Kurz & bündig

- Viele sekundäre Pflanzenstoffe besitzen eine antimikrobielle und antioxidative Wirkung und finden Verwendung in der Human- und Tiermedizin.
- Sie sind auch für den Stoffwechsel und die Gesundheit des Wiederkäuers bedeutsam, indem sie ihn vor dem Verlust von essenziellen Omega-3-Fettsäuren schützen.
- Futter von artenreichen Beständen erhöht den Omega-3-Fettgehalt in der Milch und im Fleisch.
- Der Wiederkäuer besitzt ein ausgeprägtes Geschmackserleben. Er ist wählerisch und kann Kräuter mit sekundären Pflanzenstoffen gezielt aufnehmen.
- Hochwertiges Wiesenfutter sollte nicht nur reich an Nährstoffen sein, sondern auch für die Gesundheit der Tiere wertvolle Kräuter enthalten.

Die Tierernährung beschäftigt sich vor allem mit den primären Pflanzenstoffen, wie Kohlenhydrate, Proteine und Mineralstoffe, die für pflanzenfressende Tiere lebensnotwendig sind. Sekundäre Pflanzenstoffe SPS stehen seltener im Fokus der Tierernährung. Sie sind trotzdem bedeutsam.

Sekundäre Pflanzenstoffe mit vielfältiger Wirkung

Sekundäre Pflanzenstoffe erfüllen wichtige Funktionen im Stoffwechsel der Pflanzen, als Lockstoffe für Insekten, als Farbstoffe oder als antibiotischer Schutz gegen Pilz- oder Bakterienbefall. Manche locken Nützlinge an oder schützen Pflanzen vor Frassfeinden. Und nicht zuletzt sind sie für Mensch und Tier wichtig, betont Florian Leiber, Leiter des Departements für Nutztierwissenschaften und der Gruppe Tierernährung am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL.

Viele dieser SPS (wie Flavonoide, ätherische Öle oder Tannine) haben eine antimikrobielle und/oder eine antioxidative Wirkung. Sie werden deshalb in der Human- und Tiermedizin verwendet, zum Beispiel in desinfizierenden Wundsalben. Kräuter dienen auf Grund ihrer sekundären Stoffe als Heilpflanzen, zum Beispiel Arnika, Calendula oder Schafgarbe.

Brennnesseln und bestimmte Kleearten helfen dank ihrer Gerb- und Bitterstoffe bei Verdauungsstörungen. Kümmel wirkt auf Grund seiner ätherischen Öle beim Menschen regulierend auf die mikrobielle Verdauung im Dickdarm.

Beim Wiederkäuer wirken SPS auf die anaerobe Fermentation im Pansen. Leiber zeigt dies am Beispiel der ungesättigten Omega-3-Fettsäuren. Wiederkäuer sind zum Aufbau von Nervenzellen auf die Zufuhr von ungesättigten Omega-3-Fettsäuren angewiesen, da nur Pflanzen diese aufbauen können. Die Mikroorganismen im Pansen bauen allerdings ungesättigte Fettsäuren in gesättigte um, erklärt der Ernährungsphysiologe.

Um nicht alle Omega-3-Fettsäuren im Pansen durch die Tätigkeit der Mikroorganismen zu verlieren, müssen Wiederkäuer die Fermentations-Aktivität im Pansen kontrollieren. Dabei helfen ihnen antimikrobiell wirkende SPS. Diese können offensichtlich die Sättigung von Fettsäuren im Pansen verlangsamen. Voraussetzung ist natürlich, dass sie im Futter vorhanden sind.

Kühe haben Vorlieben für Pflanzen

[IMG 2]Florian Leiber hat als Doktorand auf der Alp Weissenstein der ETH-Zürich beobachtet, dass Kühe «echte Vorlieben» für bestimmte Pflanzen haben[IMG 3]. Es sind oft Kräuter mit antimikrobiellen Wirkstoffen.

Doch nicht nur Kühe, sondern auch Ziegen und Schafe suchen gezielt nach solchen Kräutern. Das hat Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Fettsäuren im Milchfett. Eine Selektion ist aber nur möglich, wenn eine Auswahl von Kräutern vorhanden ist. Während die Konzentration der Omega-3-Fettsäuren bei Milchkühen auf einer Kunstwiese des Versuchsgutes Chamau der ETH rund 0,8 Prozent betrug, lag diejenige der Kühe auf der Alp Weissenstein bei 1,3 bis 1,5 Prozent.

Bei konventioneller Stallfütterung, bei welcher die Kühe nicht selektieren können, liege sie mitunter bei nur 0,3 Prozent. Auf artenreichen Wiesen ist der Anteil an Omega-3-Fettsäuren in der Milch höher als auf arten-armen, folgert der Forscher. «Die pflanzlichen Sekundärstoffe schützen sie vor dem Abbau im Pansen.»

Als Folge enthält Alpkäse in der Regel mehr Omega-3-Fettsäuren als der Käse von Kühen, die ihr Futter von Kunstwiesen beziehen. Viele Studien zeigen, dass Weidegang und arten-reiches Futter auch zu einem erhöhten Omega-3-Fettsäuregehalt im Fleisch führen. Die Omega-3-Fettsäuren wirken sowohl beim Tier als auch beim Menschen entzündungshemmend und verbessern die Konstitution.

Gleichgewicht zwischen Nähr- und Wirkstoffen ist entscheidend

Eine maximale Fütterungsintensität mit nährstoffreichen Futtergräsern ist nicht das Optimum für den Wiederkäuer, hält Florian Leiber fest. Der Wiederkäuer benötigt ein Gleichgewicht zwischen nährstoffreichen Gräsern und wirkstoffreichen Kräutern. «Ein Kilogramm kräuterreiches Futter pro Tier und Tag dürfte schon viel ausmachen», schätzt der Fütterungsexperte.

Man müsse den Tieren das Gewürz in das Futter zurückbringen. Dazu sei es nicht nötig, den ganzen Futterbau umzustellen. Es dürfte genügen, auf nährstoffarmen Böden kräuterreiche Bestände anzubauen und davon täglich etwas in das Futter zu mischen oder separat anzubieten.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des FiBL (Walkenhorst et al., 2020) wies den positiven Einfluss eines Kräuterfutters auf die Eutergesundheit nach. Die Milch der damit gefütterten Kühe enthielt signifikant weniger somatische Zellen: Die Zellzahl war deutlich tiefer und die Eutergesundheit stabiler als in der Vergleichsgruppe, die mit einem Placebo ohne Kräuter gefüttert wurde. Offensichtlich kommt es für die Gesundheit der Tiere auch darauf an, dass die Ration Kräuter enthält, das heisst, die Futterzusammensetzung vielfältig ist.

SPS als Frasshemmer?
Sekundäre Pflanzenstoffe werden oft als Frasshemmer betrachtet, weil sie «schlecht schmecken». Dies sei aber nur die halbe Wahrheit, erklärt Florian Leiber vom FiBL, da sich die Pflanzenfresser über viele Jahrtausende daran adaptiert haben und durchaus auch von diesen Substanzen profitieren. So wie der Mensch, haben auch Tiere mitunter das Bedürfnis nach Bitterem oder Saurem, weil es ihnen nützt.

Wiederkäuer verfügen über ein intensives Geschmackserleben

«Für die Kontrolle des Pansen-Stoffwechsels ist die gezielte Aufnahme von bitterstoffreichen Pflanzen entscheidend», sagt Leiber. Denn diese können die Fermentationsprozesse bremsen. Die Tiere müssen dazu instinktiv erkennen, welche Pflanzen sie selektieren müssen. Voraussetzung dafür ist ein intensives Geschmackserleben, das sich in der Evolution entwickelt hat. Nicht zuletzt müssen die Tiere erkennen, was für sie giftig ist. Forscher Florian Leiber bezeichnet das Geschmackserleben als eine den Wiederkäuern eigene «Kultur».

Die moderne Rationsgestaltung werde dieser jedoch nicht gerecht. Das könne für das Tier tiefer greifende Folgen haben, als uns das gewöhnlich bewusst wird. Zum Wohlbefinden der Wiederkäuer dürften nicht nur das Freisein von Krankheiten, Schmerzen und Hunger zählen. Dazu gehört auch, ob es dem Tier möglich ist, seine wichtigsten natürlichen Verhaltensweisen auszuführen.

Wie die Bedeutung von sekundären Pflanzenstoffen oft zu wenig erkannt wird, so wird auch das Bedürfnis der Kühe nach Geschmackserleben und Futterwahl oft unterschätzt. «Das wollen wir am FiBL untersuchen», sagt der ganzheitlich denkende Forscher. SPS mittels künstlich hergestellter Konzentrate zu verfüttern, hält der verhaltenskundige Forscher nur bedingt für den richtigen Weg. Denn diese Art der Verfütterung werde dem «Geschmacksverhalten» des Tieres nicht gerecht.

Die Konzentration macht es aus

Es ist nicht immer einfach, die Wirkung von SPS nachzuweisen. «Tannine können dazu beitragen, überschüssiges Protein im Pansen besser zu nutzen», nennt Florian Leiber ein weiteres Beispiel für die positive Wirkung von SPS auf die Verdauung. Dies haben Versuche im Reagenzglas gezeigt, aber in der Praxis habe sich das nicht nachweisen lassen. Es sind in der Praxis oft mehrere Faktoren, die zusammenspielen und es kommt immer auch auf die Konzentration im Futter an.

Besser bekannt ist beim Wiederkäuer die antiparasitäre Wirkung von Tanninen. Sie sind in Esparsette, Zichorien, Spitzwegerich und Wiesenkerbel enthalten, zeigen aber oft nur dann Wirkung, wenn sie in ausreichenden Mengen verfüttert werden. «Das Potenzial ist wohl da, aber das Kosten-Nutzenverhältnis ist schlecht», ergänzt Steffen Werne vom FiBL, der am praktischen Einsatz von Esparsette zur Magen-Darmwurmbekämpfung forscht.

Zum einen seien die Kultivierung und Konservierung der Esparsette aufwändig, zum anderen sei die Therapie von Magen-Darm-Würmern mittels Esparsette kaum möglich. Am ehesten sei eine präventive Strategie erfolgversprechend, wie Fütterungsversuche mit Schafen und Ziegen gezeigt haben. Auch Laubheu von Hasel, Erle oder Esche, welches früher häufig verfüttert wurde, enthält einen hohen Tanningehalt und könnte einen gewissen Schutz vor Magen-/Darmparasiten bieten. Dies wurde aber bisher nicht wissenschaftlich untersucht. Leiber ist optimistisch, was das Potenzial von SPS betrifft. Er empfiehlt, «sich wieder der Pflanzen zu erinnern, die früher zum Menüplan unserer Wiederkäuer gehörten.»

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«Klee, Gras oder Ampferblüten – Kühe sind wählerisch»

(Buchzitat) Erhielten die Kühe ein neues Stück Land, verteilten sich die Herdentiere schnell. Die eine Kuh ging zügigen Schrittes in die Kleematte und graste sie ab. Eine andere widmete sich zuerst dem Gras und erst später dem Klee. Eine dritte ging zielgerichtet ins hohe Gras und frass als Erstes die frischen Blüten des Sauerampfers, «vorsichtig mit ihrem grossen Flotzmaul über die Pflanzen hinwegtastend». Andere Kühe wiederum schienen ziellos zu fressen, jeden Tag etwas anderes. Leiber beobachtete auch, dass die Kühe am Morgen oft etwas anderes frassen als am späten Nachmittag. «Ich sah, dass Kühe echte Vorlieben haben», erzählt Agronom Florian Leiber. «Vorlieben können aber nur entstehen, wenn es Wahrnehmungsfähigkeit gibt.»

Quelle: Florianne Koechlin und Denise Battaglia, 2018, «Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen»

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