Kurz & bündig

- Chia wird als Superfood mit hohem Gehalt an Omega 3-Fettsäuren angepriesen.
- Der St. Galler Saatzuchtgenossenschaft ist es geglückt, eine Mutation zu finden, die auch in unserem Klima ausreift.
- Die neue Sorte ist unter dem Namen «Pablo» geschützt. Die Saatzuchtgenossenschaft hat die Rechte für die Marke «Swiss Chia».
- Der Anbau ist anspruchslos, die Ernte und die Weiterverarbeitung benötigen spezielles Know-how und spezielle Maschinen.
- Der Erfolg hängt von der Höhe der möglichen Preisdifferenz von «Swiss Chia» zur importieren Chia ab.

Für Christoph Gämperli, Agronom und Geschäftsführer der St. Galler Saatzuchtgenossenschaft in Flawil, gibt es kaum Schöneres, als neue Pflanzen zu entdecken und damit eine Marktnische zu erobern. Gelungen ist ihm das schon mit der blauen St. Galler Kartoffel, auch «Blaue St. Galler» genannt. Wird es auch mit Chia gelingen?

Chia ist eine Salbei-Art, die ursprünglich aus Zentralamerika, vor allem Mexiko stammt. Für die Azteken sollen die Samen der Pflanze ein wichtiges Grundnahrungsmittel gewesen sein.

Der Anbau dehnt sich heute nicht nur über Länder Südamerikas aus, sondern hat auch den Weg in die USA, nach Australien und Indien gefunden. In den USA und danach auch in Europa haben die Samen des Lippenblütlers einen regelrechten Ansturm bei ernährungsbewussten Teilen der Bevölkerung gefunden. Die kaum Stecknadelkopf-grossen Samen dienen vor allem als Nahrungsergänzungsmittel. Für Menschen, die auf natürliche und gesunde Ernährung setzen, sind die Samen quasi «das Salz in der Suppe».

Sie enthalten viele Omega-3 Fettsäuren, Mineralien sowie Vitamine und sollen auch die Verdauung und – da sie quellen – das Sättigungsgefühl fördern. Häufig wird Chia als Superfood angepriesen. «Der Markt hat nach Chia geschrien. Wir mussten es einmal anschauen», sagt Gämperli und lacht verschmitzt.

Einen Sechser im Lotto mit frühblühender Chia-Pflanze

Chia ist eine einjährige, nicht winterharte Pflanze. Sie liebt ein mildes, lieber sogar ein subtropisches bis tropisches Klima. Und sie ist eine Kurztagespflanze, das heisst, sie blüht erst dann, wenn die Tage kürzer werden, also im Herbst. Die Samen reifen in den Mittelmeerländern knapp aus, aber in unseren Breiten würde die Zeit dafür nicht mehr genügen.

«Die Pflanzen erfrieren, bevor sie überhaupt Samen bilden können,» erklärt Gämperli. Trotzdem wagte er im Jahr 2015 den Versuch, auf einer 20 Are grossen Parzelle Chia-Samen auszusäen.

Wie vermutet, kam die Kultur im Sommer nicht zur Blüte. Doch dem scharfen Auge des Züchters fiel eine einzige, versteckte, blühende Pflanze auf. «Es könnte etwas geben», hoffte der Züchter und säte die Samen dieser Pflanze im folgenden Jahr in seinem Garten aus.

Tatsächlich, Mitte Juli 2016 kamen alle Nachkommen zur Blüte. Offensichtlich gab es unter den 8 Mio Sämlingen eine spontane Mutante, die auch unter Langzeitbedingungen blühte. Die Pflanze reagiert nicht mehr auf die Tageslänge, erklärt Gämperli. «Es war wie der Sechser im Lotto.»

In den folgenden Jahren vermehrte die Saatzuchtgenossenschaft die Samen auf 10 Aren und machte erste Erfahrungen mit dem Anbau und der Ernte. Die Forschungsanstalt Agroscope unterstützte die Genossenschaft dabei.

Unter der Sortenbezeichnung «Pablo» geschützt

Parallel zum Anbauversuch meldete Gämperli die neue Sorte zur Sortenprüfung beim Büro für Sortenschutz (1) des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW an. Das Büro für Sortenschutz macht selbst keine Sortenprüfungen, aber beantragte eine solche bei der Prüfbehörde dem National Institute of Agricultural Botany NIAB mit Sitz in Cambridge, erklärt Manuela Brand vom Büro für Sortenschutz. Ziel war ein CH- und EU-weiten Sortenschutz. Im ersten Jahr fehlte der NIAB (2) eine Referenzsorte und die Prüfung verzögerte sich.

Es stellte sich die bange Frage, ob die Prüfresultate wegen des bevorstehenden Brexits überhaupt noch von der Europäischen Union anerkannt würden. «Zum Glück zögerte sich der Brexit in die Länge», sagt der Gesuchsteller erleichtert. Die Resultate lagen vor dem Brexit vor, die EU anerkannte die Resultate und erteilte den Sortenschutz (3). «Es ist eine neue und homogene Sorte», zitiert Gämperli aus der Anerkennungsurkunde.

Mit der positiven Sortenprüfung wurde die Sorte in den schweizerischen Sortenkatalog aufgenommen. Dort sind die zertifizierten Sorten aufgeführt. Wer in der Schweiz zertifiziertes Saatgut kaufe, erhalte auch die Einwilligung des Züchters für den Anbau und löse, ohne es zu merken, auch die Lizenz für den Anbau dieser Sorte aus, erklärt Gämperli. Auf diese Art werde einerseits die Züchtungsarbeit abgegolten und andererseits sichergestellt, dass die Sorte rein bleibt. So verlangt die Vereinigung der integriert produzierenden Bauern und Bäuerinnen IP-Suisse von ihren Mitgliedern, dass sie nur zertifiziertes Saatgut verwenden.

Der Geschäftsführer der Saatzuchtgenossenschaft liess die neue Sorte unter dem Namen «Pablo» beim Büro für Sortenschutz eintragen und die Marke «Swiss Chia» beim Bundesamt für geistiges Eigentum vor Nachahmungen schützen.

Chia ist eine erstaunlich anspruchslose Pflanze

In den letzten drei Jahren bauten sechs Landwirte der Saatzuchtgenossenschaft die «Swiss Chia» in grösserem Stil an, nämlich jährlich auf insgesamt zehn Hektaren. Gesät wird im April, geerntet Mitte September. Die zirka ein Meter hohe Pflanze blüht blau. Sie verschönere die Landschaft, hebt Gämperli hervor, und zwar von Mitte Juli bis Ende August. Ausserdem sind die Felder wunderbare Bienenweiden.

Für die Pflege der Kultur ist das geschlossene Blätterdach von Vorteil, da dieses das Unkraut unterdrückt. Die Landwirte stellten fest, dass die Pflanze wenig Nährstoffe zum Wachstum braucht. Sie wachse sogar ohne N-Dünger erstaunlich kräftig.

Tierische Schädlinge haben die Landwirte bis jetzt nicht festgestellt. Auch scheint die Pflanze sehr krankheitstolerant zu sein. «Doch vieles ist noch in der Versuchsphase», erklärt der Pflanzenzüchter. «Über alles gesehen dürften die Anbaubedingungen im Fürstenland (der Region zwischen Wil SG und Rorschach SG) gut sein.»

Anspruchsvolles Ernteverfahren: Dreschen ab Schwad

Als eine Herausforderung beim Anbau von Chia hat sich das Ernteverfahren herausgestellt. Dieses ist aufwändiger als bei Getreide und Raps. Denn die Pflanze trocknet meist nicht ausreichend im Stehen – und wartet man zu lange, fallen die Samen aus. «Für den Direktdrusch ist die Pflanze meist zu feucht. Deshalb legen wir sie vor dem Drusch auf eine Schwad», folgert Gämperli. Die Kunst ist es, die Pflanze gleichmässig und schonend abzulegen, damit die Samen nicht ausfallen und die Pflanze auf dem Feld nachtrocknen kann.

Die Landwirte haben verschiedene Mähwerke ausprobiert. Am besten eigne sich ein in Kanada hergestelltes Mähwerk, das sich dort für das Schwadlegen von Raps bewährt habe. Der Mähdrescher nimmt die Pflanzen in einem zweiten Arbeitsschritt von der Schwad auf und drescht die Samen aus.

«Je schonender wir dreschen, desto besser die Qualität», betont der Agronom. Die sorgfältige Behandlung der Samen sei das A und O. «Sie müssen keimfähig bleiben.»

Die Samen kommen in grosse Trocknungskisten und werden vor der Lagerung durch Lüfter auf sechs Prozent Feuchtigkeit getrocknet, um sie vor Pilzbefall zu schützen. Das gehäckselte Kraut bleibt auf dem Feld und wird in den Boden eingearbeitet.

Der Preis für Schweizer Chia ist die grosse Frage

Im Durchschnitt gab es einen Ertrag von etwa einer Tonne je Hektare. Ob der Anbau wirtschaftlich ist, darüber dürfte vor allem der Preis entscheiden. Dieser hänge davon ab, wie gross die Preisdifferenz zwischen importierter und einheimischer Chia sein dürfe.

«Ein Preis von fünf Franken pro Kilogramm müsste drin liegen», kalkuliert Gämperli. Der Deckungsbeitrag sollte denjenigen von Raps übertreffen, der bei etwa 3200 Franken pro Hektar liegt.

Nun hat die Saatzuchtgenossenschaft damit begonnen, Abnehmer für ihre Chia-Samen zu suchen. «Es wird sich nun zeigen, wie viel den Abnehmern beziehungsweise den Konsumenten kurze Transportwege und einheimische Produktion wert sind», bringt es Gämperli auf den Punkt.

Der Anbau von Chia in der Schweiz dürfte trotz der Vermarktungsanstrengungen der St. Galler Saatzuchtgenossenschaft eher eine Nische bleiben. Es können nicht alle auf den Zug aufspringen.

«Wir wollen es in den eigenen Reihen behalten», hält der Geschäftsführer fest. Die Genossenschafter wollen nicht, dass der Markt überschwemmt und der Produzentenpreis verwässert wird. Für Landwirte ausserhalb der Genossenschaft dürfte es nicht einfach sein, Chia anzubauen, weil es dafür zertifiziertes Saatgut, Know-how und spezielle Maschinen für die Ernte, Trocknung und das Reinigen der Samen braucht.

Die Saatzuchtgenossenschaft verfügt über eigene Ölpressen, um Chia zu Öl weiter zu verarbeiten. Das ist eine Ergänzung der «St. Galler Öle», für welche die Genossenschaft schon ein Absatznetz aufgebaut hat. Das «Swiss-Chia-Mehl», ein Nebenprodukt der Ölverarbeitung, bietet sich als glutenfreien Saucenbinder und speziellen Getreidemehl-Ersatz an.

Chia: Grundnahrungsmittel und Heilmittel?

Gemäss Wikipedia ist der Name Chia aus der Sprache der Azteken abgeleitet, wo es «ölig» bedeutet. Chia lässt man in Wasser aufquellen oder mischt ganze oder gemahlene Samen in ein Müesli. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit empfiehlt, nicht mehr als 15 Gramm je Tag davon aufzunehmen. Grössere Mengen können zu Blähungen führen.

Der hauptsächliche Grund für das wachsende Interesse an Chia-Samen dürfte der hohe Gehalt an Omega-3-Fettsäuren und an Antioxidantien sein. Chia liefert auch die Vitamine A, Niacin und Folsäure sowie Kalzium, Eisen und Zink. Indem die Samen aufquellen, tragen sie trotz ihrer geringen Grösse zum Sättigungsgefühl bei und sollen beim Abnehmen und Entschlacken helfen.

«Chia-Samen – die Supersamen der Maya» heisst ein Beitrag in GEO. Sie sollen Grundnahrungsmittel und Heilmittel in einem gewesen sein. Ob Chia wirklich das Superfood ist, als welches die Werbung es teilweise anpreist, muss wohl jeder an sich selbst ausprobieren.

Hoher Anteil an Omega-3-Fettsäuren

St. Galler-Öl wird kaltgepresst, das heisst, das Öl wird nie wärmer als 37 Grad. Dabei bleiben vor allem die essenziellen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren erhalten, zu denen die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren zählen. Ein Öl gilt als umso gesünder, je höher der Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren ist. Chia-Öl enthält nach Leinöl den höchsten Anteil an Omega-3-Fettsäuren.

www.st.galleroel.ch

«Anders als alle anderen»

... ist der Leitspruch der St. Galler Saatzuchtgenossenschaft. «Wir sind auf der Suche nach Nischen», beschreibt Christoph Gämperli die Strategie der Genossenschaft.

Die Landwirte, deren Felder sich vor allem im St. Galler Fürstenland (der Region zwischen Wil SG und Rorschach SG) befinden, müssen sich etwas Besonderes einfallen lassen, wenn sie Ackerbau betreiben wollen. Denn das feuchte Klima dieser Gegend ist nicht optimal für den Ackerbau. Das Landwirtschaftliche Zentrum St. Gallen LZSG stellt den Landwirten Versuchsflächen zur Verfügung und unterstützt sie bei der Erforschung des Know-how.

www.saatzucht.ch

Erläuterungen

(1) Wer für eine Sorte den Sortenschutz erhalten will, muss bei der entsprechenden Behörde ein Gesuch stellen. In der Schweiz ist das Büro für Sortenschutz, welches im Bundesamt für Landwirtschaft integriert ist, für die Erteilung des Sortenschutzes zuständig. Sind die Unterlagen und die Prüfungsberichte in Ordnung, so erteilt es den Sortenschutztitel, welcher für das Hoheitsgebiet der Schweiz Gültigkeit hat.

(2) Die NIAB ist die Prüfbehörde in England. Sie prüft neue Sorten gemäss den Richtlinien der Union for the Protection of New Varieties of Plants (UPOV). Die EU sowie die meisten EU-Mitgliedstaaten und die Schweiz sind Mitglied der UPOV.

(3) Unter Sortenschutz ist der gewerbliche Schutz von neuen Pflanzensorten zu verstehen. Mit der Gewährung eines Sortenschutztitels wird dem Züchter das Recht eingeräumt, seine Leistung, nämlich die Züchtung einer neuen Sorte, vor unerwünschter gewerbsmässiger Nutzung zu schützen. Dieses Recht ist zeitlich limitiert. Der schweizerische Sortenkatalog umfasst die in der Schweiz zugelassenen zertifizierten Pflanzensorten. Diese werden ebenfalls im gemeinsamen Sortenkatalog der EU eingetragen.