In Ausgabe 7/23 berichtete «die grüne» unter dem Titel «Bei Bio Suisse hängt der Haussegen schief» über die Probleme von Bio Suisse, der wichtigsten Bio-Organisation in der Schweizer Agrarpolitik und im Schweizer Bio-Lebensmittelmarkt.
Im Editorial der gleichen Ausgabe schrieb Chefredaktor Jürg Vollmer einen «Offenen Brief» an Bio Suisse-Präsident Urs Brändli, in dem er vor allem die Abhängigkeit der Bio-Organisation von den beiden marktbeherrschenden Detailhändlern kritisierte («Coop und Migros haben Bio Suisse zu 100 Prozent im Sack!»).
Selbstverständlich geben wir Urs Brändli die Möglichkeit zu einer Stellungnahme, die wir unbearbeitet und ungekürzt publizieren.
Lieber Jürg
Dein «Offener Brief» im Editorial des Juli-Heftes kam just zur rechten Zeit. Vielen Dank für die Einladung, einige Dinge zu bereden.
Gegenüber der Öffentlichkeit, den KonsumentInnen und Politikerinnen konnten wir unsere Sicht der Dinge ja [ein paar Tage nach dem Editorial in «die grüne»] schon in einem grossen Interview für die «CH Media»-Zeitungen darlegen. Schön, dass wir dies nun auch noch für unsere Mitglieder und alle Bäuerinnen und Bauern im Land tun können.
Vor mehr als 40 Jahren begannen ein paar Exoten, Dinge in der Schweizer Landwirtschaft anders zu machen. Heute sind unsere Methoden zur mechanischen Unkrautbekämpfung und natürlichen Schädlingsbekämpfung weitum akzeptiert und werden gerne kopiert. Bio- und Bio-nahe Labels im Inland und Ausland orientieren sich an unseren Richtlinien zur Vergabe der Knospe.
Das sind Erfolge, auf welche die Schweizer Bio-Bewegung stolz sein kann. Jeder und jede Einzelne darf sich ein Stück von diesem Kuchen abschneiden.
Dieser Erfolg ist kein Zufallsprodukt, sondern das Resultat harter Arbeit von Fachgruppen, Kommissionen, vielen ExpertInnen und all den Menschen auf den Bio-Betrieben im Land.
Bei den ganzen Diskussionen und aller Kritik geht eine Sache vergessen: Die Probleme, vor denen auch die Schweizer Landwirtschaft steht, sind real. Der Klimawandel ist schon heute spürbar und die Artenvielfalt schwindet dramatisch. Sie verlangen nach Lösungen, und Bio mit dem Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und Dünger ist eine davon.
Es braucht deshalb einen Wandel unserer Landwirtschaft. Und dabei geht es nicht um Ideologie oder Pragmatismus. Es geht darum, das eine mit dem anderen zu verbinden.
Meine Motivation, mich für den Bio-Landbau einzusetzen, ist nach wie vor die tiefe Überzeugung, dass wir unsere Böden den folgenden Generationen fruchtbarer überlassen müssen, als wir sie damals vorgefunden haben. Nur so können wir auch langfristig die Ernährungssicherheit garantierten.
Kritik aus den eigenen Reihen liegt in der Natur des Wachstums der letzten Jahre von Bio Suisse
Auch bei der Weiterentwicklung unserer Bio Suisse-Richtlinien geht es nicht um schwarz oder weiss, Portemonnaie oder Herz. Auch hier geht es nur, wenn beide Dinge zusammen gedacht werden.
Deshalb setzten wir uns zum Beispiel unlängst mit allen Akteuren der Geflügel- und Eierbranche an einen Tisch und diskutierten das weitere Vorgehen beim Ausstieg vom Kükentöten.
Ein weiteres ehrgeiziges Ziel, mit dem wir den Bio-Landbau und die Marke Knospe weiterentwickeln und attraktiv halten wollen. So reagieren wir nicht nur auf die genannten Probleme, sondern auf die Anforderungen der Gesellschaft an gute Lebensmittel, die das Tierwohl, Biodiversität und die Umwelt schützen.
Wenn nun aus den eigenen Reihen Kritik laut wird, so liegt das in der Natur unseres Wachstums der letzten Jahre. In den letzten zehn Jahren haben mehr als 1500 Betriebe auf die Knospe umgestellt. Es ist logisch, dass die nicht alle auf einer Linie politisieren und teilweise unterschiedliche Ideen für ihre Höfe verfolgen.
Doch diese Diversität der Meinungen hat uns schon immer ausgezeichnet. Und schon immer ist es uns gelungen, in lebhaften Diskussionen an den Delegiertenversammlungen gute Kompromisse für alle auszuhandeln. Das gehört zu Bio Suisse, dafür sind wir bekannt.
Wenn einzelne Landwirtschafts-Betriebe Bio Suisse verlassen, gehen viele Ideen verloren
Ich bedauere es deshalb sehr, wenn nun einzelne Landwirtschafts-Betriebe entscheiden, nicht länger mit der Knospe zu arbeiten, weil wir ihnen zu lasch sind. Mit ihrem Austritt gehen viele Ideen verloren, von denen der Bio-Landbau profitieren könnte.
Anderen gehen wir zu weit. Mir ist klar, dass wir mit unseren Richtlinien hohe Anforderungen an unsere Mitglieder stellen. Dass die Vorgaben zur Fütterung der Wiederkäuer nicht so leicht umzusetzen sind.
Doch ich bin überzeugt: Die Delegiertenversammlung hat damals richtig entschieden und wird langfristig für ihren Mut, ihr vorausschauendes und verantwortungsbewusstes Handeln belohnt. Es ist richtig, das Grasland für die Wiederkäuer zu nutzen und die wertvollen Ackerflächen für die menschliche Ernährung zu reservieren. In der Fruchtfolge finden auch Luzerne und Proteinträger gut Platz.
Wenn ich mit Kollegen im Ausland über die Situation der Schweiz spreche, spüre ich viel Bewunderung, manchmal sogar Neid.
In der Partnerschaft von Coop und Migros mit Bio Suisse profitieren beide Seiten
Wir vergessen allzu oft, in welch privilegierter Situation wir sind. Eine starke Bio-Marke, die sich als Standard für den Schweizer Detailhandel etabliert hat; das macht den Bio-Landbau in der Schweiz so erfolgreich.
Deswegen zu behaupten, wir seien abhängig von den beiden grossen Detailhändlern Migros und Coop, ist falsch. Es ist eine Partnerschaft, in der beide Seiten profitieren. Sie von einer Marke mit hoher Glaubwürdigkeit. Und unser Verband von Lizenzeinnahmen, die wir für die Weiterentwicklung des Bio-Landbaus, die Forschung, und für unsere Mitgliedsorganisationen einsetzen können.
Zum Beispiel dafür, dass die Schweizer Landwirtschaft die Nachfrage nach Schweizer Bio-Produkten decken kann. Neben Weizen suchen wir im Rahmen der Ackerbau-Offensive auch Zuckerrüben, Raps und Sonnenblumen.
Und auch die Einschränkung auf Schweizer Futter bei den Wiederkäuern bietet grosses Potenzial. Eiweissträger, Luzerne und Raufutter sind gefragt. Deshalb braucht es die Ackerbau-Offensive. Sie bedeutet für die umstellenden Betriebe ein Plus an Wertschöpfung und Wertschätzung.
Wir suchen Antworten auf die Fragen der Zukunft und sind dankbar für die kritische Einordnung
Du siehst: Wir arbeiten mit viel Energie an den verschiedenen Fragen, die sich uns stellen und suchen nach den richtigen Antworten für die Schweizer Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern.
Dazu braucht es eine Geschäftsstelle mit Fachleuten und ExpertInnen, die sich überdurchschnittlich für die Anliegen unseres Verbands einsetzen. Der Lohn, den sie dafür erhalten, ist notabene durchschnittlich.
Und ich bin dankbar für die kritische Einordnung durch die Agrar-Presse, also auch für Dein Editorial im Juli-Heft von «die grüne». In diesem Sinne: Wir bleiben in Kontakt.
Herzliche Grüsse
Urs Brändli