Kurz & bündig
– Jährlich werden in Europa 6,5 Mio Landwirtschaftsreifen verkauft. Neben den Premium-Marken Michelin und Trelleborg gehört Vredestein zu den Top-Marken.
– 100'000 Landwirtschaftsreifen pro Jahr produziert Vredestein in Enschede in den Niederlanden.
– «die grüne» konnte das Werk in Enschede NL besuchen und entdeckte dabei einen neuen «Backofen» für 500 kg schwere Vredestein Traxion Optimall-Reifen mit 2,30 m Durchmesser.
Das wohl am meisten unterschätzte «Werkzeug» auf einem Bauernhof sind die Reifen der Landwirtschafts-Fahrzeuge. Während es fast schon zur DNA einer Bauernfamilie gehört, welche Traktoren mit welcher Felgenfarbe auf dem Landwirtschaftsbetrieb gefahren werden, ist die Reifenmarke oft Nebensache.
Eine Ausnahme bildeten nur die Maloya-Reifen, die in Gelterkinden BL produziert wurden (siehe «Die letzten Spuren des Schweizer Reifenherstellers Maloya aus Gelterkinden»). Der letzte Schweizer Reifenhersteller schloss 1993 die Fabriktore und wurde mitsamt Know-how von der niederländischen Reifenmarke Vredestein übernommen. «In Vredestein-Landwirtschaftsreifen steckt heute noch ein bisschen Maloya», erklärt Markus Brunner, seit 2004 Country Manager Switzerland bei Apollo-Vredestein in Baden AG.
Der Naturkautschuk wird über Kanäle zu Vredestein gebracht
Die Geschichte von Vredestein geht aber viel weiter zurück, genauer bis ins Jahr 1909, als das Unternehmen in den Niederlanden gegründet wurde. Anfangs produzierte Vredestein – wie übrigens Maloya auch – Fahrradreifen, bevor es sich später auf Autoreifen und schliesslich auf Reifen für Landwirtschaftsfahrzeuge und Industriefahrzeuge konzentrierte.
Das erste Vredestein-Werk wurde auf einem dafür stillgelegten Landwirtschaftsbetrieb in Loosduinen NL gebaut: Gummireifen statt Gemüse. Firmengründer Emile Louis Constant Schiff war ein Pragmatiker: Der Standort lag direkt neben dem Hafen von Rotterdam, einem der grössten Seehäfen der Welt, ideal für die Anlieferung vom Naturkautschuk aus Fernost. Und er übernahm vom Bauernhof gleich auch dessen Namen für sein Unternehmen: Vredestein.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik von den deutschen Besatzern beschlagnahmt und die Produktion auf Kriegsbedarf für die Wehrmacht umgestellt.
Nach dem Krieg baute Vredestein seine Produktionskapazitäten aus und gründete dafür in Enschede NL ein neues Werk. Dieses liegt zwar 200 Kilometer landeinwärts, ist aber wieder direkt am Wasser gebaut und über Kanäle mit dem Seehafen Rotterdam verbunden.
Nacheinander waren Amerikaner und Russen an Vredestein beteiligt
Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte sich der US-amerikanische B. F. Goodrich-Konzern an Vredestein.
Infolge der Ölkrise von 1973 bis 1980 waren Fusionen in der Reifenindustrie an der Tagesordnung. Nachdem sich die Amerikaner 1977 zurückzogen, folgten drei turbulente Jahrzehnte mit unterschiedlichen Anteilseignern. Zum Schluss, von 2005 bis 2009, eine eher unglückliche Verbindung mit dem russischen Amtel-Konzern.
Im Jahr 2009 wurde Vredestein vom indischen Reifenhersteller Apollo Tyres übernommen, der vor allem Reifen für Lastwagen und Busse produziert. Seither firmiert das Unternehmen unter dem Namen Apollo Vredestein B. V. mit europäischen Zentralen in London und Amsterdam.
Einblick in das Vredestein-Werk im niederländischen Enschede
Das Vredestein-Werk in Enschede ist eine der grössten Reifenfabriken Europas. Für die Besichtigung steht deshalb ein Bus bereit, denn die Reifenfabrik erstreckt sich über 55 Hektaren.
Dabei konzentriert sich das Unternehmen in Enschede neu auf die rentable Produktion von hochwertigen Reifen für landwirtschaftliche Maschinen und Personenwagen der Oberklasse. Die Lastwagenreifen und Industriereifen für Bagger oder Baumaschinen laufen unter dem Namen Apollo in Indien vom Band. Die Landwirtschaftsreifen werden in Europa als Vredestein verkauft.
Die Produktion der billigeren Reifen für Personenwagen wurde in das Werk in Ungarn verlagert. Heute beschäftigt Vredestein im Hauptwerk in Enschede aber immer noch 800 Mitarbeiter.
Und die Mitarbeiter sind hoch qualifiziert. Nicht nur die 380 Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung, auch jene in der Produktion: Trotz modernen Anlagen und Technologien braucht es immer noch viel Handarbeit, um einen hochwertige Traktorreifen mit seinen bis zu 80 Bestandteilen aufzubauen.
Von Vredestein kam der erste Radialreifen für die Landwirtschaft
Auf seine Entwicklungsabteilung ist Vredestein besonders stolz. Und das nicht erst, seit die Niederländer 1997 mit den damals revolutionären Traxion-Reifen für Traktoren der Konkurrenz davongefahren sind. Das Traxion-Profil wich stark von den damals üblichen Profilen für Landwirtschaftsfahrzeuge ab und sorgte für eine bessere Zugkraftübertragung im Feld.
Mit den Traxion-Reifen für die Landwirtschaft erreichte Vredestein langjährigen Partnerschaften als Erstausrüster mit den wichtigsten Traktorherstellern wie Claas, Case IH, John Deere, Massey Fergusson und New Holland.
Auf dem Rundgang durch das Vredestein-Werk in Enschede entdecken wir einen neuen «Backofen» für Reifen mit einem Durchmesser mit bis zu 2,30 Metern. Ein solcher Vredestein Traxion Optimall-Reifen wiegt 500 Kilogramm, dazu kommt die Felge mit 300 Kilogramm.
Der Werkschutz von Vredestein ist von der Entdeckung offensichtlich weniger begeistert. Man möchte die Mitbewerber ja nicht gerade mit der Nase darauf stossen. Nach anfänglichem Zögern wird aber ein Foto erlaubt.
Vredestein gibt Gummimit neuen Reifen für Anhänger
Vredestein beeindruckt aber nicht nur mit seinen neuen Riesen-Reifen. Auf einem Vorführfeld etwas ausserhalb von Enschede können wir zwei neue Serien Anhängerreifen testen:
- den VF Flotation Optimall-Reifen mit VF-Konstruktion für landwirtschaftliche Anhänger
- den Endurion Trailer-Schwerlast-Reifen für Anhänger, die hauptsächlich im Baustellen- und Strassentransport eingesetzt werden
Für den Test der neuen VF Flotation Optimall-Reifen spannt Vredestein zwei identische John Deere 6R 250-Traktoren vor zwei identische 27'000-Liter-Güllefässer. Durch die verbesserte Traktion hat das Gespann mit dem neuen VF Flotation Optimall-Reifen auf nur 100 Meter Distanz schon 3 Meter Vorsprung.
Ein Vorsprung, den Vredestein wörtlich nimmt: Mit diesen neuen Reifen für Anhänger und mit einem ausgebauten Sortiment für Traktoren will Vredestein bis ins Jahr 2027 den Umsatz mit Landwirtschaftsreifen verdoppeln.
Transparenz-Hinweis
«die grüne» besuchte Vredestein in den Niederlanden auf Einladung des Reifenherstellers. Die Reisekosten (mit dem Zug) trägt unsere Redaktion, Hotel und Verpflegung wurden vom Veranstalter bezahlt.