Der 2. Fenaco Stadt-Land-Monitor zeigt: Der politische Stadt-Land-Graben wird 2023 von der Schweizer Bevölkerung stärker wahrgenommenen als noch vor zwei Jahren. In einer Umfrage im Auftrag des Agrarkonzerns Fenaco haben 67 Prozent der Befragten einen grossen Graben zwischen Stadt und Land festgestellt, 3 Prozentpunkte mehr als noch in einer Umfrage 2021.
Nimmt man hingegen die eidgenössischen Volksabstimmungen als Messlatte, so hat sich der Graben stabilisiert. Während die Abstimmungs-Ergebnisse 2020 und 2021 zwischen (Gross-)Stadt und Land stark voneinander abwichen, bewegten sie sich 2022 wieder im mehrjährigen Durchschnitt.
Eine Ausnahme bildet die Volksinitiative gegen die Massentierhaltung MTI im Jahre 2022. Sie gehört zu den Top-5-Abstimmungen mit der grössten Stadt-Land-Differenz seit 1981 und steht sinnbildlich dafür, dass das Thema Landwirtschaft zwischen Stadt und Land besonders kontrovers diskutiert wird.
Der Fenaco Stadt-Land-Monitor 2023 wurde im Auftrag der Fenaco vom Forschungsinstitut Sotomo erstellt. Sotomo befragte dazu im Januar 2023 über 3100 Personen in der ganzen Schweiz und wertete zudem die nationalen Abstimmungs-Ergebnisse seit 2021 aus – mit den drei Agrar-Initiativen dieser beiden Jahre.
Der Fenaco Stadt-Land-Monitor zeigt, wie gespalten jeder einzelne Schweizer Bürger ist
Von 40 auf 46 Prozent zugenommen hat insbesondere der Teil der Befragten, die einen grossen Stadt-Land-Gegensatz wahrnimmt. «Gleichzeitig sind diese Befragten aber überzeugt, dass die Schweiz diesen Gegensatz gut auszuhalten vermag», erklärte Politikwissenschaftler und Sotomo-Leiter Michael Hermann. Eine Belastungsprobe für die Schweiz sehen nur 21 Prozent der Befragten.
Einig sind sich Stadt und Land bei der Versorgungssicherheit und damit einer starken Inlandproduktion. Die Gründe dafür dürften – nach der Corona-Pandemie 2020 bis 2022 – der Krieg von Russland in der Ukraine ab Februar 2022 und die darauf drohende Energie-Mangellage sein. Bei den Lebensmitteln wollen 88 Prozent der Befragten den Selbstversorgungsgrad von heute 57 Prozent auf 71 Prozent erhöhen.
Bei der Energie soll der Selbstversorgungsgrad sogar von 30 Prozent auf 68 Prozent mehr als verdoppelt werden.
Die konkreten Massnahmen werden jedoch unterschiedlich eingeschätzt. So schätzt eine grosse Mehrheit der Befragten an der Inlandproduktionder Schweizer Landwirtschaft, dass sie bei besserer Qualität der Lebensmittel weniger Umweltbelastung verursacht. Gleichzeitig kaufen die gleichen Befragten aber wegen der tiefern Preise ausländische Produkte.
«In kaum einem anderen Land sind Stadt und Land derart engmaschig verwoben wie in der Schweiz», erklärte Michael Hermann vom Forschungsinstitut Sotomo. «Zugleich ist hierzulande das Stadt-Land-Spannungsfeld besonders prägend für den politischen Diskurs.»
Diskrepanz zwischen dem Wunsch der Konsumenten und dem Lösungsweg in der Landwirtschaft
Wie erwähnt wollen 71 Prozent der Befragten eine höhere Inlandproduktion – aber bitte ohne eine Steigerung des Ertrags pro Hektare, ohne Digitalisierung der Landwirtschaft (zur Überwachung und Steuerung von Saatgut, Düngemitteln und Bewässerung) und dafür mit einer Ausdehnung der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Und bitte auch ohne Genom Editing und andere neue Zucht-/Anbaumethoden. «Das macht es angesichts der Platzverhältnisse in der Schweiz aber eher schwierig», meinte denn auch Michael Hermann realistisch.
Interessant ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Lösungsweg auch bei der tierischen Nahrungsmittelproduktion. So wollen 44 Prozent der Befragten, dass die Schweizer Landwirtschaft mehr pflanzliche statt tierische Lebensmittel produziert – der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum der Schweizer Bevölkerung stieg aber 2021 gegenüber dem Vorjahr um 1,8 Prozent auf 51,82 Kilogramm.
Und noch etwas fällt auf: Während die Schweizer Landwirte in der Realität schon lange im digitalen Zeitalter angekommen sind, glauben 45 Prozent der Befragten, dass die Schweizer Landwirte ein Digitalisierungs-Defizit haben. Das hat einen besonderen Charme, wenn man es mit den nur 37 Prozent vergleicht, welche in der Verwaltung ein Digitalisierungs-Defizit sehen.
Die städtische und ländliche Bevölkerung fühlt sich gleichermassen unverstanden
Auch wenn bei Volksabstimmungen die grossen Städte häufig überstimmt werden, geht eine Mehrheit der Bevölkerung davon aus, dass die Städte in der Schweiz eher das Sagen haben. In den Städten werden die gesellschaftlichen Trends gesetzt, die wirtschaftlichen Weichen gestellt und die meinungsbildenden Medieninhalte produziert. Im Vergleich zu 2021 sind umgekehrt immer mehr (Gross-)Städter der Meinung, dass sie in der Schweiz zu wenig Gehör finden.
So ist der Anteil der grossstädtischen Bevölkerung, der findet, die urbanen Interessen erhielten auf dem Land genug Beachtung, von 37 auf 28 Prozent markant gesunken. Umgekehrt fühlten sich bereits 2021 nur 30 Prozent der Landbevölkerung von den Städtern gut verstanden. Dieser Anteil sank 2023 auf 27 Prozent.
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Das macht Fenaco konkret für eine ökologische Intensivierung der Schweizer Landwirtschaft
«Die gute Nachricht vorneweg: Die Versorgungssituation mit Lebensmitteln in der Schweiz war und ist gut», stellte Michael Feitknecht fest, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter des Departements Pflanzenbau im Agrarkonzern Fenaco.
Um die Versorgung der wachsenden Bevölkerung bei gleichbleibenden Ressourcen auch in Zukunft sicherzustellen, müsse die Schweizer Landwirtschaft aber eine ökologiche Intensivierung anstreben. Das heisst: Eine Steigerung der landwirtchaftlichen Produktion, ohne die Umwelt zusätzlich zu belasten.
Dazu brauche es aber «neben Forschung und technologischen Fortschritten vor allem die Offenheit und Akzeptanz von Gesellschaft und Politik, diesen Fortschritt in der Landwirtschaft zuzulassen», betonte Michael Feitknecht.
Fenaco mache dies ganz konkret mit der Innovations-Plattform Innovagri, die innovative und nachhaltige Landwirtschaftstechnologien für Landwirte erschwinglicher und schneller verfügbar macht. Feitknecht nannte als Beispiele:
– die Ecorobotix-Technologie für eine hochpräzise und selektive Einzelpflanzenbehandlung im Pflanzenbau und Dauergrünland auf Basis Künstlicher Intelligenz
– das neue Label UFA Swiss Climate Feed und
– Agroline Bioprotect Nützlinge im Pflanzenschutz