«Kann Underground Farming das Nahrungsmittel-Problem der Welt lösen?» fragt die TV-Informationssendung «10vor10». «Ist Permakultur die Zukunft der Landwirtschaft?» fragt die Sendung «Input» von Radio SRF. Und über «Urban Farming im grossen Stil» berichtet nochmals «10vor10», diesmal ohne Fragezeichen.

Dasselbe auch in vielen Print-Medien, die sich auf Berichte über Underground Farming, Urban Farming und Permakultur stürzen. Drei Heilsbringer für «unsere kaputte Landwirtschaft» und «das Nahrungsmittel-Problem der Welt». Da können wir beruhigt aufatmen. Oder doch zuerst das Hirn einschalten?

Störend an dieser Berichterstattung ist nämlich, dass sie einfache Lösungen suggeriert für ein komplexes Problem: das Nahrungsmittel-Problem der Welt. Es ist schön und 
gut – und bis zu einem gewissen Grad auch wichtig – neue Ressourcen für die Lebensmittel-Produktion zu suchen 
und zu testen.

Stillgelegte Tunnel, Bunker oder Keller bieten sich da an: 
Es ist auf jeden Fall besser, diese zu nutzen, als sie leer 
stehen zu lassen. Die in der Schweiz in Frage kommenden 
5 Hektaren Gesamtfläche sind aber überschaubar. Wie 
man damit auf die irrwitzige Idee kommt, das «Nahrungsmittelproblem der Welt» zu lösen, bleibt schleierhaft.

Dass die Publikums-Medien alternative Methoden der Nahrungsmittel-Produktion aufgreifen, hat gute Gründe:
Die Landwirtschaft bewegt so viele Menschen wie seit langem nicht mehr. Dumm nur, dass die Leser, Zuschauer und 
Zuhörer mit abenteuerlichen Geschichten gefüttert werden, statt mit komplexen Fakten.

Zugegeben: Die Berichterstattung über diese alternativen Systeme hat nicht nur Schlechtes. Im besten Fall bringt 
sie motivierte Menschen dazu, Gemüse auf dem Balkon zu ziehen und bewusster Nahrungsmittel zu konsumieren.

Es ist aber sinnlos, diese Systeme mit dem Rest der Landwirtschaft zu vergleichen. Denn die Produktion von Microgreens & Co. bewegt sich in einer Nische der Nische. Oder haben Sie sich schon mal eine Woche von Microgreens ernährt?

Ernährungssicherheit ist eine gesellschaftlich zu lösende Herausforderung, nichts für Einzelfälle. Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen den Schlagwörtern in den Publikums-Medien und der herkömmlichen Landwirtschaft.

Die Schweiz hat 274'000 Hektaren offene Ackerfläche, mit Kunst- und Naturwiesen 1 Mio Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Die auf dieser Fläche produzierten Nahrungsmittel reichen aus, um einen Selbstversorgungsgrad von 56 Prozent sicherzustellen. Die 5 Hektaren für Underground Farming sind dabei eine Quantité négligeable. Und nur für Underground Farming unterirdische Bauten anzulegen, ist hirnrissig.

Es ist schön und gut, dass Investoren oder Stiftungen den Start-Ups für Underground Farming grosszügige Starthilfe leisten. Ihre Bewährungsprobe am Markt steht aber noch aus – oder ist teilweise als Folge eines Konkurses schon gescheitert.

Auch etablierte Permakultur-Projekte müssen nicht am Markt bestehen: Sie haben meist eine finanzkräftige Stiftung im Hintergrund oder finanzieren sich aus Workshops und Anti-
Stress-Seminaren, bei denen Menschen indirekt dafür zahlen, dass sie Salat anpflanzen dürfen. Dagegen ist nichts einzuwenden, es taugt bloss nicht als Universal-Lösung.

Beim Underground Farming regeln ausgeklügelte Systeme die Lüftung, Beleuchtung und Luftfeuchtigkeit so, dass etwas gedeiht. Im Freiland-Anbau haben wir auch so ein System, es heisst Natur. Es ist Schwankungen unterworfen, ermöglicht aber bei den traditionellen Ackerkulturen (welche uns im Gegensatz zu den Microgreens-Keimlingen ernähren können) relativ stabile Erträge bei überschaubarem Aufwand.

Noch einmal: Die Schweizer Landwirtschaft soll und muss ungenutztes Potenzial ausschöpfen. Aber es gäbe andere Möglichkeiten als den Anbau von Keimlingen von Salaten, Gemüsen und Kräutern – die man bestenfalls als Gewürz auf der Suppe oder als Hingucker am Tellerrand verwenden kann. Solche Bunker könnten als Lagerraum oder für die Verarbeitung genutzt werden. Das müsste im Detail geprüft werden, könnte aber ohne aufwändige Installationen möglich sein.

Es ist wichtig, dass die Landwirtschaft sich verbessert – wie alle anderen Branchen auch. Einfache Patentrezepte wird es dafür kaum geben, auch wenn das einige gerne so hätten.
Es wird eine grosse Herausforderung sein, das, was im Kleinen funktioniert, in angepasster Form auf die 274'000 Hektaren Ackerfläche zu bringen.

 

 

 

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