kurz & bündig
- In der Apfel-Züchtung kommen moderne Methoden zum Einsatz.
- Trotzdem dauert es lange, bis eine neue Apfelsorte gezüchtet ist.
- In der Praxis sind Resistenzen gefragt, am Markt Exklusivitäten.
- Manche Resistenzen werden durchbrochen.
Herr Kellerhals, es gibt weltweit tausende Apfelsorten. Braucht es überhaupt noch neue Züchtungen?
Markus Kellerhals: Die Vorlieben der Konsumenten ändern sich. Früher war ‹Golden Delicious› extrem beliebt. Heute ist er teilweise verpönt. Der Pflanzenschutz steht immer mehr in der Kritik. Deshalb sind resistente oder zumindest robuste Sorten gefragt. Und mit dem Klimawandel kommen neue Herausforderungen auf uns zu.
Zum Beispiel?
Die Blattflecken-Krankheit Marsonnina wird im Bio- und Hausgarten-Anbau zunehmend zum Problem. ‹Topaz› ist zum Beispiel sehr anfällig. Der Baum trägt bei starkem Befall zwar noch Früchte, hat Ende Sommer aber keine Blätter mehr.
‹Topaz› galt früher als schorfresistent. Heute ist er es nicht mehr. Warum?
‹Topaz› ist wie fast alle schorfresistenten Sorten Träger der Vf-Resistenz. Resistenzen können durchbrochen werden.
Bei ‹Topaz› und einzelnen anderen Sorten ist das an gewissen Standorten der Fall. Für uns Züchter sind Beobachtungen in einigen süddeutschen Obstanlagen wertvoll. In diesen sogenannten Schreckens-Gärten werden absichtlich keine Fungizid-Behandlungen durchgeführt. Dort wurden Resistenz-Durchbrüche festgestellt.
Interessant ist, dass verschiedene Sorten mit Vf-Resistenz unterschiedlich reagieren, von resistent bis ziemlich anfällig.
Kann man züchterisch etwas tun?
Wir haben Züchtungen mit Resistenz-Pyramiden entwickelt, so dass eine Pflanze mehrere Resistenzen gegen die gleiche Krankheit enthält.
In vielfältigen Sortengärten scheint der Schorfdruck geringer zu sein.
Der Schorf spezialisiert sich. Er nimmt gewisse, vor allem grossflächig angebaute Sorten ins Visier. Wenn man mehrere Sorten in Mischpflanzung anbaut, kann man den Druck tatsächlich senken.
Wildarten haben viele Resistenzen. Nutzt man diese zu wenig?
Sie werden international schon seit Jahrzehnten genutzt. Die Vf-Schorf-Resistenz stammt vom Wildapfel Malus floribunda 82, die Ausgangskreuzung erfolgte in den USA. Doch Wildäpfel können immer auch unerwünschte Eigenschaften mit einbringen, etwa Kleinfruchtigkeit und Bitterkeit.
Darum muss man mehrere Generationen mit qualitativ hochwertigen Sorten rückkreuzen. Das dauert sehr lange. Beim Apfel dauert eine Generation vier bis fünf Jahre. Bei Agroscope wenden wir eine «Fast-Track»-Methode an. Aber schneller als zweieinhalb Jahre geht es auch damit nicht.
Eine Art Turbo-Züchtung?
Die Apfelsämlinge werden im Gewächshaus unter guten Wuchsbedingungen angezogen. So bilden sie möglichst früh die ersten Blüten. In einem Kühlraum werden sie künstlich zur Winterruhe gebracht. Damit haben wirvor allem Feuerbrand-Resistenzen aus Wildäpfeln eingekreuzt. Nun warten wir auf Produkte mit Resistenz und Handelsqualität.
Um den Feuerbrand ist es ruhiger geworden.
Die Ruhe ist trügerisch. Es kann jederzeit wieder zu einem grösseren Flächenbrand kommen. Aber das ist oft so: Wenn das Problem gross ist, werfen uns die Produzenten vor, wir hätten die Entwicklung resistenter Sorten verschlafen. Wenn wir züchterisch dann eine Antwort haben, ist das Thema oft nicht mehr so akut.
Mit Antwort meinen Sie ‹Ladina›?
Eine einzige Sorte löst das Problem natürlich nicht. Ziel muss es sein, umfassend robuste Sorten in einen Anbau mit möglichst wenig Pflanzschutzmittel-Einsatz zu bringen.
‹Ladina› ist feuerbrandrobust und trägt die Vf-Schorfresistenz. Allerdingsbekommt sie im Frühling Hautfleckenflecken. Wir empfehlen deshalb, diese Sorte nur bis Ende Januar zu lagern.
Auf dem geschützten Versuchsstandort arbeitet Agroscope auch mit gentechnisch veränderten Sorten. Sehen Sie darin eine Lösung?
Gentechnik mit den heutigen verfeinerten Möglichkeiten kann züchterisch interessant sein. Aber wenn der Markt für die Produkte nachher nicht da ist, wird sie zur Sackgasse.
Und Molekular-Genetik?
Molekulare Diagnostik und molekulare Züchtung haben grosses Potenzial und unterstützen uns bereits heute bei der Auslese aussichtsreicher Nachkommen. Sie ersetzen aber den Züchterblick nicht.
Ich habe Kreuzungsprodukte erlebt, die von der molekularen Analyse her top sein sollten. In der Praxis waren sie Krüppel, welche wir nicht vermehren konnten. Es gibt zudem komplexe Eigenschaften wie die Fruchtqualität, die man damit erst ansatzweise erfassen kann.
A propos Schorf: Da wurde schon viel auf Resistenz gezüchtet, trotzdem werden nur auf fünf Prozent der Fläche schorfresistente Sorten angebaut.
Das ist richtig. Im Handel ist die optische Qualität sehr wichtig. Dort dominieren heute Sorten und Marken wie ‹Gala›, ‹Pink Lady›, ‹Jazz› oder ‹Diwa›.
Früher waren die Besitzer von Baumschulen die Trendsetter. Heute bestimmt vor allem der Handel, was angebaut wird. Und der ist interessiert an exklusiven Marken. Der Druck zur Verminderung des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes gerade im Apfelanbau ist aber so gross geworden, dass sich ein Trend zu verstärktem Anbau robuster Sorten abzeichnet.
Kennen die Konsumenten heute überhaupt noch Sortennamen?
Die ältere Generation schon. Bei den jungen Leuten ist nur wenig Wissen vorhanden. Sie sind aber sehr offen und interessiert. Der Apfel ist praktisch als Zwischenmahlzeit. Deshalb räume ich ihm Zukunftschancen ein.
Doch der Apfelkonsum sinkt.
Das ist leider so. Jede neue Sorte verdrängt bestehende Sorten aus dem Regal. Neue Trend-Produkte buhlen oft um die Gunst der Konsumenten, unterstützt mit entsprechender Promotion.
Warum mischen Sie als Mitarbeiter einer staatlichen Forschungsanstalt bei diesem Verdrängungsprozess mit?
Die Apfel-Züchtung ist wirtschaftlich nicht so lukrativ, darum gibt es wenige private Züchter. Es ist eine staatliche Aufgabe, dort zu züchten, wo etwas kommerziell vernachlässigt wird.
Die Schweiz ist bei der Züchtung stark abhängig vom Ausland. Seit Nationalrätin Maya Graf (Grüne BL) das im Parlament thematisiert hat, ist das Bewusstsein für diese Problematik gestiegen. Inzwischen haben wir eine «Strategie Pflanzenzüchtung 2050» vom BLW und richten uns danach aus. Abgesehen davon ist Agroscope nicht nur züchterisch tätig, sondern betreibt auch Züchtungs-Forschung.
Wie viele Leute arbeiten in der Apfel-Züchtung bei Agroscope?
In meinem Team ist meine Stelle die einzige, die von Agroscope finanziert wird. Alle anderen Mitarbeitenden sind drittfinanziert über Projekte oder werden durch die Vermarktungspartnerin VariCom unterstützt.
Dann haben Sie quasi im Alleingang ‹Diwa›, ‹Ladina›, ‹Rustica› und ‹Galiwa› gezüchtet?
(Kellerhals winkt ab) Züchtungs-Produkte sind immer ein Ergebnis, zu dem ganz verschiedene Personen und Partner beitragen.
Alle Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und wenn notwendig gekürzt.