Kurz & bündig
- Konsumentinnen und Konsumenten wollen nicht nur mit dem Kopf kaufen.
- Storytelling spricht das Herz der Konsumenten an.
- Bei der Produkteentwicklung: Die Konsumenten fragen und mitentscheiden lassen.
- Der Detailhandel sollte Produkte aus tierfreundlicher Haltung auf Augenhöhe platzieren und zur Norm machen.
- Billigprodukte lassen Labels zu teuer aussehen. Deshalb kommt es zu Marktverzerrungen.
Der Konsument wünscht sich mehr tiergerecht produziertes Fleisch im Angebot, sagen Marktstudien. Doch gemäss Detailhandel ist das Angebot an respektvoll produziertem Fleisch grösser als die Nachfrage. So beschreibt Cesare Sciarra, Leiter Kompetenzzentrum Nutztiere des Schweizer Tierschutz STS, die aktuelle Diskrepanz auf dem Markt für Labelprodukte.
«Wie bringt man mehr Tierwohl auf den Markt?»
Zu diesem Thema wäre die Nutztiertagung 2020 des Schweizer Tierschutz STS geplant gewesen. Die Tagung musste pandemie-bedingt ausfallen – aber «die grüne» hat drei vorgesehene ReferentInnen zu ihren Vorstellungen gefragt.
Mit Storytelling das Herz der Konsumenten berühren
«Meine Verkäuferinnen können zu jedem Produkt eine Geschichte erzählen», sagt Jörg Reuter, Geschäftsführer des Berliner Lebensmittel- und Feinkostladens «Vom Einfachen das Gute». Labels bemühen sich, sachlich zu informieren, aber sie «berühren» den Kunden nicht. «Sie sprechen oft nur den Kopf an und schaffen im besten Fall Vertrauen, Sicherheit und Entlastung.»
Um den Kunden freudig zu einem Kaufentscheid zu bewegen, gilt es, auch das Herz, die emotionale Ebene, anzusprechen. Den Zugang dazu sieht der Verkaufsberater im Storytelling. Das hört sich nicht nur besser an als «Geschichten erzählen», sondern ist auch umfassender. Geschichten kann man auch mit Hilfe von Fotos und Videofilmen erzählen. Es müssen aber wahre, authentische Geschichten sein. Reuter empfiehlt Direktvermarktern, dazu auch die sozialen Medien zu nutzen. Es brauche nicht viel Zeit, wenn man einmal verstanden habe, wie es funktioniert. «Macht einfach ein schönes Foto, lasst Euch vom Augenblick leiten.» Ein gutes Beispiel bietet die Website seines Feinkostladens. Ziel ist es, Wertschätzung für Produkte zu schaffen. Dann werden sie einen angemessenen Preis finden.
Konsumenten und Produzenten einbeziehen
Reuter ist auch Inhaber von «Grüne Köpfe», einem Strategieberatungsunternehmen in Berlin, das vor allem grosse Unternehmen wie Coop oder Rewe berät. Label-Richtlinien sollen nicht in zähen Meetings von Funktionären und Experten verhandelt werden, sondern von den Konsumenten und Bauern im Gespräch entwickelt werden.
Als Beispiel dafür nennt der Strategieberater die erfolgreiche, französische Initiative «C’est qui le patron?!» Hier werden die Konsumenten in Entscheidungen mit einbezogen. Sie werden gefragt, was ihnen wichtig ist und wie viel sie bereit sind, für ein entsprechendes Produkt zu zahlen.
Solche auf demokratische Weise entstandenen Produkte haben es gemäss Reuter auf die Topseller-Liste geschafft. Labels, die auf diese Weise entstehen, erhöhen nicht nur die Glaubwürdigkeit von Produkten, sondern sind näher am Konsumenten. «Die Zeit ist reif, um die Nähe zum Konsumenten herzustellen», beobachtet der Marktstratege.
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«Die Zeit ist reif, um die Nähe zum Konsumenten herzustellen»
Jürg Reuter, Grüne Köpfe Berlin
Kommunizieren, ohne belehrend zu wirken
Verschiedene Studien bestätigten, dass eine respektvolle Tierhaltung ein wichtiges Bedürfnis von Konsumentinnen und Konsumenten ist. Doch die Nachfrage nach Fleisch, welches im Sinne des Tierwohls produziert werde, bleibe hinter den Erwartungen zurück, stellt Dorothea Schaffner fest. Sie ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW in Olten.
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«Kommunizieren, ohne belehrend oder moralisierend zu wirken»
Dorothea Schaffner, FHNW Olten
Der Konsument vergisst hinter dem Produkt im Ladenregal das Tier, das dahintersteht. Zur Förderung von Produkten aus tierfreundlicher Haltung rät sie wie Reuter, positive Emotionen zu wecken. Bilder von Natur und Tieren auf der Verpackung eigneten sich dafür besonders gut. Um den Kunden anzusprechen, müsse man kommunizieren, ohne belehrend oder moralisierend zu wirken. Sonst könne dies leicht zu einer abwehrenden Reaktion des Kunden führen.
Werbung bedient sich oft sogenannter «Opinion leaders» (Meinungsführer). Warum nicht auch in der Direktvermarktung erzählen, dass eine bekannte Persönlichkeit sich zum Beispiel biologisch ernährt?
Michelle Obama, die Frau des früheren amerikanischen Präsidenten, war lange Zeit ein Aushängeschild für biologischen Gemüsebau. Entsprechend lässt sich zeigen, dass der Kauf von respektvoll produziertem Fleisch der Norm entspricht. Das Produkt ist also von der Gesellschaft sozial erwünscht und richtig.
Produkte aus tierfreundlicher Haltung auf Augenhöhe
Dem Detailhandel empfiehlt Wirtschaftspsychologin Dorothea Schaffner, Produkte aus respektvoller Tierhaltung auf Augenhöhe und in die Mitte des Regals zu stellen. So sind sie nicht nur deutlich sichtbar, sondern werden als Standardprodukte in den Vordergrund gerückt.
Der Kunde solle nicht mehr die Produkte aus tierfreundlicher Haltung suchen müssen, sondern diejenigen aus einer Haltung, die gerade einmal minimalen Tierschutzanforderungen entsprechen. Der Kauf von respektvoll produzierten tierischen Produkten werde somit zur neuen Norm und Gewohnheit.
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Label-Offensive des Schweizer Tierschutz STS
Labels haben lange Zeit nicht zuletzt dank der Tierwohlprogramme des Bundes stetig an Marktanteil gewonnen. In den letzten Jahren hat ihr Anteil am Verkauf jedoch stagniert oder ist sogar zurückgegangen, hält Stefan Flückiger fest, Geschäftsführer Agrarpolitik beim Schweizer Tierschutz STS.
Woran liegt das? Der STS ist mit Marktstudien gezielt dieser Frage nachgegangen. «Die Preisrelationen stimmen nicht,» sagt Flückiger. Vereinfacht gesagt sind die konventionellen Produkte im Detailhandel künstlich zu billig und die Labelprodukte im Vergleich zu teuer.
«Dem Konsumenten wird eine Preissituation vorgespielt, die nicht den effektiven Kostenverhältnissen entspricht», bringt es der Agrarexperte auf den Punkt. Einen Franken pro Liter Milch oder sieben Franken für ein Kilogramm Pouletschenkel sind Schnäppchenpreise, welche die Konsumenten in den Laden locken sollen.
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Kostenwahrheit und ehrliche Werbung sind gefragt
Doch es ist unmöglich, mit solchen Preisen die Kosten für den Landwirt und das Tierwohl zu decken. Trotzdem verleiten solche Billigprodukte den Konsumenten zum Kauf und dieser kann den hohen Preisunterschied zum Labelprodukt nicht nachvollziehen. «Schnäppchen schaden der Labelpolitik», so Stefan Flückiger.
Grossverteiler und Discounter kaufen Labelprodukte nur wenig teurer als konventionelle Produkte ein, aber verkaufen sie unverhältnismässig teurer. Flückiger zeigt es am Beispiel des Ei-Preises. Während ein Hennenhalter für ein Freilandei gemäss Statistik des BLW gerade einmal einen Rappen mehr erhält als für ein Ei aus Bodenhaltung, sind Freilandeier im Laden 10 bis 20 Rappen teurer. Die Gewinnmarge ist überproportional grösser als bei den konventionellen Produkten.
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«Die Preissituation entspricht nicht den effektiven Kostenverhältnissen»
Stefan Flückiger, Schweizer Tierschutz STS
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Kostenwahrheit würde das Tierwohl fördern
Die Vermutung liegt nahe, dass mit den teuren Labelprodukten eine Querfinanzierung des Billigsegments stattfindet, so Stefan Flückiger vom Schweizer Tierschutz STS. Die Labelmärkte funktionierten deswegen nicht. Um den Absatz tierfreundlich erzeugter Produkte zu fördern, brauche es mehr Kostenwahrheit. Produkte tierfreundlicher Labels sollten nur so viel teurer sein, wie die Preise den Mehraufwand für das Tierwohl und die effektiven Mehrleistungen für Verarbeitung und Verkauf abgelten.
Eine Agroscope Studie zeigt, dass sich der Markt für Label-Produkte sehr schnell ausdehnen liesse, würden konventionelle Produkte nicht zu Dumping Preisen verkauft und Label-Produkte nicht künstlich verteuert. Nicht zuletzt verlangt der STS von Grossverteilern und Discountern eine ehrliche Werbung. Es dürfe nicht sein, dass mit naturnahen, schönen Bildern für Billigprodukte geworben werde, die nicht aus einer solchen Tierhaltung stammen.
Viele gute Beispiele auch in der Schweiz
Man muss nicht bis nach Berlin fahren, um zu lernen, wie man Produkte aus tierfreundlicher Haltung vermarktet.
In der Schweiz sind viele Direktvermarkter sehr erfolgreich. Sie sind direkt mit Kunden in Kontakt, zeigen, wie sie ihre Tiere halten, und werben mit kurzen Transporten zum Dorfmetzger oder mit Hofschlachtung. Manche bringen den Hofladen sogar in die Stadt, zum Beispiel «Onkel Urs» in Bern.
Junge Landwirte bieten dort gemeinsam regionale Produkte und Fleisch aus tierfreundlicher Haltung an, von Tieren, die sie als gelernte Metzger selbst auf dem Hof schlachten. Auch hier wird auf positive Emotionen gesetzt, wie ein Blick auf die Website zeigt.