Kurz & bündig
– Der Verbiss und der Tritt der Schafe regt Spross- und Wurzelmassen-Entwicklung beim beweideten Getreide an.
– Wegen wärmeren Temperaturen im Herbst gehen Kulturen immer öfter üppig in den Winter und sind so anfälliger auf Pilzkrankheiten.
– Mit der Beweidung von Gründüngungen können Traktor-Stunden eingespart werden, weil auf das Mulchen verzichtet werden kann.
Die Bauern in der Umgebung runzelten die Stirn, als sie im März 2021 die 150 Schafe von Thomas Strebel in Mägenwil AG auf seinem Gerstenfeld sahen. Zur Winterbeweidung – einer in der Schweiz ungewohnten Massnahme – kam Strebel wegen der schlechten Bestockung seiner im Herbst spät ausgesäten Gerste.
Nach der Winterbeweidung entwickelt sich die Kultur sehr gut
In Neuseeland arbeitete der Aargauer Landwirt einst auf einem Betrieb, der Triticale abweiden liess. Dort sah er, wie sich die Kultur danach sehr gut entwickelte.
Deshalb wagte Thomas Strebel das Experiment und schickte seine Schafherde über die Parzelle. Und das lohnte sich: «Es grünte derart gut, dass ich die noch schlechter bestockte Nachbarfläche auch gleich noch überweidete.»
Während die Gersten-Qualität in vielen Regionen der Schweiz zu wünschen übrig liess, waren die Fallzahlen bei ihm gut. Er habe sogar einen geringen Zuschlag erhalten. «Bei der Getreide-Sammelstelle sagten sie mir, dass es eine der schönsten angelieferte Gerste war in diesem Jahr.»
Betriebsspiegel Eckwilerhof
Thomas Strebel, Mägenwil AG
LN: 40 ha
Kulturen: Naturwiesen, extensive Weiden, Silomais, Sorghum (teils als 2. Kultur nach Gerste), Wintergerste, Winterweizen, Kunstwiesen.
Geeignete Ackerparzellen werden teils mit Gemüsebauern abgetauscht, um Maisanbau auf eigenen Flächen zu reduzieren.
Tierbestand: 55 Milchkühe, Ausmast und Aufzucht der eigenen Rinder, 350 Mutterschafe, 1200 Legehennen (Direktvermarktung)
Weitere Betriebszweige: Bauernhof-Glacé
Arbeitskräfte: Betriebsleiter, 1 Mitarbeiter, 1 Lehrtochter, Mutter rund 40 % (ab Oktober 2021 noch 1 Mitarbeiterin für administrative Arbeiten 30 %), drei Aushilfen für Glacé-Produktion und Glacé-Verkauf und bei Arbeitsspitzen.
Mit der Winterbeweidung wird ein altes Verfahren neu entdeckt
Während die Beweidung mit Schafen beispielsweise in Australien immer noch Teil der Fruchtfolge auf Ackerflächen ist, geriet diese in den letzten Jahrzehnten in Europa zunehmend in Vergessenheit. Auch dort, wo die Winterbeweidung von Getreide einst weitverbreitet war.
Mit der in vielen Ländern Europas stattfindenden Ökologisierung der Landwirtschaft entsinnt man sich nun offenbar der alten Technologie, welche den Effekt der Anregung der Spross-Entwicklung und Wurzelmassen-Entwicklung durch Verbiss und Tritt ausnutzt.
Auch der Klimawandel spielt eine Rolle. Beispielsweise, weil Wintergetreide wegen wärmeren Temperaturen im Herbst zu üppig in den Winter geht und so anfälliger für Krankheiten wird. Schickt man hier die Schafe im Winter über das Feld, reduziert sich der Krankheitsdruck.
Thomas Strebel verzichtete als IP-Suisse-Produzent in seiner Gerste komplett auf das Spritzen. Gegen den Unkraut-Druck fuhr er im Dezember mit dem Striegel über die Fläche. Den Rest übernahmen dann im März eben die Schafe. «Diese fressen nicht nur die Gerste, sondern alles andere ab», erklärt er.
Die meisten Acker-Unkräuter hätten Verbiss und Beweidung nicht gerne. «Während die Gerste neu bestockte, blieben die Unkräuter unten». Zudem habe es in seinem Bestand kaum von Gelbrost befallene Blätter gehabt, im Gegensatz zu anderen Parzellen in der Region. «Die befallenen Blätter wurden alle abgefressen, der Pilz konnte sich so nicht weiterverbreiten.»
Aus Sicht des Pflanzenschutzes leisteten die Schafe hier also schon fast einen Rundum-Service. Wieso praktizieren das also nicht mehr Landwirte? «Vor allem weil man diese Art von Beweidung gar nicht mehr kennt», vermutet Strebel.
Spaziergänger und Veterinäramt als Hindernis für die Winterbeweidung mit Schafen
Und natürlich müssen Schafe erst einmal verfügbar sein. In seinem Fall im Frühling war seine Herde bereits vor Ort am Weiden auf einer Wiese. Das Einzäunen sei dann nur noch eine kleine Sache gewesen. Das Hüten war übrigens nicht mehr möglich, weil Wanderherden in der Schweiz nur bis am 15. März unterwegs sein dürften.
Zudem gebe es bei der Überweidung von offenen Flächen immer wieder Probleme mit dem Veterinäramt, das von besorgten Spaziergängern «alarmiert» werde.
Obwohl es rechtlich zulässig sei, Schafe ohne Unterstand im Freien zu lassen, habe das Amt schon verlangt, dass ein Wagen hingestellt wird. «Auf einem Gerstenfeld geht das natürlich nicht, weil die Fläche dann zu fest leiden würde.» Dabei müsste man die Schafe gar nicht lange in der Gerste lassen und mit einer intelligenten Koppelung dafür sorgen, dass sie nicht zu viel abfressen.
Von der Alp ziehen die Schafe auf Winterbegrünungen
Nach der Rückkehr von der Alp bis im Dezember sind die Schafe von Thomas Strebel mehrheitlich auf Fremdflächen unterwegs.
Dazu gehörten immer häufiger auch Winterbegrünungen von Ackerflächen, wie beispielsweise Grünschnitthafer. In diesem Fall habe das für den Landwirt eigentlich nur Vorteile: «Er muss nicht mit schweren Maschinen in den Hafer reinfahren und mulchen, wenn es nass ist.»
Bekanntlich erzeugt Hafer viel Bio-Masse. Diese bleibe nach der Beweidung durch Schafe auf der Fläche, einfach in einer anderen, besser verfügbaren Form, erklärt er.
Er achte aber darauf, dass die Tiere nicht zu lange auf der Fläche stehen, weil der Untergrund im Hafer oft feucht sei. Es gebe so keine Verdichtungen. Der Boden bleibt weiterhin gedeckt, die Kultur wird an den Boden gedrückt, wo sie sich besser zersetzt.
Weil vor der nächsten Kultur weniger Material in den Boden eingearbeitet werden muss, können Traktor-Stunden eingespart werden.
Strebel ist überzeugt: «Die Beweidung von Winterbegrünungen ist ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich.» Es zeige, dass es auch andere Wege für mehr Arten- und Grundwasserschutz oder die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln gebe als teure, moderne Technik.
Für eine grossflächige Beweidung von Wintersaaten habe es allerdings zurzeit zu wenig Schafe in der Schweiz. Zudem seien die gerade in dicht bevölkerten Regionen häufigen Diskussionen mit selbst ernannten Tierschützern wenig motivierend.
Winterbeweidung in Ostdeutschland
Auf grossen Gütern in Ostdeutschland war die Winterbeweidung von Getreide durch Schafe der Normalfall. Dies sei in der DDR (1949–1990) fortgeführt worden, erklärt Michael Jurkschat, Fachreferent Schaf- und Ziegenhaltung im Landwirtschaftsministerium von Brandenburg.
Für eine wirtschaftliche Schafhaltung dehnte man die Weidesaison zeitlich möglichst weit aus. Deshalb wurden im Herbst und Winter auch Ackerflächen beweidet. «Das Saatenhüten war fixer Bestandteil der Planung im Getreide, aber auch im Raps.» Und es kommt in den Neuen Bundesländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) wieder auf.
Ältere Bauern, deren Getreidekulturen wegen höheren Herbsttemperaturen sehr üppig in den Winter gehen und so u.a. anfällig auf Schneeschimmel sind, «gehen deshalb heute wieder auf die Schäfer zu und fragen diese, ob sie ihre Herden nicht wieder über ihr Getreide schicken könnten.»
Die Landwirte machen gute Erfahrungen mit der Winterbeweidung auf ihren Flächen. «Weil sie wussten, dass dies früher gut funktionierte.»
Die Landwirte in den Neuen Bundesländern sparen damit Kosten, weil es weniger Fungizide brauche und die Striegel- sowie Walzarbeiten wegfallen, erklärt Michael Jurkschat. Zudem wurde ein positiver Effekt auf den Mäusebefall festgestellt.
Für den Schafhaltungs-Experten passt die Winterbeweidung ideal zur aktuellen Entwicklung in der Landwirtschaft. Die biologisch bewirtschafteten Flächen nehmen auch in Deutschland zu. Viele von diesen müssen mit Zwischenfrüchten arbeiten, um Stickstoff in die Böden zu bringen.
Allerdings gibt es ein Problem: Die Anzahl Mutterschafe in Brandenburg reduzierte sich seit dem Jahr 2000 von 114 000 auf heute 49'000 Tiere.
Wie Michael Jurkschat erklärt, waren dort vor ein paar Jahrzehnten rund 120 Haupterwerb-Schäfereien während vier bis fünf Monaten auf fremden Flächen unterwegs – heute nur noch 60 Schäfereien. Die Schafhaltung rechne sich oft nicht mehr.