Kurz & bündig
- Der zweite Bericht zum «Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin» IS ABV beruht auf Daten, die TierärztInnen 2021 erhoben haben.
- In absoluten Zahlen werden die grössten Wirkstoffmengen bei Mastkälbern und Mastrindern eingesetzt. Im Bericht werden diese absoluten Zahlen jedoch in Relation zu den Populationsgrössen gesetzt.
- Der beobachtete Rückgang der eingesetzten Antibiotika ist erfreulich – insbesondere der abnehmende Einsatz kritischer Wirkstoffe.
- Die «Abgabe auf Vorrat» von kritischen Antibiotika sei aber noch zu hoch, sagt GST-Tierärztin Patrizia Andina.

Die Menge tierärztlich verschriebener antibiotischer Wirkstoffe ist 2021 um 4,4 % zurückgegangen, verglichen mit 2020. Bei der Menge kritischer Wirkstoffe wird sogar ein Rückgang von 9,8 % verzeichnet. 

Ein aufgeklappter Tierarztkoffer, der unter anderem auch Antibiotika enthält.AntibiotikaIm Visier: Antibiotika-Verbrauch der Veterinärmedizin für die LandwirtschaftDienstag, 18. Januar 2022 Das steht im zweiten Bericht zum «Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin» IS ABV, den das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV Anfang Dezember 2022 präsentierte. 

Der Rückgang der verkauften Antibiotika-Menge ist an sich eine erfreuliche Entwicklung – ganz nach dem Motto «weniger ist mehr». Allerdings sagen diese Zahlen nicht viel darüber aus, ob die Tiere wirklich gesünder waren. Weshalb? Weil beispielsweise die Anzahl Tiere in der Schweiz in der gleichen Zeit ebenfalls geändert haben könnte. Bei einer Abnahme der Tierzahl wäre es normal, dass auch weniger Antibiotika notwendig sind.

Tierbehandlungen mit (kritischen) Antibiotika

Aussagekräftiger sind die Anzahl Tierbehandlungen. Im neuen Bericht werden diese Behandlungen sinnvollerweise ins Verhältnis zu den Populationszahlen der Nutztiere gesetzt: Die Behandlungen werden pro 1'000 Tiere dargestellt.

Die Grafik 1 zeigt die AB-Behandlungen in Relation zur Populationsgrösse. Bei den Milchkühen wurden die meisten AB-Behandlungen durchgeführt, auf den nächsten Plätzen folgen Rinderaufzucht und Rindermast, Nutzkaninchen sowie Geflügel-Elterntiere. Nutzkaninchen und Geflügel-Elterntiere sind die Kategorien mit dem grössten Anstieg von 2020 auf 2021.
Bei allen Schweinekategorien, bei den Geflügel-Aufzuchttieren und bei den Masttruten gab es dagegen einen Rückgang.

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Die Grafik 2 zeigt die «Tierbehandlungen mit kritischen AB pro 1'000 Tiere». Hier erfolgten mit Abstand am meisten Behandlungen in der Rinderaufzucht und -Mast, gefolgt von den Mastpoulets, dem Aufzuchtgeflügel und den Milchkühen.

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Kritische Antibiotika bei vielen Nutztieren rückläufig

Die Rinderaufzucht und -Mast ist auch die Tierkategorie, die absolut die höchsten Mengen kritischer AB verbraucht. Zwar fand von 2020 (730 kg eingesetzte kritische Wirkstoffe) zu 2021 (612 kg) eine Reduktion um 16 % statt. Doch zu den zweitplatzierten Milchkühen mit 102 kg eingesetzter kritischer Wirkstoffe ist es ein grosser Abstand.

Erfreulich ist, dass nebst der Rinderaufzucht- und Mast auch bei vielen anderen Nutztier-Kategorien der Einsatz von kritischen AB gesenkt werden konnte. Die grosse Zunahme bei Lege-/Mastelterntieren und Nutzkaninchen muss indes relativiert werden: «Die Populationen sind klein und es gibt nur wenige grosse Tierbestände: Wenn Behandlungen in einem der wenigen grossen Bestände notwendig sind, so hat dies eine deutliche Erhöhung dieser Kennzahl zur Folge», schreibt das BLV dazu in ihrem Bericht.

Ganz allgemein könne aus den Zahlen von 2020 und 2021 noch kein Trend herausgelesen werden, sagt Patrizia Andina, Tierärztin und Fachverantwortliche für Tierarzneimittel bei der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte GST: «Nach zwei Auswertungsjahren ist das noch nicht möglich. Zudem hat die Datenqualität von IS ABV und damit die Aussagekraft der Auswertungen noch Potenzial zur Verbesserung.»

Was hat es mit «Abgabe auf Vorrat» auf sich?

Wenn die TierärztInnen den TierhalterInnen Antibiotika auf Vorrat abgeben, erfassen sie diesen Verschreibungstyp im IS ABV. Dabei handelt es sich um eine Sondermöglichkeit bei Nutztieren, bei der man AB verschreibt, ohne das Tier vorher untersucht zu haben. 

«Diese Abgabe kommt in den Fällen zum Zuge, in denen davon ausgegangen wird, dass die TierhalterInnen richtig diagnostizieren», erklärt Patrizia Andina. Ein Beispiel: Penicillin wird auf Vorrat abgegeben, damit bei Bedarf sofort die Nabelentzündung beim Kalb behandelt werden kann.

Der Anteil von Verschreibungen als Abgabe auf Vorrat ist zwischen 2020 und 2021 von 24,7 % auf 22,5 % gesunken.

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Abgabe auf Vorrat unterliegt klaren Auflagen

Die Abgabe auf Vorrat darf nicht einfach so passieren. Die Tierärztin muss den Landwirt und dessen Tiere kennen und sich sicher sein, dass der Landwirt die AB richtig anwendet und lagert. Konkret dürfen Tierarzneimittel in der Schweiz nur unter den folgenden Bedingungen auf Vorrat abgegeben werden:

  • Es ist eine Tierarzneimittelvereinbarung vorhanden, in der auch steht, dass der Tierarzt regelmässig den Betrieb besucht und kontrolliert.
  • Es wird nur die erlaubte Menge abgegeben.
  • Keine kritischen Antibiotika und Antibiotika zur prophylaktischen Behandlung.

Kritische Antibiotika zu häufig auf Vorrat abgegeben

«Mit diesen Auflagen sind die AB auf Vorrat erlaubt», sagt Andina. «Was hingegen nicht sein darf, sind kritische AB, die auf Vorrat abgegeben werden», so die Tierärztin. Auch wenn dabei nicht 0 % angestrebt werden. 

Andina macht ein Beispiel: Wenn Untersuchungen im Labor gezeigt haben, dass kein anderes Antibiotikum wirkt und die Tierhalterin mit dem Tierarzt einen schriftlichen Plan gemacht hat, um das Problem mit anderen Mitteln anzugehen (z.B. Impfungen oder Verbesserungen im Management), kann bei Ferkeldurchfall durchaus ein kritisches AB aus dem Vorrat zum Einsatz kommen. Aber: «Die Prozentzahlen sind aktuell klar zu hoch», sagt Andina.

2021 waren 5,5 % der Verschreibungsmeldungen für kritische Antibiotika vom Typ «Abgabe auf Vorrat». Im Vorjahr waren es noch 8 %. 

Zahlen werden wohl noch sinken – dank verbesserter Datenerfassung

Die GST gehe davon aus, dass die Praxen teilweise Behandlungen mit kritischen AB fälschlicherweise als «Abgabe auf Vorrat» erfasst hätten, meint Andina. So könnte beispielsweise eine Nachbehandlung, die der Tierhaltende in der Praxis abholt, als «Abgabe auf Vorrat» erfasst worden sein. 

«Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass die aktuellen Zahlen im Bericht des IS ABV der Realität entsprechen. Denn die TierärztInnen werden vom Veterinäramt kontrolliert und die Einschränkung gilt schon seit 2015. Jemand, der oft kritische AB auf Vorrat abgibt, muss sich rechtfertigen.» 

Sie gehe daher davon aus, dass diese Zahlen noch sinken werden – aufgrund von besserer Datenerfassung durch die Tierärzteschaft in den nächsten Jahren.

Hintergründe

IS ABV
IS ABV steht für «Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin». In der Datenbank des IS ABV müssen seit dem 1. Oktober 2019 alle TierärztInnen die Antibiotika AB erfassen, die sie an Heim- und Nutztiere verschreiben. Die Auswertungen dieser Daten ergeben ein genaueres Bild des Antibiotika-Einsatzes, als dies die reinen Verkaufszahlen der Veterinärpharma-Firmen an die Tierärzte vorher taten.

Kritische Antibiotika
Als kritisch werden Antibiotika angesehen, die in der Humanmedizin unverzichtbar sind. Solche Wirkstoffe dürfen erst eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika nicht zur Verfügung stehen oder nicht wirken.