Für Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli ist das Kreuzverhör mit «die grüne»-Chefredaktor Jürg Vollmer wohl das ausführlichste Interview in seiner bisher zehnjährigen Amtszeit – insgesamt (im Print-Magazin) 10 Seiten mit kritischen Fragen. Im 1. Teil beantwortet Urs Brändli kritische Fragen zum Marktanteil von Bio Suisse, IP-Suisse & Co. sowie über Spermasexing bei Milchkühen, Bruderhähne und Gentech-Impfungen beim Geflügel.
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Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli über Pflanzenschutz und Düngen
2021 wird in der Schweiz über zwei Pflanzenschutzmittel-Initiativen abgestimmt. Diese werden auch unter Schweizer Bio-Landwirten kontrovers diskutiert.
Urs Brändli: Grundsätzlich steht bei diesen Initiativen nicht der Bio-Landbau im Fokus. Aber von der Trinkwasser-Initiative sind auch Bio-Betriebe und Bio Suisse betroffen. Denn innerhalb der zehnjährigen Übergangsfrist müssten alle Schweizer Betriebe auf Bio oder zumindest «pestizidfrei» umstellen. Und 50'000 Schweizer Bio-Betriebe wären ohne radikale Veränderung im Konsumverhalten unserer Bevölkerung definitiv zuviel für die Schweiz.
Welche Abstimmungs-Empfehlung der Bio-Suisse-Vorstand und nach ihm die Bio-Suisse-Delegierten abgeben, wird sich aber erst im September respektive November 2020 zeigen.
Im Bio-Landbau sind chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel nicht zugelassen. Stattdessen nutzen Bio-Landwirte «natürliche» Mittel wie Kupfer. Das Schwermetall bleibt aber ewig im Boden. Wäre es nicht an der Zeit, die realitätsfremde Definition «natürliche» Pflanzenschutzmittel zu überdenken?
Bio Suisse kommuniziert seit 40 Jahren, dass Bio-Landwirte im Pflanzenschutz und beim Düngen keine chemisch-synthetischen Hilfsmittel einsetzen. Das ist in den Köpfen der Konsumenten verankert, warum sollen wir davon abrücken?
Ich bin aber einverstanden, dass für Natur und Umwelt nicht die abstrakte Definition «chemisch-synthetisch» entscheidend ist, sondern das Gefahren-Potenzial der Hilfsmittel.
Interessant ist, dass der Bio-Landbau immer am Kupfer aufgehängt wird. Denn über 90 Prozent des Kupfers wird in der Schweiz im konventionellen Landbau eingesetzt. Aber weil Bio auch Kupfer verwendet, haut man uns das immer wieder um die Ohren. Übrigens könnte Kupfer bald durch ein Pflanzenextrakt ersetzt werden. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL hat eine Kupfer-Alternative gefunden, die zusammen mit der Fenaco zur Marktreife gebracht wird.
«die grüne» berichtet hier über das Kupfer-Ersatzprodukt für die Landwirtschaft
- Forschungskooperation zwischen Fenaco und Bio-Forschungsinstitut FiBL
- Kupfer-Ersatz: Knut Schmidtke (FiBL) und Martin Keller (Fenaco) im Interview
- Ein Ersatz für Kupfer als Fungizid wäre für die Landwirtschaft Gold wert
Bio-Landwirte verzichten auch auf mineralische Dünger. Das Resultat: je nach Kultur bis 40 Prozent weniger Ertrag. Bio-Landwirte brauchen deshalb mehr Fläche für die gleiche Quantität und produzieren so mehr CO2-Emissionen pro Tonne/Ertrag. Tut das dem Bio-Suisse-Präsidenten nicht weh?
Die Ziele von jedem Landwirt sind Ertragssicherheit und Ertragsverbesserung. Im Bio-Landbau sind wir in diesen Punkten heute auf dem Niveau, das der konventionelle Landbau vor 20 bis 30 Jahren hatte – aber mit bedeutend schonenderen Methoden.
Das Deutsche Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Wald und Fischerei (kurz: Thünen-Institut) hat für eine Meta-Analyse der Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft 528 Vergleichsstudien aus über 30 Jahren weltweiter Forschung anhand von 33 Indikatoren ausgewertet.
Dabei zeigte sich, dass Bio gegenüber der konventionellen Landwirtschaft im Umweltschutz und Ressourcenschutz bei 58 Prozent der Vergleiche Vorteile aufwies und bei 28 Prozent gleichauf war. Nur bei 14 Prozent der Vergleiche war die konventionelle Landwirtschaft vorteilhafter. Der Bio-Landbau punktete insbesondere in den Bereichen Wasserschutz, Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Klimaanpassung und Ressourceneffizienz.
Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli über Grüne Gentechnik, GVO, Crisp-Cas und Gene Drive
Die Grüne Gentechnik (gentechnisch veränderte Organismen GVO) könnte ein sinnvoller Ersatz sein für Pflanzenschutzmittel. Für GVO werden ins Erbgut der Nutzpflanze gezielt einzelne Gene eingeschleust. Wieso ist Bio Suisse gegen die Grüne Gentechnik?
Bei der Grünen Gentechnik hat bisher ausser Chemie- und Saatgut-Multis niemand profitiert. Ich war selber nicht in den USA oder in Südamerika, wo GVO breit eingesetzt wird. Aber Studien zeigen, dass dort nach einer gewissen Zeit der Einsatz der Pflanzenschutzmittel wieder erhöht werden muss, weil Super-Unkräuter entstehen, die Resistenzen gebildet haben. Da sehe ich keinen Vorteil für die Landwirtschaft.
Zudem streben wir im Bio-Landbau samenfestes Saatgut an. Wir wollen nicht von den Multis abhängig sein. Der Landwirt soll von seinen geernteten Kartoffeln, seinem Mais oder Getreide ein paar Setzlinge oder Samen auf die Seite legen und mit denen im nächsten Jahr weiter züchten können.
Bei den Hybridsorten und bei der Grünen Gentechnik ist das unmöglich. Solange es bei GVO nur Versprechungen und wenig Leistung gibt, ist die Grüne Gentechnik deshalb für Bio Suisse kein Thema.
Gilt diese Ablehnung auch für die «sanfte» Genom-Editierung wie Crispr-Cas (molekularbiologische Techniken zur zielgerichteten Veränderung von DNA)?
Als ich 2015 zum ersten Mal über Crispr-Cas las, war ich fasziniert. Gleichzeitig dachte ich an den Zauberlehrling, der die Geister ruft und tanzen lässt – bis alles ausser Kontrolle gerät.
Ich halte den Forschern zu Gute, dass sie das Wohl der Menschheit beabsichtigen. Aber das wollten schon viele Forscher, bis man nach ein paar Jahrzehnten gemerkt hat: Hoppla, das bringt genau das Gegenteil.
Und das befürchte ich auch bei Crispr-Cas oder beim nächsten Schritt, dem Gene Drive. Damit können zum Beispiel in Organismen Gene zur Erzeugung einer Unfruchtbarkeit in Populationen eingesetzt werden.
Im Moment tönt das wunderbar: Wenn wir mit Gene Drive die Moskitos unfruchtbar machen und damit auslöschen, haben wir keine Malaria mehr. Aber was das alles auslösen kann, weiss niemand. Deshalb haben wir im Bio-Landbau weltweit den Grundsatz, dass die Zelle nicht verletzt wird. An der Zelle wird nicht herumgebastelt.
Wir sehen keinen Grund, warum wir hier irgendetwas ändern sollten, nur weil die neuen Züchtungs-Technologien im Moment von wunderbaren Sachen reden: «Mit einem klaren Schnitt können wir hier ein Gen herausnehmen und ein anderes einsetzen.»
Dabei können aber sogenannte Off-Target-Effects entstehen, Doppelstrangbrüche ausserhalb der gewünschten Ziel-DNA-Sequenz. Ein Genom ist eben nicht so, dass wir einfach reinschneiden können, etwas einsetzen und nachher passiert nur das, was wir wollen. In einem Genom sind Interaktionen am Werk!
Am liebsten wäre mir deshalb, wenn jede dieser neuen Technologien zehn Jahre auf einer einsamen Insel ausgetestet würde. Denn wir haben es nicht eilig. Wir haben weltweit nicht zu wenig Nahrung. Wir haben sie höchstens nicht am richtigen Ort.
Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli über die wissenschaftlich nicht belegbaren Praktiken Demeter und Homöopathie
Wechseln wir von der Grünen Gentechnik zum anderen Pol der Landwirtschaft, zu Demeter und Homöopathie. Innerhalb von Bio Suisse und besonders am FiBL gibt es eine starke Tendenz zu diesen wissenschaftlich nicht belegbaren Praktiken mit kosmischen Kräften. Wie geht Bio Suisse damit um?
Es gibt in Therwil BL den weltweit ältesten und bedeutsamsten Langzeitversuch. Seit 1978 werden dort der biologisch-dynamische (D), organisch-biologische (O) und konventionelle (K) Anbau in der Praxis miteinander verglichen. Im DOK-Langzeitversuch beweist Demeter Jahr für Jahr seine Wirksamkeit.
Das mit den kosmischen Kräften ist nicht für jeden Landwirt nachvollziehbar. Und trotzdem gibt es in vielen Familie jemanden, der sagt: Jetzt ist wieder Vollmond und ich kann nicht schlafen. Ich glaube, dass es mehr Kräfte gibt, als wir wissenschaftlich nachweisen können. Aber wenn die Präparate eine Wirkung haben, was der DOK-Versuch ja beweist, dann sollte Demeter damit weitermachen.
Das Gleiche bei der Homöopathie. Ich lachte in den 1990er-Jahren über die Homöopathie und fragte: Was soll der Hokuspokus? Dann besuchte ich einen Kurs und dachte mir: Oh, das ist faszinierend, das muss ich ausprobieren. Und nach dem Jahr 2000 wurde ich schon als erprobter Anwender an Tagungen oder Weiterbildungs-Veranstaltungen eingeladen.
Ich kann nicht erklären, warum die homöopathischen Mittel wirken. Aber auf unserem Hof haben wir im Jahr 2005 das letzte Mal im Euter Antibiotika eingesetzt. Und mein Sohn wurde 2018 vom Braunviehzuchtverband für sein Top-Management bei den Kühen ausgezeichnet. Unter anderem auch wegen der tiefen Zellenzahl in der Milch. Das zeigt, dass Homöopathie wirkt.
Man kann das jetzt sogar bei Kometian sehen. Das FiBL begleitet den Verein, der komplementärmedizinische Tierheilung unterstützt, wissenschaftlich im Rahmen eines Ressourcenprojektes des Bundes. Das FiBL kann nicht beweisen, dass die homöopathischen Mittel wirken. Aber sie können aufzeigen, dass die Beratung von Kometian wirkt und über 50 Prozent weniger Medikamente eingesetzt werden, vor allem Antibiotika.
Wir sollten uns nicht nur auf die Wissenschaft verlassen. Wenn es Methoden gibt, die auch ohne Wissenschaft funktionieren, dann sollten wir damit weitermachen.
Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli über den Wettbewerb mit IP-Suisse
Über Sinn und Unsinn von Demeter und Homöopathie könnten wir stundenlang diskutieren. Wir lassen es hier beim konstruktiven Dissens. Auf der anderen Seite rückt aber die pragmatische IP-Suisse immer näher an Bio Suisse auf. IP-Suisse hat 2019 pestizidfreien Weizen lanciert – und nach dem IP-Suisse-Biodiversitäts-Punktesystem neu auch ein IP-Suisse-Klima-Punktesystem. IP-Suisse-Produkte gibt es neu auch bei Coop. Muss Bio Suisse Angst haben vor IP-Suisse?
Das wäre ja völlig schräg, wenn wir jahrelang intensiv die Anwendung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln anprangern und dann, wenn IP-Suisse das auch macht, plötzlich sagen: Das macht uns Angst!
Aber finanziell tut das Bio Suisse weh.
Nein. Finanziell tut es uns überhaupt nicht weh. Denn in all den Jahren, während IP-Suisse gewachsen ist, hat auch Bio Suisse genau stark zugelegt!
Integrierte Produktion IP ist auch eine Einstiegsstufe. Die meisten Betriebe, die zu Bio wechseln, haben vorher IP gemacht. Das ist ein konventioneller Bauer, der sagt: Moment mal! Ich habe jetzt erste Erfahrungen gemacht. Ich glaube, das funktioniert mit Bio auch.
Die IP-Suisse-Bauern profitieren sehr stark von Erfahrungen, die aus dem Bio-Landbau kommen. Mechanische Unkrautbekämpfung und andere Methoden sind im Bio-Landbau erprobt worden. Heute wird die mechanische Unkrautbekämpfung auch von vielen anderen Landwirten verwendet – und darauf sind wir stolz.
Das entspricht ja letztendlich unserem Ziel von einer enkelwürdigen Landwirtschaft. Es wäre falsch, wenn wir bei Bio Suisse jetzt Angst hätten, dass IP-Suisse näher kommt.
IP-Suisse muss genauso wie Bio Suisse die Konsumenten überzeugen. Wenn die Schweizer Bevölkerung zu 50 Prozent nachhaltig konsumiert, dann sind 100 Prozent der Schweizer Landwirtschaft entweder Bio Suisse oder IP-Suisse. Und das wäre doch schon einmal ein sehr grosser Fortschritt!
Wenn wir realistisch sind, hat auch Bio Suisse kein Patentrezept für eine umweltfreundliche und klimafreundliche Landwirtschaft – weil es kein solches Patentrezept gibt. Am Ende haben Bio Suisse, IP-Suisse und konventionelle Landwirtschaft je ihre Vor- und Nachteile. Müsste es nicht das Ziel von Bio Suisse sein, die Vorteile aller drei Systeme zu kombinieren, sodass es keinen Unterschied mehr gibt?
Ich glaube nicht, dass das sinnvoll wäre. Wenn es keinen Wettbewerb gibt, entsteht auch keine Innovation. Dadurch, dass IP-Suisse besser wird, überlegt sich auch Bio Suisse: Wo müssen wir uns noch verbessern?
Ich wage jetzt einmal die These, dass das auch in der DNA der Bio-Bauern drin ist: «Wir haben noch Handlungsbedarf, also suchen wir nach Lösungen.» Und wenn ich sehe, wie viele Projekte bei uns anstehen und wie gross die Bedürfnisse der Bio-Produzenten sind, dann sind wir für die nächsten paar Jahre noch mit viel Arbeit eingedeckt.
Der Weltklimarat IPCC hatte 2019 gesagt: «Wir brauchen eine neue Landwirtschaft.» In der Schweiz brauchen wir nicht eine völlig neue Landwirtschaft. Wir sollten einfach die Erfahrungen und Erkenntnisse des Bio-Landbaus aus den letzten Jahren und Jahrzehnten noch mehr nutzen. Schonender Umgang mit Ressourcen, Schutz der Gewässer, Förderung der Biodiversität. Weil nur das der Landwirtschaft auch die Zukunft sichert.
Ich stelle aber immer wieder fest, dass Bio weltweit einen schweren Stand hat – und zwar nicht nur von der Fläche, sondern auch von der Akzeptanz her. Das hatten wir aber vor 20 Jahren in der Schweiz auch. Damals wurde Bio belächelt. Wir machten aber permanent weiter mit Bio und heute haben wir einen gegenseitigen Respekt innerhalb der Landwirtschaft. Wir sind nicht immer gleicher Meinung – du hast das beim umstrittenen Thema Demeter und Homöopathie so schön als konstruktiven Dissens bezeichnet – aber man respektiert den anderen.
Wenn weltweit das Wort Bio das Problem ist, dann man es von mir aus gerne auch Agrarökologie nennen. Damit wird je nach Land eine Wissenschaft (z. B. in den USA), eine Bewegung (Brasilien) oder eine Praxis (Frankreich) bezeichnet.
Wenn wir bei der Agrarökologie genau hinschauen, was die beinhaltet, sind das sehr viele Methoden, die im Bio-Landbau heute angewandt werden. Und wenn das weltweit zu einer nachhaltigen Landwirtschaft führt, dann können wir damit leben. Bei uns träumen wir währenddessen vom Bio-Land Schweiz. Diese Vision ist zugegeben ein bisschen hoch angesetzt. Trotzdem müssen wir bei Bio Suisse unseren Traum von einer wirklich umfassend nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährung in der Schweiz unbedingt weiter träumen.
Und dabei sollten wir alle anderen Landwirte auch noch in diesen Traum mit rein nehmen können. Dann können wir das auch erreichen. Auch mit unterschiedlichen Hintergründen.
Urs Brändli, ich habe sie im ersten Teil des Kreuzverhörs als Träumer bezeichnet. Ich korrigiere mich: Sie sind ein glücklicher Sisyphus.
Sisyphus? Nein. Ich bin einfach ein Landwirt, der überzeugt ist, dass die Methoden, die der Bio-Landbau heute bietet, unglaublich nachhaltig sind.
Aber ich sehe auch, dass gewisse Anforderungen, die wir bei der Knospe stellen, nicht für alle Leute gleich relevant sind. Und dementsprechend soll es daneben auch andere Produktionssysteme haben.
Wir wollen uns als Bio-Landwirte laufend verbessern. Und alle anderen Landwirte müssen das unbedingt auch.
Alle Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und wenn notwendig gekürzt.
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