Kurz & bündig
Virtuelle Zaunsysteme sind in der Schweiz noch nicht erlaubt.
Laut einer Agroscope-Studie sind keine Tierwohlbedenken feststellbar.
Bedenken gibt es auf der Anwenderseite, es braucht Schulung.

Da wird nicht schlecht gestaunt, wenn beim sonntäglichen Spaziergang plötzlich eine Kuhherde vor einem steht, jedoch ohne sichtbaren Zaun. In anderen Ländern ist dies schon Realität. In der Schweiz sind virtuelle Zaunsysteme noch nicht zugelassen.

Erste Studien von Agroscope zu virtuellen Zaunsystemen haben in den Sommern 2021 bis 2023 in verschiedene Kantonen stattgefunden. Die Resultate sind vielversprechend und räumen Tierwohlbedenken zum Teil aus dem Weg. Viele Fragen bleiben trotzdem.

AboVirtuelle ZaunsystemeZaun-Kostenschätzung – Traditionell versus VirtuellDienstag, 3. September 2024 Bei Sabine Bourgeois Bach, Landwirtin aus Carrouge VD, welche am Versuch von Agroscope teilgenommen hat, wurde das Nofence-System drei Monate lang getestet. Das Jungvieh wurde im Tal trainiert und dann auf ihre Alp in Rougemont VD geschickt. Bourgeois Bach ist von der Funktionsweise des Systems überzeugt, stellt jedoch die Frage nach den Kosten: «Wir haben hundertsechzig Kühe, die dann alle ein Halsband benötigen. Die Investitionskosten sind somit sehr hoch.» Pro Tier ist im ersten Jahr mit Kosten von rund 470 Franken zu rechnen (Details siehe Artikel: Zaun-Kostenschätzung – Traditionell vs. Virtuell).

So funktioniert ein virtuelles Zaunsystem

Das von Agroscope getestete System des norwegischen Herstellers Nofence basiert auf einer Smartphone-App, die über das Mobilfunknetz mit den GPS-Halsbändern der Weidetiere kommuniziert. In der App wird eine digitale Grenze für die Weide festgelegt. Kommt ein Tier dieser Grenze nahe, gibt das GPS-Halsband ein immer höher werdendes Tonsignal aus. Bei einer Grenzüberschreitung wird ein elektrischer Impuls abgegeben, der etwa zwanzigmal schwächer ist als jener eines Elektrozauns.

Das 1,4 Kilogramm schwere Halsband besitzt einen herausnehmbaren Akku und zwei kleine Solarpanels auf jeder Seite. Die Akkulaufzeit variiert stark, soll aber zwischen sechs und zwölf Monaten dauern. Die Unterschiede resultieren vor allem aus der Kommunikation des Halsbandes mit der App. Wenn die Kuh näher an der Grenze steht, werden die Positionsdaten öfter überprüft, als wenn die Kuh im Zentrum der Weide steht.

Da das System mit GPS oder anderen Navigations-Satelliten-Systemen arbeitet, ist nicht zwingend ein Mobilfunknetz nötig, um den virtuellen Zaun zu gewährleisten. Ohne Netz können die Daten zwar nicht an die App übermittelt werden, die Zaunfunktion wird dadurch aber nicht beeinträchtigt.

Beeinträchtigungen können jedoch durch das sogenannte «Drifting» entstehen. Wenn das GPS-Signal durch ein grosses Hindernis, wie etwa einen Stall, blockiert wird, kann es «springen» und eine falsche Position melden. Dabei würden die Tiere ein Tonsignal erhalten, das sie nicht zu interpretieren wüssten, und später bekämen sie auch einen Stromimpuls.

Gegen das «Drifting» gibt es ein Modul, welches das GPS-Signal unterbricht und das im Stall montiert werden kann. So können die Tiere in Ruhe liegen.

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Bedenken sind nicht nur technischer Natur

Aus Gründen des Tierwohls sind Zaunsysteme, die über ein Empfängergerät am Körper eines Tieres elektrisierend wirken, gemäss Artikel 16 der Tierschutzverordnung seit 2014 untersagt. Auf Anfrage bestätigte das BLV, dass momentan keine Aufhebung des Verbots geplant sei. Im Gespräch mit Manuel Schneider und Caren Pauler von Agroscope, welche bei den Versuchsreihen für die Berggebiete zuständig waren, zeigte sich, dass die Bedenken nicht nur technischer Natur sind.

In keinem der untersuchten Faktoren gab es einen Hinweis darauf, dass das Wohlbefinden der Kühe durch das virtuelle Zaunsystem negativ beeinflusst wird. Jedoch gaben die Forschenden zu bedenken, dass auf Anwenderseite Probleme entstehen könnten.

«Wer das virtuelle Zaunsystem nutzen will, muss sich bewusst sein, dass es kein absoluter Selbstläufer ist. Der Bauer kann nicht einfach die App installieren, das Halsband den Tieren umhängen und gut ist. Anwender und Tiere müssen die Handhabung trainieren und üben», betonte Caren Pauler.

Da jedes Tier ein Halsband trägt, darf nicht vergessen werden, dieses auszuschalten, wenn ein Tier aus irgendwelchen Gründen von der Weide geholt werden muss. Ein anderes Beispiel für einen Anwendungsfehler wäre, die Kühe aus Versehen über die virtuelle Grenze zu treiben. Zwar wird das System nach drei Schlägen deaktiviert, trotzdem ist es für die Tiere sehr verwirrend. Es bräuchte also eine Schulung, damit solche Anwendungsfehler ausgeschlossen werden können.

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Auch Kühe müssen für das virtuelle Zaunsystem trainieren

Damit sich die Kühe an das noch ungewohnte System anpassen können, gibt es eine empfohlene Prozedur der Uni Göttingen. Als Erstes werden die Kühe mit dem Halsband ausgestattet. Dabei existiert jedoch noch der Zaun mit den stromführenden Litzen. Nach jeweils zwei Tagen können erst die Litzen, dann die Pfosten entfernt und zum Schluss die Zaunlinie verschoben werden.

«Die Kühe merken sich dadurch nicht die Position, an der sie einen Schlag kriegen, sondern lernen, auf das Tonsignal des Halsbandes zu reagieren», erklärt Caren Pauler. So können bei erfolgreichem Training die Grenzen des virtuellen Zauns verschoben werden, ohne dass die Tiere überfordert werden.

Anwendung vor allem auf Alpen oder Halbtagsweiden im Talgebiet

Manuel Schneider sieht in der Schweiz vor allem zwei Anwendungsbereiche für virtuelle Zaunsysteme. Grosse Vorteile bietet das System auf Alpweiden, wo oft lange Strecken auf steilem, unwegsamem Gelände gezäunt werden müssen: «Da könnte viel Arbeitszeit eingespart werden.»

Im Talgebiet ist eine Effizienzsteigerung vor allem bei Umtriebs-, Halbtags- oder Portionenweiden ersichtlich. Das System macht ein händisches Verschieben der Zaungrenzen am Tag überflüssig. «Solche Systeme können den Festzaun nicht ganz ersetzen, jedoch die Weideführung deutlich effizienter gestalten», fasst Manuel Schneider zusammen.

Gleicher Meinung ist auch Landwirtin Sabine Bourgeois Bach: «Wir wechseln mit den Tieren im Tal häufig die Weide. Dies passierte während der Testphase virtuell. Wenn wir die Parzellen mit Gülle düngen wollten, mussten wir nicht zuerst den Zwischenzaun entfernen, sondern konnten einfach loslegen.»

Wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Tier ändert

Schauen die Bauern in Zukunft durch ein solches virtuelles Zaunsystem nur noch auf ihr Smartphone und geht dabei nicht die Beziehung zwischen Mensch und Tier verloren? «Nein, das muss nicht unbedingt sein», antwortet Caren Pauler auf diese Frage. Sogar das Gegenteil könnte der Fall sein.

Durch die Lokalisierung in der App können LandwirtInnen jetzt genau verfolgen, wo ihre Tiere sind und was sie dort wohl treiben. «Es gibt sicherlich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von der realen Welt auf die App», räumt Caren Pauler ein. Jedoch ersetze das System in keinem Fall die Tierkontrolle.

«Momentan lassen sich durch das GPS-Halsband keine Rückschlüsse auf die Tiergesundheit oder das Brunstverhalten ziehen», fügt Manuel Schneider an. Es wird lediglich eine Warnmeldung gesendet, wenn sich das Tier über längere Zeit nicht bewegt hat.

LandwirtInnen können also durch die Zeitersparnis bei der Zaunkontrolle mehr Zeit für die Tierkontrolle aufwenden und würden somit wohl etwas näher an den Tieren sein als bisher. Ungewiss bleibt die Frage, wie Passantinnen und Wanderer auf uneingezäunte Kühe reagieren. Entlang von Wanderwegen und Strassen wird der virtuelle Zaun den Litzenzaun vorerst nicht ersetzen können.

Das «Zuune» wird wohl noch etwas länger Tradition bleiben

Derzeit läuft noch die Auswertung der Versuche, welche Agroscope 2023 vor allem in Berggebieten durchgeführt hat. Die Forschenden wollen im Herbst 2024, nach Abschluss der Auswertungen, ihre Resultate der Öffentlichkeit und dem BLV präsentieren. Danach liegt es an der Politik, weitere Schritte einzuleiten.

Momentan sind keine weiteren Projekte bei Agroscope dazu geplant. «Unsere Aufgabe ist es, das System neutral zu testen und die Resultate und Erkenntnisse der Politik als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen», erklärte Caren Pauler.

Zudem ist nicht sicher, ob sich die Hersteller überhaupt für den Schweizer Markt interessieren, und welche Folgen es haben könnte, wenn ein ganzer Betrieb die Weideführung in die «Obhut» eines einzigen Unternehmens gibt.

Für einige LandwirtInnen, vor allem mit Portionsweiden und weitläufigen Alpen, könnte sich das virtuelle Zaunsystem sicherlich lohnen. Für die meisten bleibt jedoch ein traditioneller Zaun sinnvoller. In die Hände zu spucken vor einem präzise ausgeführten Hieb mit dem Schlegel, das bleibt den LandwirtInnen also noch einige Zeit erhalten.