Kurz & bündig

- Meteorologe Gaudenz Flury erklärt, dass auf der Alpensüdseite tatsächlich Wasser fehlt, die Lage im Flachland und auf der Alpennordseite aber innerhalb der Norm sei.
- In der Tendenz müssen Landwirte mit heissen, trockenen Sommern und mehr Niederschlag im Winter rechnen.
- Zudem kommt es wegen dem Klimawandel zu mehr extrem Wetterereignissen.

Zunächst klingt es etwa so trocken, wie der Sommer 2022 war: «Bericht des Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderung IPCC». Was darin steht, betrifft jedoch nicht (nur) die EntscheidungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft, sondern jeden Einzelnen: Der menschgemachte Klimawandel ist Tatsache. Es gibt Möglichkeiten, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu halten. Doch dazu braucht es jetzt Entscheide – und Geld.

Grundsätzlich sei genügend Kapital da, um den Ausstoss von Treibhausgasen schnell zu reduzieren, stellen die AutorInnen des Berichts fest. Ob der Wille da ist, dieses Kapital auch einzusetzen, darüber wagen sie (verständlicherweise) keine Prognose.

Zur aktuellen Lage in Sachen Trockenheit in der Schweiz konnte «die grüne» mit Gaudenz Flury sprechen. [EXT 1]

Der Davoser ist bekannt von seinen Auftritten auf dem SRF-Dach und als Meteorologe geübt darin, Forschungsberichte zu verstehen und einfach verständlich zu erklären.

Herr Flury, was ist eigentlich der Unterschied zwischen Klima und Wetter?

Gaudenz Flury: Ich kann zwei einfache Vergleiche machen. Man kann zum Beispiel sagen, wenn daheim die Familie am Tisch jeden Tag streitet, hat sie ein schlechtes Klima. Und wenn man es grundsätzlich gut hat miteinander und selten gibt es mal Streit, dann ist in diesem Moment schlechtes Wetter.

Oder man vergleicht es mit unterschiedlichen Charakteren: Ruhigen und aufbrausenden Charakteren beispielsweise. Das Klima dieser Person ist dann ruhig oder aufbrausend. Aber auch eine ruhige Person kann mal eine aufbrausende Phase haben: Das wäre dann sein Wetter.

Und wie sieht die wissenschaftliche Erklärung aus?

Wetter ist etwas, das in einem bestimmten Moment an einem bestimmten Ort stattfindet: Heute ist es bewölkt und es regnet bei 15 Grad.

Das Klima dagegen errechnet sich aus einem Zeitraum von mindestens 30 Jahren und sagt zum Beispiel aus, wie hoch die maximalen und minimalen Temperaturen an einem bestimmten Ort sind.

Wie hängen Klima und Wetter zusammen?

Das Klima ermittelt sich aus 30 Jahren Wetter. Wenn sich das Klima verändert, verändert sich auch das einzelne Wetter. Eine Veränderung des Klimas geht langsam, die Veränderung des Wetters geht sehr schnell.

Dieser Winter war trocken. Stimmt der Eindruck, dass es aktuell (das Interview fand Anfang April 2023 statt) in der Schweiz an Wasser mangelt?

Für die Alpensüdseite klar, ja. Die Seen sind zum Beispiel unterdurchschnittlich gefüllt.

Doch für die Alpennordseite und im Flachland ist die Situation, auch dank den Niederschlägen im März, völlig in Ordnung. Die Bodenfeuchte liegt zum Beispiel innerhalb der Norm.

Wie sieht es mit dem Grundwasser in der Schweiz aus?

Da gilt es zu differenzieren: Es gibt ganz verschiedene Grundwassertypen, sogenannte Grundwasserregimes.

In den Alpen wird das Grundwasser von Flüssen und Gletschern gespiesen. Im Flachland gibt es Bereiche, die von Flüssen gespiesen werden, hinter denen noch ein Gletscher hängt, zum Beispiel der Rhein.

Und je nach Regime ist es unterschiedlich, wie rasch ein Grundwasserpegel wieder ansteigen kann. Im Flachland ist die Situation – wie bei der Bodenfeuchte – an den meisten Orten innerhalb der Norm.

Dennoch: Schnee war Mangelware in diesem Winter. Wird das nicht zum Problem?

Entscheidend ist nicht, wie hoch der Schnee liegt, sondern wie viel Wasser darin gespeichert ist. In den Bergen fehlt tatsächlich relativ viel. Ob das zum Problem wird, hängt aber vom Wetter im April und Mai ab: Wenn es im Flachland schön regnet und in den Bergen schneit, fehlt kaum Wasser. Doch wenn es April und Mai wenig bis kein Regen gibt, fehlt uns nicht nur dieses Wasser, sondern auch das Schmelzwasser.

Können Sie denn Tendenzen für den Frühling und Sommer nennen?

Es gibt Prognosemodelle, die darauf hindeuten, dass April und Mai überdurchschnittlich nass und warm werden, der Sommer nicht so schlimm heiss und trocken wie im letzten Jahr. Doch das ist alles mit sehr viel Vorsicht zu geniessen.

Sie sind sehr vorsichtig in Ihren Aussagen. Wie entstehen denn eigentlich die täglichen Wetterprognosen?

(lacht) Allein darüber, wie Prognosen entstehen, liesse sich zwei Stunden reden. Grundsätzlich arbeiten wir mit Modellen. Sie basieren auf Daten, die insbesondere von Satelliten gesammelt werden und den momentanen Zustand des Systems Erde-Atmosphäre möglichst gut abbilden. Danach wird physikalisch in sehr aufwändigen Computerprogrammen durchgerechnet, was in der nahen Zukunft passieren könnte.

Diese globalen, also weltumspannenden Modelle bilden die Basis für feinere Berechnungen mittels regionalen und lokalen Modellen. Sie liefern noch viel mehr Details – und das ist dann unsere Informationsbasis.

Wir als Meteorologen erstellen aus diesen Informationen und aus den Informationen, wie das Wetter aktuell in der Schweiz gerade ist, unsere Prognosen. Diese können wir laufend weiter verfeinern und justieren, weil wir alle paar Stunden neue Informationen erhalten.

Das ist für den Landwirt, der sich auf die Wetter-App verlassen will, wenn es ums Heuen geht, aber recht frustrierend …

Ja und nein: Das Wetter war zwar schon immer variabel. Aber heutzutage sind die Prognosen von Beginn weg meist schon sehr genau, die Trefferquote hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv verbessert. Zudem erhalten die Bauern ja laufend Updates.

Aber es gibt (zum Glück selten) Wetterlagen, die so chaotisch sind und sich so rasch ändern, dass wir am Vormittag nicht zuverlässig sagen können, wie der Nachmittag wird. Dafür wissen wir dann zum Beispiel recht sicher, wie die nächsten Tage werden.

Das Wetter war und ist also chaotisch. Aber auf welche Klima-Veränderung müssen sich die Landwirte einstellen?

Ich möchte betonen, dass wir uns als Meteo-Team auf den Stand der Klimaforschung abstützen und nichts einfach erfinden. Generell müssen Landwirte mit mehr Stark-Niederschlägen, aber auch mit trockeneren Sommern rechnen. Dieser Winter war eher eine Ausnahme, die Winter-Niederschläge nehmen in der Tendenz zu. Das heisst aber nicht, dass es mehr Schnee gibt, denn mit höheren Temperaturen steigt auch die Schneefallgrenze.

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Was wird auf lange Sicht in der Schweiz für die Landwirtschaft zum grösseren Problem: Trockenheit oder Überschwemmungen?

Das lässt sich nicht so einfach sagen. Beides wird häufiger vorkommen und kann je nach Kultur zu einem Totalschaden führen.

Ich kann mir vorstellen, dass es für Landwirte eine grosse Herausforderung ist, zum Beispiel auf den Anbau resistenterer Pflanzen umzustellen. Aber auch, dass sie plötzlich mit ganz neuen, bisher unbekannten Schädlingen zu tun haben.

Um als Abschluss auf die Prognosen zurückzukommen: Lohnt es sich, viele verschiedene Apps zu lesen?

Nicht unbedingt, wenn man nicht weiss, auf welchem Modell und welchen Daten die Prognosen basieren. Wir haben in unserer App einen erklärenden Text, also den Wetterbericht, welchen wir drei Mal täglich aktualisieren. Wenn einem eine Prognose wirklich wichtig ist, finde ich, dass es sich lohnt, diesen zu lesen.

Alle Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und wenn notwendig gekürzt.

 

Zur Person

Gaudenz Flury (42) arbeitet seit 2012 bei SRF Meteo. Er schloss 2006 in Zürich ein Geographiestudium mit Vertiefung in Klimatologie und Atmosphärenphysik ab. Bei SRF Meteo erstellt er Wetterprognosen und moderiert für Radio und TV Wetter-Sendungen. Flury ist in Davos GR aufgewachsen und wohnt in Zürich. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.