Wissenschaftliche Zeichnungen von Braunvieh, Simmentaler und Edelschwein.Schweizer Nutztierrassen-LexikonDie ersten von 38 Schweizer Rassen im Nutztier-Lexikon: Braunvieh, Simmentaler und EdelschweinFreitag, 22. Juli 2022 Jedes Rindvieh ist in den ersten 160 Tagen ein Kalb. Danach gilt es als Rind, bis es selbst kalbt oder geschlachtet wird. Biologisch gesehen ist die Sache also klar, und zwar in ganz Europa. Sprachlich gibt es aber einen «Kälbergraben» zwischen Ost und West.

Die meisten osteuropäischen Sprachen leiten ihre Bezeichnung für das Kalb nämlich vom lateinischen vitellus ab. Von tele in Slowenien, Tschechien und Bulgarien über telja in der Ukraine bis telenok in Russland.

Auf der westlichen Seite des «Kälbergrabens» heisst es aber calf in Grossbritannien, kalvur in Island, kalv in Dänemark und den Niederlanden – und natürlich Kalb in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Wie viele deutschsprachige Namen von Nutztieren hat das Kalb seine Wurzeln im Mittelhochdeutschen des 11. Jahrhunderts, als man neugeborene Tiere als kalp bezeichnete.

Wer weiss schon, dass die Alpen-Kälber aus dem Berner Oberland kommen?

In den meisten Schweizer Dialekten spricht man deshalb von einem Chälbli oder Kälbli, im Berner Oberland von einem Chalbscheli. Dort wurden früher die Kälber von den Alpen auf Flössen die Aare hinunter ins Unterland transportiert. Diese Alpen-Chälber waren besonders gut genährt und in den Städten als Flösser-Chälbli deshalb auch besonders begehrt.

In der Ostschweiz heisst das dünne Seil, mit dem die Kälber an der Krippe festgebunden werden, Chalber-Häwsig. Die Herkunft dieses Begriffes ist mir leider unbekannt.

Wenn der leichte Kälberstrick nicht mehr reicht, um das Kalb im Zaum zu halten, dann wird es wohl oder übel zum Chettle-Chalb.

Unsere Grosseltern spotteten über das Oster-Chalb und kalbende Ochsen

Zur Zeit meines Grossvaters erhielten die Kinder der besser gestellten Familien am Ostersonntag neue Sommerkleider. Er ging immer leer aus und wurde deshalb als Oster-Chalb verspottet.

Zum reichen Bauern reichte es Gross-vater auch später nie. Deshalb hiess es im Dorf: «Em eine Buur chalbet sogar der Ochs, em andere Buur au d‘Chue nit!»

Die Kälber steckte er zeitlebens in einen dunklen Winkel des Stalls, in dem sonst die Streu gelagert wurde. Als er fast verlumpte, klagte er: «Ich komme noch in‘s Chälblis Ort hindere und muess denn Streu frässe.»

Ziemlich deftig ging es auch bei der Dorfjugend zu. Wenn ein Bursche ein Mädchen mit grossen Busen neckte, dass es «ungmolche usem Huus geht», wurde er von diesem prompt in den Senkel gestellt: «Ich han denkt, ich treffe öppe es Chalb, wo nonig abtränkt sig!»

Wenn der Kerl nicht klüger wurde, hiess es: «Dä git siner Läbtig kein Stier, dä bliibt alliwil es Chalb!»

Und weil die gut genährten Städter oft grösser waren als die Leute vom Land, die sich abbuckeln mussten, spotteten die Bauern: «Die chline Lüüt hätt Gott erschaffe, die grosse Chälber sind selber gwachse.»