtschaft. Diese sollte auch Themen wie Ernährungssicherheit und Food Waste beinhalten. Der Bundesrat legte diesen Bericht im Sommer 2022 vor und erntete nun im Parlament Zustimmung.

Der Bundesrat skizzierte in dem Bericht den Weg der Land- und Ernährungswirtschaft bis 2050. Einbezogen hat er die gesamte Wertschöpfungskette, vom Bauernbetrieb über Zwischenhandel und Verarbeitung bis auf den Teller. Die Schweizer Landwirtschaft soll nachhaltig sein und mehr zur Ernährungssicherheit beitragen können als heute.

Gestützt auf den Bericht staffelte das Parlament die Umsetzung der Agrarpolitik:

  1. Der erste Schritt sind die bereits beschlossenen Massnahmen für weniger Risiken durch Pestizide, die derzeit umgesetzt werden und schärfere Auflagen bringen.
  2. Der zweite Schritt sind die nun beschlossenen Beiträge des Bundes für einen obligatorischen Sozialversicherungsschutz und für den Abschluss einer Ernteversicherung sowie Massnahmen im Bereich der Förderung von Forschung und Innovation. Diese werden auf den 1. Januar 2025 in Kraft treten.
  3. Der dritte Schritt soll eine tiefer gehende Reform ab 2030 sein. Im Fokus soll dann das gesamte Ernährungssystem stehen.

Der Schweizer Bauernverband SBV möchte diese Chance dann nutzen, «um eine vielfältige, standortgerechte und auf den Konsum ausgerichtete produktive Landwirtschaft zu erhalten, das Einkommen der Bauernfamilien aus der Landwirtschaft, die Investitions- und Planungssicherheit zu erhöhen und allgemein die Administration zu reduzieren», heisst es in einer SBV-Medienmitteilung mit dem Titel «Vom Feld auf den Teller».

Nationalrat sagt ohne Gegenstimmen Ja zur Revision des Raumplanungsgesetzes

Im zweiten Anlauf nahm der Nationalrat das revidierte Raumplanungsgesetz mit 173 zu 0 Stimmen und mit 13 Enthaltungen an. Die Vorlage wird schon seit 2019 im Parlament hin und her geschoben. Nach dem Entscheid des Nationalrates ist nun der Ständerat (wieder) am Zug, denn noch gibt es Differenzen.

Beide Räte entschieden aber, das revidierte Raumplanungsgesetz zum indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative zu machen. Die Initiative will die Trennung von Baugebiet und Nicht-Baugebiet in die Verfassung schreiben.

Das Ziel der Revision des Raumplanungsgesetzes ist eine «Stabilisierung». Die Kantone müssen im Richtplan festlegen, wie sie ausserhalb der Bauzone die Zahl der Gebäude und das Ausmass der Versiegelung stabil halten wollen. Sie müssen dem Bund regelmässig Bericht erstatten und falls nötig Anpassungen vornehmen.

Neu sollen die Kantone unter gewissen Voraussetzungen Abbruchprämien für solche Gebäude und nicht mehr genutzte Anlagen bezahlen. Würden jährlich 1000 bis 2000 Bauten abgebrochen, wäre mit jährlichen Kosten für die Kantone von 21 bis 66 Millionen Franken zu rechnen, rechnete Ständerat Jakob Stark (SVP/TG) vor.

Im Sinne einer Stabilierung entschied der Nationalrat mit 101 zu 82 Stimmen, dass nicht mehr genutzte Bauernhäuser und an diese Häuser angebaute Ökonomiegebäude nicht zu Wohnzwecken umgenutzt werden dürfen. Vor allem SP, Grüne und GLP wollten nichts von der Möglichkeit wissen, diese Gebäude künftig besser zu nutzen. So warnte Nationalrätin Martina Munz (SP/SH), «solche Umbauten könnten zu Mehrfamilienhäusern mitten auf dem Land» werden.

Nationalrat sagt klar Ja zur Motion «Keine Butterimporte ohne kostendeckenden Milchpreis»

Die Motion «Keine Butterimporte ohne kostendeckenden Milchpreis» von Nationalrätin Meret Schneider (Grüne/ZH) wurde vom Nationalrat mit 107 zu 71 Stimmen bei 9 Enthaltungen klar angenommen. Alle namhaften Bauern-Vertreter stimmten für die Motion.

Aufgefallen ist dagegen die Nein-Stimme von  Jacques Bourgeois (FDP/FR), dem ehemaligen Direktor des Schweizer Bauernverbandes SBV.

Nun muss noch der Ständerat über die Vorlage befinden. Die Chancen für ein Ja dürften dort aber deutlich tiefer sein. Wenn doch, müsste nach Ansicht des Bundesrates «die gesamte Milchmarktordnung geändert» werden. Der Staat müsste dann einen sehr hohen Milchpreis garantieren, um die ganze Bandbreite verschiedener Produzentenkosten abzudecken. Der Bundesrat befürchtete sogar «einen wochenlangen Buttermangel».

Tatsächlich soll der Bund gemäss der Motion nur die Bedingungen zur Bewilligung von Importen so ändern, dass bei genügender Verfügbarkeit mit Schweizer Butter kein Importgesuche mehr bewilligt werden, solange der Milchpreis in der Schweiz nicht die Produktionskosten deckt und die Milchsegmentierung nicht zur Wertsteigerung von Schweizer Milch beiträgt.

Meret Schneider kritisierte als konkretes Beispiel den «Toblerone»-Hersteller Mondelez, der seine Schokolade (noch) in Bern-Brünnen produziert. Mondelez hatte im September 2021 rund 900 Tonnen Butter importiert, zu «Toblerone» verarbeitet und wieder exportiert. «Und dies, obwohl genügend Butter im Inland verfügbar wäre und der Milchpreis in der Schweiz noch immer nicht kostendeckend ist.»

Meret Schneider ging noch einen Schritt weiter: Sie kritisierte die Zusammensetzung der Branchenorganisation BOM Milch, in welcher die Verarbeitungsindustrie übervertreten sei (siehe auch unseren Hintergrundbeitrag «Branchenorganisation Milch nach 15 Jahren: Kann die BO Milch die Wertschöpfung gerecht verteilen?»). Branchenorganisationen wie die BOM Milch seien «nicht auf der Seite der Landwirte, sondern klar von der milchverarbeitenden Industrie geprägt», kritisierte Schneider.

Die BOM stelle Import-Gesuche, obwohl die Produzentenpreise nicht stimmen würden. Seit 2018 sei zwar der Milchpreis von 63 auf 75 Rappen pro Kilo gestiegen. «Seither ist der Milchpreis aber gesunken und wird weiter sinken. Natürlich immer auf Kosten der Landwirte», kritisierte Nationalrätin Meret Schneider. «Dieses ruinöse Milchpreis-Dumping bringt vor allem Kleinbauern in eine prekäre Situation.»

Als nächstes wird sich der Ständerat mit der Vorlage befassen. Dort ist die Hürde aber viel höher als im Nationalrat, denn im Ständerat sitzt Peter Hegglin (Mitte/ZG und Präsident der BOM Milch).

Nationalrat sagt klar Ja zur Motion «Keine zusätzlichen Anreize für Milchimporte»

Die Motion «Keine zusätzlichen Anreize für Milchimporte» von Nationalrätin Meret Schneider (Grüne/ZH) wurde vom Nationalrat mit 105 gegen 64 Stimmen bei 14 Enthaltungen klar angenommen. Alle namhaften Bauern-Vertreter stimmten für die Motion.

Aufgefallen ist dagegen die Nein-Stimme von  Jacques Bourgeois (FDP/FR), dem ehemaligen Direktor des Schweizer Bauernverbandes SBV, und die Enthaltung von Kilian Baumann (Grüne(BE), dem Präsidenten der Kleinbauern-Vereinigung.

Die Motion fordert, dass Käsereien, die ein Importgesuch für Milch für den Veredelungsverkehr stellen, keinen Anspruch mehr auf die Verkäsungszulage haben. Meret Schneider kritisierte als konkretes Beispiel den Milchimport der Käserei Imlig in Oberriet SG. Diese hatte anfang 2021 von der Eidgenössische Zollverwaltung eine Erlaubnis für die zollfreie Einfuhr von 3 Millionen Kilo Milch erhalten, um Exportkäse für Deutschland zu produzieren. Der «Schweizer Bauer» hatte diesen Fall recherchiert und unter dem Titel «Käserei will billige Milch importieren» berichtet.

Solche Gesuche setzen die Schweizer Milchbauern unter Druck, kritisierte Nationalrätin Meret Schneider: «Die Käserei kann künftig bei Kaufverhandlungen damit drohen, für die Produktion von Importkäse europäische Milch zu kaufen – und damit den Preis für die Schweizer Milch drücken.»

Es sei doch absurd, dass deutsche Milch zu Schweizer Käse veredelt werde, obwohl genügend Schweizer Milch vorhanden sei. Möglich sei das nur, weil die Schweizer Käsereien für das Verkäsen von Schweizer Milch mit der Verkäsungszulage quersubventioniert werden», kritisierte Schneider weiter.

Mit der Motion wird der Bund beauftragt, auf Grundlage von Artikel 38 Absatz 2 des Landwirtschaftsgesetzes die Bedingungen für die Vergabe der Verkäsungszulage so zu ändern, dass Käsereien, die ein Importgesuch für Milch für den Veredelungsverkehr stellen, keinen Anspruch mehr auf die Verkäsungszulage haben. Dies gilt auch dann, wenn diese Käsereien neben der Verarbeitung von Importmilch auch aus Schweizer Milch Käse für den Binnenmarkt produzieren.

Als nächstes wird sich der Ständerat mit der Vorlage befassen.

Nationalrat und Ständerat wollen schärfere Pestizidregeln beim Lebensmittelimport

Nach dem Nationalrat nahm auch der Ständerat die Motion «Keine gesundheitsschädigenden Rückstände von verbotenen Pflanzenschutzmitteln in importierten Lebensmitteln» von Nationalrätin Christine Badertscher (Grüne/BE) an.

Der Entscheid fiel mit 20 zu 20 Stimmen bei 2 Enthaltungen und Stichentscheid der Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller (Mitte/TG) so knapp wie nur möglich.

Aufgefallen ist die Nein-Stimme der frisch gewählten Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG), die im Wahlkampf noch «eine überzeugte Vertreterin des Bauernstandes und Bäuerin im Geiste» (Zitat: «NZZ») war.

Gemäss Christine Badertscher geht der Bundesrat heute bei importierten Lebensmitteln in Sachen verbotene Pflanzenschutzmittel weniger streng vor, als bei Schweizer Produkten. Für importierte Nahrungsmittel gälten teils massiv höhere Grenzwerte. Damit gefährde der Bundesrat die Gesundheit der KonsumentInnen und schaffe auch ungleich lange Spiesse für Schweizer Landwirtschaftsbetriebe.

Der Bundesrat hat nun den Auftrag, die Gesundheitsrisiken durch Pflanzenschutzmittel zu vermindern, indem er bei importierten Lebensmitteln:

  • Grenzwerte für Rückstände von in der Schweiz zugelassenen Pflanzenschutzmitteln prüft und reduziert;
  • Rückstände von nicht zugelassenen PSM verbietet und im Besonderen für alle PSM, die aus Gründen des Gesundheits- oder des Umweltschutzes verboten wurden, strikt die Nulltoleranz anwendet;
  • Die Nulltoleranz von 0,01 mg/kg überprüft und gemäss heutigen Laborstandards reduziert;
  • das Kontroll- und Sanktionssystem befähigt, die strikte Einhaltung zu garantieren.

Der Nationalrat will, dass Pflanzenschutzmittelauf natürlicher Basis in der Schweiz gesondert registriert werden

In der Schweiz sollen für den Pflanzenschutz mehr natürliche Stoffe eingesetzt werden. Eine entsprechende Motion zum «Meldeverfahren für Pflanzenstärkungs- und Pflanzenschutzmittel auf Basis von natürlichen Produkten» von Andreas Gafner (EDU/BE) hat der Nationalrat mit 186 Stimmen und 0 Gegenstimmen mit 4 Enthaltungen angenommen.

Produkte zur Stärkung oder zum Schutz von Pflanzen auf natürlicher Basis (wie Pflanzenextrakte, Aktivkohle etc.) sollten in der Schweiz – analog den Meldeverfahren in Deutschland und Frankreich – künftig gesondert registriert werden können. Damit sollen die Schweizer Landwirtschaft und der Gartenbau nicht benachteiligt werden. Solche Stoffe im Inland zu vermarkten, liege im Interesse eines nachhaltigen Pflanzenbaus.

Gesundheitsminister Alain Berset erklärte, dass das Inverkehrbringen von solchen Produkten schon heute möglich sei. Für die Einführung einer neuen Produktkategorie im Gesetz gebe es keinen Anlass.

Als nächstes wird sich der Ständerat mit der Vorlage befassen.