Der neue Geschäftsführer von IP-Suisse heisst Christophe Eggenschwiler. Der Agraringenieur ETH aus Rebeuvelier JU ist seit 1. Juli 2022 Nachfolger von Fritz Rothen, der IP-Suisse seit 1989 massgeblich aufgebaut und geprägt hatte.

Herr Eggenschwiler, wir führen das Interview 100 Tage nach Ihrem Amtsantritt. Es war sehr schwierig, einen Termin mit Ihnen zu bekommen. Ist der Job als Geschäftsführer von IP-Suisse ein 200-Prozent-Job?

Nicht ganz, zum Glück. Ich würde sagen, es ist ein 150-Prozent-Job. Einerseits kommt sehr viel Neues auf mich zu, andererseits braucht es viel Schwung, wenn man in einen gut eingespielten «Motor» hinein kommt.

Ihr Vorgänger hat IP-Suisse mitgegründet und als Geschäftsführer 33 Jahre lang erfolgreich geführt. Fritz Rothen hat grosse Fussspuren hinterlassen. Können Sie diese ausfüllen? Wollen Sie diese Fussspuren überhaupt ausfüllen?

AboFritz Rothen hat IP-Suisse als Geschäftsführer von 1989 bis 2022 geprägt.InterviewDer unbequeme Pionier Fritz Rothen blickt zurück auf 33 Jahre IP-SuisseDonnerstag, 3. November 2022 Es ist beeindruckend, was IP-Suisse in 33 Jahren erreicht hat. Ich habe sehr grossen Respekt vor den Gründern. Mittlerweile haben wir 30 MitarbeiterInnen. Es sind also grosse Fussspuren – aber das hat den Vorteil, dass ich sie sehe.

Ich muss kein zweiter Fritz Rothen sein. Aber IP-Suisse kann man nicht auf den Geschäftsführer reduzieren. Das sind wie erwähnt 30 IP-Suisse-MitarbeiterInnen und ein grosser Verein mit 18'500 Mitgliedern, rund 125 IP-Suisse-Delegierten und dem IP-Suisse-Vorstand mit 27 Mitgliedern.

IP-Suisse ist mit dieser Struktur ein Spiegelbild der integriert produzierenden LandwirtInnen in der Schweiz. Und mein sehr arbeitsintensiver Start beweist, dass IP-Suisse enorm dynamisch ist. Davor habe ich Respekt, aber keine Angst.

Braucht es IP-Suisse im heutigen Label-Dschungel überhaupt noch?

IP-Suisse wurde 1989 als Brückenbauer zwischen Bio Suisse und der konventionellen Landwirtschaft gegründet. Eine gute Idee, die aber zu einem regelrechten Label-Dschungel geführt hat. In diesem sind sogar zwei Labels von IP-Suisse: der IP-Suisse Käfer und Agrinatura in den Volg-, Prima- und TopShop-Läden der Fenaco. Finden Sie selbst sich in diesem Label-Dschungel überhaupt noch zurecht?

Die Label-Diversität hat sich in diesen 33 Jahren stark entwickelt. Das zeigt, dass es bei den KonsumentInnen ein Bedürfnis dafür gibt. Die KonsumentInnen wollen wissen, was sie essen und wer die Nahrungsmittel wie produziert.

In den letzten Jahren hat sich aber IP-Suisse stark etabliert. Nun müssen wir dafür sorgen, dass unsere Werte von den KonsumentInnen auch wahrgenommen werden.

Braucht es IP-Suisse noch, obwohl es alleine in der Nahrungsmittel-Branche über 70 Labels gibt?

Natürlich braucht es IP-Suisse weiter, das ist ganz klar. Ich sage immer, wir sind komplementär. IP-Suisse hat seinen Platz, sonst wäre das Label schon lange verschwunden und nicht so erfolgreich wie aktuell. Der Markt bestimmt, ob es IP-Suisse weiter gibt oder nicht.

IP-Suisse vertritt viele Faktoren, von der Biodiversität über das Tierwohl und die klimatische Nachhaltigkeit bis zur  sozialen Nachhaltigkeit.

Die Markt-Nische der Discounter besetzte IP-Suisse bis jetzt alleine. Neu gibt es aber beim Discounter Denner Milch mit der Bio-Knospe. Kommt damit das Discounter-Alleinstellungsmerkmal von IP-Suisse ins Wanken?

Nein. Für uns ist ganz wichtig, dass wir unsere Leistung vom Discounter über die beiden grossen Detailhändler Migros und Coop bis zum kleinen Volg auf dem Dorf positionieren können.

Wenn die KonsumentInnen Bio-Nahrungsmittel kaufen wollen, dann können sie Bio kaufen. Wenn sie weitere Faktoren wie Biodiversität, Tierwohl und die ökologische sowie soziale Nachhaltigkeit beachten möchten, dann kaufen sie IP-Suisse.

Sind die immer restriktiveren Label-Anforderungen nötig?

Ob IP-Suisse, Bio Suisse, Mutterkuh, Natura Beef oder eines der anderen Labels – die Anforderungen werden immer strenger und die Richtlinienbücher immer dicker. Für die Landwirte ist das doch eine Zumutung.

Das stimmt,  es ist ein Zeichen der Zeit.  Die Komplexität wird immer grösser. Viele dieser Bedingungen sind nicht von IP-Suisse erfunden worden, sondern kommen aus der Politik oder entsprechen den sich ändernden gesellschaftlichen Bedürfnissen. Das war so bei der Agrarwende Anfang der 1990er-Jahre mit dem Direktzahlungssystem und seither immer wieder.

Wenn sich IP-Suisse abheben will gegenüber den «Basisprodukten», dann müssen wir das beweisen können, das muss messbar sein. Und wenn man glaubwürdig messen will, dann muss man auch kontrollieren. Das ist eine ständige Gratwanderung zwischen Vertrauen und Bürokratie.

Wenn es dafür einen finanziellen Anreiz gibt, ist das weniger problematisch, als wenn einfach administrative Massnahmen umgesetzt werden müssen. Diese Belastung wird auch von LandwirtInnen kritisiert. Wir versuchen diese Belastung durch bessere, anwendungsfreundliche elektronische Aufnahmeplattformen zu reduzieren.

IP-Suisse hat die Anforderungen für die Landwirte schon 2008 mit dem Biodiversitäts-Punktesystem vereinfacht. Hat sich dieses bewährt?

Ja, unser Biodiversitäts-Punktesystem funktioniert bestens. Wir hatten damals eine Vorreiterrolle, jetzt schauen viele andere Labels auch auf die Biodiversität. Die Biodiversität und das Tierwohl haben heute einen sehr hohen Stellenwert. Diesen hat die Landwirtschaft weltweit nach den 1950er-Jahren stark vernachlässigt. Es wurde auf Teufel komm raus produziert.

In den letzten Jahren hat die Landwirtschaft gemerkt, dass sie mehr mit der Natur arbeiten muss – und nicht gegen sie. Die integrierte Produktion ist ein gangbarer Weg, mit der Natur schonender umzugehen, damit sie weniger Schaden davonträgt von unseren Aktivitäten.

Wenn wir das gut machen, haben wir im dümmsten Fall minimal kleinere Erträge. Aber im Vergleich zu den positiven Auswirkungen ist das verkraftbar.

In den letzten Jahren werden immer mehr Richtlinien auch von IP-Suisse von der Entwicklung in der Landwirtschaft überholt. Ein Beispiel ist das Fütterungsverbot von Soja für Kühe. Heute gibt es europäisches Soja, also nicht aus Brasilien, sogar in Bio-Qualität. Wie kann IP-Suisse mit diesen Veränderungen Schritt halten?

Diese Frage beschäftigt uns natürlich. Für einen Verzicht auf Soja in der Wiesenmilch-Produktion sprechen ethische Gründe: Soja sollte grundsätzlich für die menschliche Ernährung angebaut werden und nicht unter miserablen sozialen Bedingungen der Produzenten sowie auf Kosten des Urwalds wie in Brasilien.

Kommt dazu, dass wir schweizerische Produkte von Schweizer LandwirtInnen produzieren wollen. Soja ist eine sehr reiche Proteinquelle, ein gutes Futter, aber Wiesenmilch sollte aus Raufutter kommen.

IP-Suisse rennt wie andere Labels der Entwicklung in Gesellschaft und Politik hinten nach. Sie können ja nicht im Voraus antizipieren, was die Gesellschaft zum Beispiel in fünf Jahren will. Solange braucht aber ein Landwirt mindestens, um seinen Betrieb umzustellen.

Das stimmt so nicht! Wir sehen die Megatrends und folgen diesen frühzeitig. Wir müssen aber immer beachten: was heisst das für unsere Agrarsysteme? Was heisst das für unsere Mitglieder? Wohin führt die Reise?

Als unsere LandwirtInnen 2018 erstmals pestizidfreien Weizen anbauten, waren die beiden Trinkwasser-Initiativen von 2021 noch weit weg. Wir können nicht zehn, zwanzig oder dreissig  Jahre voraus sehen, aber wir sind mindestens ganz vorne mit dabei bei den Entwicklungen. Und das macht IP-Suisse auf eine pragmatischer Weise. Soweit möglich ohne Verbote, sondern mit Anreizen.

IP-Suisse-Landwirte erhalten für ihre Produkte (im Vergleich zu konventionellen Produkten) im besten Fall 10 Prozent Mehrpreis. Für diese Marge müssen sich die Landwirte kontrollieren und zertifizieren lassen. Im dümmsten Fall haben sie mit der integrierten Produktion mehr Arbeit, aber nur ein paar Rappen Mehrertrag.

Wir sind überzeugt, dass die LandwirtInnen wirtschaftlich denken können – aber auch ethische Gründe haben, IP-Suisse-Nahrungsmittel zu produzieren. Und wir haben Systeme, die pragmatisch sind.

IP-Suisse-ProduzentInnen müssen nicht den ganzen Betrieb bei uns anmelden, sie können auch «nur» den einen oder anderen Produktionszweig anmelden. Wenn sie zum Beispiel nach dem Winter bei pestizidfreiem Getreide merken, dass es zu viele Unkräuter gibt, können sie diese Ernte zurückziehen.

Die LandwirtInnen haben bei IP-Suisse also immer einen Plan B. Dieser Pragmatismus ist typisch für IP-Suisse.

[IMG 2]

Mitgliedschaften von IP-Suisse bei der Agrarallianz und beim Verein «Sorten für morgen»

IP-Suisse ist Mitglied der Agrarallianz, die Organisationen aus den Bereichen Konsum, Umwelt, Tierwohl und Landwirtschaft vereinigt. IP-Suisse stellte sich aber gegen die beiden Trinkwasser-Initiativen 2021 und lehnte auch die Massentierhaltungs-Initiative 2022 ab. Macht ein Verbleib von IP-Suisse in der Agrar-Allianz noch Sinn?

Einerseits will die Agrarallianz die gesamte Schweizer Ernährungswirtschaft nachhaltiger gestalten. Eine hohe Produktequalität sowie die Ausrichtung auf Ökologie und Tierwohl sollen mit einer Qualitätsstrategie bewusst gepflegt werden. Das ist sinnvoll, hat aber auch eine politische Seite.

Andererseits will IP-Suisse bewusst nicht politisch sein. Wir konzentrieren uns auf den Markt. Im Fall der drei genannten Volksinitiativen waren wir der Meinung, dass diese zu extrem formuliert sind. Die Zyklen in der Landwirtschaft sind relativ lang, die Landwirte denken in Generationen  – und wenn auf sie zu viel Druck ausgeübt wird, ist das kontraproduktiv.

Eine andere Mitgliedschaft von IP-Suisse ist jene beim Verein «Sorten für morgen». Was erhoffen Sie sich von neuen gentechnischen Verfahren? Sind diese überhaupt mit dem Versprechen der naturnahen Landwirtschaft von IP-Suisse vereinbar?

Das ist eine ethische Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Gentech ist naturbedingt nicht so einfach zu erklären und zu verstehen, wie zum Beispiel die Anzahl Tiere in einem Stall. Wir können nicht sehen, was mit einem Genom passiert. Das führt bei vielen KonsumentInnen zu einer verständlichen Angst vor dem Neuen.

Mit der Mitgliedschaft beim Verein «Sorten für morgen» kann IP-Suisse die Entwicklung der Gentechnik in der Landwirtschaft an vorderster Stelle beobachten. Wir können damit später auch zeitnah reagieren, wenn zum Beispiel neue Gentech-Methoden die KonsumentInnen überzeugen.

Welche Schritte in die Zukunft macht IP-Suisse?

IP-Suisse suchte 2022 fast verzweifelt neue Produzenten. Wieso ist es so schwierig, neue IP-Suisse-Produzenten zu finden?

Sie würden staunen, wie viele LandwirtInnen sich bei IP-Suisse anmelden. Wir haben eben zusätzliche Flächen für den Anbau von Eiweisspflanzen ausgeschrieben und darauf viele Anmeldungen erhalten. Je nach Thema haben wir sogar mehr Angebote von Landwirten, als wir brauchen.

Nachdem IP-Suisse 2010 das Biodiversitäts-Punktesystem eingeführt wurde, planen sie jetzt die Einführung eines Pflanzenschutzmittel-Punktesystems für Gemüse. Wie kommunizieren Sie diese Veränderung gegenüber den KonsumentInnen?

Bei unserem Pflanzenschutzmittel-Punktesystem können die LandwirtInnen wie beim Biodiversitäts-Punktesystem jene Punkte erfüllen, die auf ihrem Betrieb Sinn machen. Das ist sehr pragmatisch und damit typisch IP-Suisse.

Das ist der Weg, auf dem IP-Suisse unterwegs ist: Wir schauen, dass wir die Ziele unseres Labels ohne Zwang und ohne Verbote umsetzen können. Und dass wir diesen Weg den Konsumenten in unseren Inseraten und TV-Spots erklären können. Das kann ein langfristiger Prozess sein.


[IMG 3]


Sie haben mir gerade die Steilvorlage geliefert für die nächste Frage: Der aktuelle TV-Werbespot «Behandeln Sie jedes Tier wie Ihren besten Freund» zeugt zwar von viel Kreativität – hat aber nichts mit der Realität zu tun. Ist ein solcher Werbespot im aktuellen gesellschaftlichen Klima eine gute Idee?

Wenn über den TV-Werbespot «Behandeln Sie jedes Tier wie Ihren besten Freund» nicht geredet wird, hat er keinen Erfolg. Da müssen wir auch akzeptieren, dass es Kritik gibt.

In diesem Werbespot wollen wir zeigen, dass unsere LandwirtInnen ihre Nutztiere genauso lieben, wie zum Beispiel ein Hunde- oder Katzenhalter sein Haustier. Natürlich hat ein Landwirt vielleicht 60 Kühe und nicht nur einen Hund – aber auch er hat zu seinen Nutztieren eine starke Bindung.

Das unterschätzen viele KonsumentInnen. Sie denken sofort an Massentierhaltung und Industrie, nur weil die Nutztiere in einem grossen Stall sind. Aber die LandwirtInnen, die ich kenne, mögen ihre Tiere und wollen das Beste für ihre Tiere.

Das wollen wir im aktuellen TV-Werbespot von IP-Suisse auf spielerische Weise zeigen. Dass wir dafür von der einen oder anderen Seite kritisiert werden, das halten wir aus. Bei den meisten KonsumentInnen kommt die Kuh, die den Stock apportiert, gut an.

Eine Frage zum Schluss: Wo sehen Sie IP-Suisse in zehn Jahren?

Ich bin sicher, dass der IP-Käfer in zehn Jahren das relevante Logo für nachhaltige und erschwingliche landwirtschaftliche Produkte aus der Schweiz sein wird. Durch die Flexibilität des Punktesystems kann sich IP-Suisse als pragmatische Organisation positionieren, die für eine bessere, ressourcenschonende und natürliche Schweizer Landwirtschaft steht.

Das Interview wurde in Absprache mit Christophe Eggenschwiler zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und gekürzt.

Christophe Eggenschwiler

Christophe Eggenschwiler (54) ist seit 1. Juli 2022 neuer Geschäftsführer von IP-Suisse, der Vereinigung integriert produzierender LandwirtInnen. Eggenschwiler ist Dipl. Ing.-Agr. ETH und hat unter anderem für das Bundesamt für Landwirtschaft BLW und den Schweizer Bauernverband SBV gearbeitet.

Ab 2009 war er Geschäftsführer der MIBA-Genossenschaft, welche die Interessen von 1200 MilchproduzentInnen aus sechs Kantonen der Nordwestschweiz vertritt.

Christophe Eggenschwiler ist französischsprachig und verfügt über sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Er ist auf dem elterlichen Betrieb in Rebeuvelier JU aufgewachsen, wo er noch heute mit seiner Frau und den drei Kindern lebt.