Kurz & bündig
- Biologischer und konventioneller Ackerbau rücken näher zusammen.
- Die Gesamtbetrieblichkeit ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.
- Precision Farming kann unterstützen, löst aber nicht alle Probleme.
- Gesucht sind vor allem anbautechnisch anspruchsvolle Kulturen wie Raps oder Zuckerrüben.
- Der Erhalt vielseitiger Betriebe ist wichtig.

Herr Dierauer, im ÖLN fallen immer mehr zugelassene Pflanzenschutzmittel weg und die mechanische Unkrautbekämpfung wird gefördert. Begrüssen Sie das oder ist diese Annäherung an den Bio-Ackerbau auch eine Gefahr?

Hansueli Dierauer: Grundsätzlich begrüsse ich es immer, wenn die landwirtschaftliche Produktion nachhaltiger wird. Etwas Mühe habe ich dann, wenn pestizidlos produzierter Weizen als «fast bio» bezeichnet wird. Es ist ein grosser Unterschied, ob ein Betrieb ganzheitlich nach Bio-Richtlinien geführt wird, oder aber nur eine einzelne Kultur – zumal dort ja weiter mit Kunstdünger gearbeitet werden darf.

Ist es auch eine Gefahr, dass die Preise für die Bio-Produzenten durch neue Labels aus dem ÖLN in Bedrängnis kommen?

Das ist ein Risiko. Wenn pestizidlos produzierter Weizen mit einer Prämie von nur Fr. 10.–/dt abgerechnet wird, dann ist der Unterschied zum Bio-Preis immer noch ziemlich gross. In der Kommunikation mit den Konsumenten und Konsumentinnen wird es immer schwieriger, die vielen Labels auseinanderzuhalten. Meiner Meinung nach sollte es nur noch IP oder Bio geben und nichts dazwischen.

Braucht die Bio-Landwirtschaft selber auch strengere Richtlinien, um sich in Zukunft klar vom ÖLN und anderen Labels abheben zu können?

Es gibt zwei Strömungen bei den Bio-Bäuerinnen und -Bauern: Die einen setzen eher auf Ertragssteigerungen mit Recyclingdüngern und den Gewinn von Marktanteilen durch Lockerungen bei den Verarbeitungs- und Anbaurichtlinien.

Die zweite Strömung ist konservativer: Sie besinnt sich auf die Ursprünge der Bio-Bewegung mit ihren geschlossenen Kreisläufen, will keine hochverarbeiteten Produkte und ist eher kritisch gegenüber dem «Weg des schnellen Wachstums». Es ist ein anspruchsvoller Spagat für den Verband Bio Suisse, diese Strömungen zusammenzuhalten.

Und wie versucht das Bio Suisse?

Jüngstes Beispiel dafür ist die regenerative Landwirtschaft. Hier ist es ein Anliegen von Bio Suisse, diese Strömung in die Bio-Richtlinien zu integrieren. So ist es ab nächstem Jahr möglich, aufeinanderfolgende, kurze Gründüngungen, die eingearbeitet werden, zusammenzurechnen und an den ganzjährig begrünten Anteil von 20 Prozent anrechnen zu lassen.

Aber das heisst, es sind keine grossen Entwicklungen zu erwarten, weil sonst jeweils eine Spaltung innerhalb der Bio-Branche droht?

Das kann man so nicht sagen. Die ganze Nährstoff-Frage beispielsweise wird heiss diskutiert. Das FIBL hat im Auftrag von Bio Suisse eine Studie gemacht um aufzuzeigen, wie viel Nährstoffe genau von konventionellen Betrieben auf Bio-Betriebe gelangen. Hier suchen wir intensiv nach sinnvollen Lösungen und Verbesserungen.

Wichtig ist auch zu sagen: Nicht nur die Bio-Landwirte profitieren von den Nährstoffen konventioneller Berufskollegen. Auch die konventionellen Bauern sind vielerorts darauf angewiesen, ihre Nährstoff-Überschüsse unter anderem an biologisch produzierende Landwirtinnen und Landwirte abgeben zu können.

Welches ist aus pflanzenbaulicher Hinsicht das grösste Hemmnis für Landwirte, um auf Bio umzusteigen?

Das ist in erster Linie die Angst vor dem Unkraut. Der Verzicht auf Herbizide bringt ein höheres Anbaurisiko, Mehraufwand und manchmal auch Handarbeit. Das wirkt abschreckend, auch, weil auf vielen Betrieben die Arbeitskräfte fehlen. Die grössten Herausforderungen liegen meines Erachtens in Zukunft aber nicht bei der Unkrautbekämpfung.

«Der Klimawandel und Schadinsekten sind die grössten Herausforderungen.»

Hansueli Dierauer

Was meinen Sie genau?

Unkraut mechanisch bekämpfen ist möglich. In Getreide oder Mais ist der Aufwand überschaubar, in anderen Kulturen ist es schwieriger, aber doch auch machbar, wenn es sein muss eben auch von Hand.

Eine viel grössere Herausforderung ist in meinen Augen der Klimawandel und die damit einhergehende mögliche Zunahme von Schadinsekten, gegen die wir momentan noch keine effektive Lösung haben. Pilzkrankheiten sind bisher ein weniger grosses Problem, da hier mit der Züchtung auf Resistenz schon grosse Fortschritte erzielt werden konnten.

Am meisten Respekt habe ich vor Viren, welche von Blattläusen oder Zikaden übertragen werden. In Teilen Österreichs ist wegen sogenannter Nanoviren ein grosser Teil des Körnerleguminosen-Anbaus zusammengebrochen. In der Schweiz sind wir zum Glück noch weitgehend verschont. Bei den Zuckerrüben kennen wir die viröse Vergilbung und SBR.

Beide Krankheiten dehnen sich jedes Jahr 10 km weiter gegen Osten aus. Das gefährdet den Bio-Zuckerrübenanbau, der sich gerade am Etablieren ist.

Auch der Raps steckt momentan in der Krise. Neben dem Rapsglanzkäfer treten vermehrt Erdflöhe und Stängelrüssler in Massen auf. Diese Herausforderungen müssen wir annehmen und Lösungen über neue Anbausysteme oder Sorten entwickeln.

Sie sind auch immer wieder in der Beratung tätig: Wie ergeht es den Umstellern in den ersten Jahren?

Die allermeisten Umsteller nehmen den Einstieg in die Bio-Landwirtschaft als interessante Herausforderung wahr. Sie wollen und müssen umdenken. Die Betriebsleiter versuchen, ihre Höfe ganzheitlich neu auszurichten. Das kann sehr viel Freude bereiten.

Immer wieder ist die Rede von Precision Farming, welches dem Bio-Ackerbau zum Durchbruch verhilft. Was sagen Sie dazu?

Es stimmt einfach nicht, dass Precision Farming die Lösung für alles sein soll. Manchmal ist es schon etwas anstrengend, wenn immer wieder die Allerwelts-Lösung Digitalisierung genannt wird.

Meines Erachtens werden hier zu grosse Hoffnungen geschürt. Es war ein zäher und langer Prozess, bis erste Roboter auf unseren Feldern in der Reihe jäten können. Hier stehen wir erst ganz am Anfang einer Entwicklung.

Roboter können uns zwar einen Teil der Arbeit abnehmen, die agronomischen Aufgaben auf den Betrieben können sie aber noch lange nicht übernehmen.

Bio-Ackerbau und die Tierhaltung gehören zusammen. Bio-Bauern müssen ein Mindestanteil Kunstwiese in der Fruchtfolge vorweisen können. Wie gehen Sie damit um, dass die Tierhaltung immer stärker in die Kritik gerät?

Tiere gehören zu geschlossenen Kreisläufen dazu. Ich finde die Tierhaltung nach wie vor wichtig und sinnvoll. Nicht ideal ist, wenn es zu einer Entflechtung von Tierhaltungsbetrieben und Ackerbetrieben kommt, wie das im Ausland aus wirtschaftlichen Gründen teilweise stark der Fall ist.

Wir sollten unseren vielseitigen, gemischten Betrieben Sorge tragen. Denkbar wäre es allenfalls, geschlossene Kreisläufe über mehrere, grössere Betriebe oder sogar Regionen sicherzustellen.

Welches sind aus ihrer Sicht die grössten Erfolgs-Stories im Bio-Ackerbau der letzten Jahre?

Hier sehe ich drei Punkte: Erstens würde ich die Entwicklung von Mischkulturen nennen. Im Jahr 2008 haben wir mit der Entwicklung praxistauglicher Mischkulturen begonnen, mittlerweile hat sich das Eiweisserbsen-Gerste-Gemisch sehr gut etabliert – auch bei konventionellen Landwirtinnen und Landwirten.

Zweitens konnten wir die Qualität von Schweizer Bio-Weizen in Zusammenarbeit mit vielen Akteuren der Branche laufend verbessern. Heute gehört der Schweizer Bio-Weizen zu den besten in ganz Europa.

Und drittens konnten wir den Anbau von Bio-Soja für die menschliche Ernährung in der Schweiz etablieren.

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Könnte es für weitere Fortschritte schwierig werden, wenn man sich modernen Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas oder innovativen chemischen Produkten verschliesst?

Ich denke, der Bio-Landbau muss sich als Gesamtsystem klar abgrenzen, damit die Grenze zur konventionellen Landwirtschaft nicht unscharf wird. Aus meiner Sicht ist es zu gefährlich, wenn wir hier Kompromisse eingehen.

Es gibt auch andere Wege, die Bio-Züchtung zu stärken, wie dies etwa die Getreidezüchtung Peter Kunz seit Jahren zeigt. Dies scheint mir viel sinnvoller.

Bei welchen Kulturen sehen Sie noch ein grosses Wachstumspotenzial für Bio-Produzenten?

Gesucht sind momentan vor allem anbautechnisch anspruchsvolle Kulturen wie Raps oder Zuckerrüben. Grundsätzlich ist der Bio-Markt immer noch gut, auch Weizen und Körnerleguminosen sind sehr gefragt.

Einzig die Nachfrage nach Futtergetreide stockt etwas. Und mit Schwankungen bei Angebot und Nachfrage müssen wir einfach leben, das gehört in unserer Branche dazu.

Wenn Sie sich eine Supersorte einer Kultur wünschen könnten: Welche wäre das?

Das wäre eine insektenresistente Rapssorte. Raps kommt bei den Konsumentinnen und Konsumenten gut an, das Öl ist gesund und hat einen guten Geschmack.

In der Fruchtfolge ist Raps eine sehr wertvolle Kultur, die auch den Boden gut bedeckt. Wir haben in den letzten 20 Jahren zusammen mit Biofarm viel Herzblut in den Anbau von Bio-Raps gesteckt, und ich möchte diese Kultur gerne beibehalten. Aktuell sind die Herausforderungen mit Erdfloh, Stängelrüssler und Glanzkäfer aber sehr gross.

Vielseitig interessiert
Hansueli Dierauer arbeitet bereits seit 1988 am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Zuvor hat der ETH-Agronom drei Jahre bei Agroscope am Reckenholz gearbeitet und Herbizide getestet. «Ich konnte dabei auch viel für meine Tätigkeiten am FIBL mitnehmen. Ich finde es auch als Forscher im Bereich Bio-Ackerbau gut, wenn ein Verständnis dafür da ist, wie Herbizide wirken und wie die konventionelle Landwirtschaft funktioniert.»

Der 63-Jährige ist zwar nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, hat sich aber immer für die Landwirtschaft interessiert. Aus ökologischen Gründen begann er, sich immer mehr für die biologische Landwirtschaft zu interessieren.

Der Wechsel von Agroscope zum FIBL war für ihn ein logischer Schritt: «Ich hatte lieber Erde an den Händen als Pflanzenschutzmittel-Rückstände.»

Seine heutigen Tätigkeitsbereiche am FIBL sind vielseitig:
- Leitung Gruppe Anbautechnik Ackerbau im Departement für Bodenwissenschaften
- Projektleiter Sortenprüfung diverser Ackerkulturen, Entwicklung Biozuckerrüben, Unkrautregulierung mit Robotern
- Beratungskoordination Ackerbau am FIBL
- Allgemein Beratungen und Umstellungen rund um den Bioackerbau
- Mitglied der Fachgruppe Ackerkulturen der Bio Suisse und Biosaatgut Swisssem und TK Swissgranum Sorten

Bezüglich einer Supermaschine wäre wohl ein vollautomatischer Jätroboter das Gerät Ihrer Träume?

Ja, das wäre nicht schlecht. Für mich wäre aber entscheidend, dass die Maschine einfach zu verstehen und zu bedienen ist. Das war bei den bisherigen Prototypen oft nicht der Fall.

Aber da ich mehr Respekt vor Viren und Schädlingen als vor Unkraut habe, wäre es vielleicht doch eher toll, wenn eine Maschine gegen diese Schaderreger entwickelt würde. Das ist aber derzeit nicht absehbar.

Wenn Bio und ÖLN näher zusammenrücken, steigen auch die gemeinsamen Interessen, beispielsweise in der Forschung. Stellen Sie eine vermehrte Bündelung der Kräfte fest?

Die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Playern wie FiBL, HAFL, ETH oder Agroscope ist sicher wichtiger geworden. Es gibt generell weniger Grabenkämpfe zwischen bio und konventionell als früher.

Gleichzeitig stehen wir aber auch in einer gesunden Konkurrenz, wenn es darum geht, Projekte zu bekommen. Es gibt heute einen viel grösseren Koordinationsaufwand, um Gelder für die Bio-Forschung zu bekommen – mit allen Vor- und Nachteilen.

Auf welche Forschungsergebnisse warten Sie besonders gespannt?

Es gibt ganz viele Projekte, die ich seit Jahren verfolge. Ich habe gelernt, dass man in der Forschung immer nur kleine Schritte vorwärts macht. Es gibt nicht plötzlich die eine Supersorte, das eine Wundermittel oder die eine revolutionäre Alleskönner-Maschine. Das liegt auch daran, dass wir immer eine ganze Fruchtfolge, einen ganzen Betrieb oder sogar ein ganzes Anbausystem im Blick haben, nicht bloss eine einzelne Kultur.

Dennoch kann ich sagen: In den letzten 30 Jahren haben wir viel erreicht. Früher gediehen auf Bio-Feldern vor allem Mais, Weizen, Gerste, Dinkel und viel Futter aus Kunstwiesen. Heute ist der Bio-Ackerbau diverser geworden und die Erträge haben sich bei den meisten Kulturen stabilisiert.

Was erhoffen Sie sich für die Ackerbau-Saison 2022?

Es wäre sehr schön, wenn wir den Bio-Ackerbautag vom 8./9. Juni 2022 planmässig durchführen könnten. Zudem wünschte ich mir ein meteorologisch stabiles Jahr ohne grosse Wetterextreme. Das wäre wieder einmal eine schöne Abwechslung.