Die Alpwirtschaft hat in der Schweizer Landwirtschaft eine lange Tradition. Die erste Nutzung der Alpen (womit nachfolgend immer die Sömmerungsbetriebe auf den Almen oder Bergweiden gemeint sind und nicht das mitteleuropäische Gebirge) erfolgten schon 5000 Jahre vor Christus, damals noch vorwiegend mit Schafen.
Aber erst ab dem 10. Jahrhundert erlebten die alpinen Landschaften eine starke Entwicklung: Bergwälder wurden gerodet, die landwirtschaftliche Nutzfläche in Berggebiete auf 1000 bis 2500 m ü. M. ausgeweitet und intensiviert sowie Siedlungen immer höher hinauf gebaut. Römer, Germanen und ab dem 13. Jahrhundert die Walser prägten die alpine Landschaft und ihre Biodiversität so, wie wir sie heute kennen.
Die Zahl der bewirtschafteten Schweizer Alpen ist in 100 Jahren von 10'000 auf 6740 Alpen gesunken
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts blühte die Schweizer Alpwirtschaft regelrecht auf und erreichte ihre grösste Ausdehnung. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in der Schweiz noch über 10'000 Alpen gezählt. Seither ist die Zahl der beitragsberechtigten Sömmerungsbetriebe aber ständig gesunken. Heute werden in der Schweiz nur noch 6740 Alpen bewirtschaftet.
Mit 513'860 Hektaren deckt das Sömmerungsgebiet aber immer noch 35 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der Schweiz und 10 Prozent der gesamten Landesfläche ab. Die Sömmerungsbetriebe sind grösser geworden, weil bestehende Alpbetriebe fusionierten oder durch den Nachbarbetrieb übernommen wurden.
Die Anzahl von Nutztieren im Verhältnis zur Fläche einer Alp wird als Bestossung oder Viehbesatz bezeichnet und in Stössen angegeben. Ein Stoss entspricht der Sömmerung einer Raufutter verzehrenden Grossvieheinheit GVE während 100 Tagen. Er entspricht somit der Menge Gras, um eine GVE während der Alpzeit von rund 100 Tagen zu füttern. Und jetzt gibt es etwas Bauern-Mathematik:
1 Milchkuh oder Mutterkuh | 1 GVE |
1 Rind (6 bis 30 Monate) | 0,4-0,6 GVE |
1 Kalb (bis 6 Monate) | 0,33 GVE |
1 Mast-Schwein | 0,17 GVE |
1 Milch-Schaf | 0,25 GVE |
1 Milch-Ziege | 0,2 GVE |
1 Pferd | 1 GVE |
1 Esel, Maulpferd oder Maultier | 0,25-0,4 GVE |
1 Lege-Henne | 0,01 GVE |
Die höchstzulässige Bestossung einer Alp wird seit Jahrhunderten in der jeweiligen Alpordnung geregelt, um eine gerechte Nutzung zu gewährleisten und eine Übernutzung zu vermeiden.
Interessant ist, dass die Zahl der Sömmerungsbetriebe auf die Hälfte gesunken ist, der gesamte Normalbesatz (also die Zahl der Nutztiere auf den Alpen) seit dem Jahr 2000 aber ziemlich stabil geblieben ist (Quelle: Agrarbericht 2020):
- 103'319 Milchkühe
- 47'638 Mutterkühe
- 285'000 Rinder und Kälber
- 90'452 Schafe
- 30'920 Ziegen
- Schweine
- 3751 Pferde
Von 2000 bis 2019 hat zwar die Zahl der Milchkühe und Rinder um je 15 Prozent abgenommen, gleichzeitig verdreifachte sich aber die Zahl der Mutterkühe. Dieser Verschiebung ist eine Folge der Entwicklungen auf den Talbetrieben und Bergbetrieben.
Im Vergleich mit 2000 wurden 2019 rund 25 Prozent weniger Schafe und Pferde, dafür aber 20 Prozent mehr Ziegen gesömmert. Die Gründe sind schnell erklärt: Die Schaf-Sömmerung ist aufgrund des Herdenschutzes aufwändiger geworden (Stichwort: Wolf), umgekehrt wird Ziegenkäse bei den Konsumenten immer populärer.
Die Schweizer Alpwirtschaft als ökonomischer Faktor
In den Bergregionen sind die Sömmerungsbetriebe mit 280 Millionen Franken und 17'000 Beschäftigten in rund drei Monaten Umsatz ein wichtiger ökonomischer Faktor: Die lokalen Landwirtschaftsbetriebe erzielen damit 30 Prozent ihres Einkommens.
Andere Sektoren in den Bergregionen, die von den Alpbetrieben profitieren, sind von der Bauwirtschaft über den Detailhandel bis zum Tierarzt und sogar Helikopterunternehmen, die Material und in trockenen Sommern auch Wasser auf die Alpen fliegen oder – im schlimmsten Fall – verunfallte Tiere ins Tal.
Rund 30 Prozent des Alppersonals stammt aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland, Österreich und Italien. Der Lohn von 3000 bis 4000 Franken netto pro Monat für Sennen und Hirten ist für die meisten Schweizer zu tief, die Arbeit auf der Alp zu hart.
Der Talbetrieb wiederum zahlt der Alp für eine Sömmerung 700 bis 800 Franken pro Milchkuh und 200 Franken pro Rind als Entschädigung für die Transportkosten, für die Betreuung vom Vieh und die Verarbeitung von der Milch. Und nicht zuletzt auch für den Tierarzt, wenn es einen braucht.
Umgekehrt erhält der Talbetrieb für die Milch von seinen Kühen nach der Sömmerung eine bestimmte Menge Alpkäse.
Ohne Direktzahlungen vom Bund wäre die Sömmerung von Milchkühen und Rindern aber ein Verlustgeschäft: 370 Franken erhält der Talbetrieb pro Tier. Dieser sogenannte Alpungsbeitrag wird aber nur ausbezahlt, wenn das Tier mindestens 100 Tage auf die Alp war – was im verregneten Sommer 2021 fast unmöglich war.
Die Alpwirtschaft als ökologischer Faktor
Die Sömmerung ist auch ein wichtiger ökologischer Faktor: Weil die kargen Böden der Hochgebirge nur eine Landnutzung mit einem relativ kleinen Viehbesatz von 50 bis 80 Grossvieheinheiten GVE auf 100 Hektaren zulassen, wird auf den Alpen seit jeher eine extensive Tierhaltung gepflegt.
Ohne Alpwirtschaft würden die Weideflächen im Berggebiet verbuschen und verwalden. Nach 50 Jahren würde aus der Alpwiese ein Wald. In Graubünden, im Tessin und teilweise auch im Wallis ist das schon der Fall, dass Alpen aufgegeben werden und verganden.
Damit geht eine Kulturlandschaft verloren – für die Landwirtschaft genauso wie für den Tourismus und für die Tierwelt: Die Bergwiesen sind für Steinböcke, Gemsen, Murmeltiere und viele andere Tierarten ein wichtiger Lebensraum.
Ökologisch sinnvoll ist die Sömmerung von Kühen, Schafen und Ziegen auch, weil auf den Bergweiden nur Gras und Kräuter wachsen. Nur diese Raufutterverzehrer können das Gras und die Kräuter in ihrem Wiederkäuer-Magen so «verarbeiten», dass sie uns Menschen in Form von Milch und Fleisch ernähren können.
Und weil die Wiederkäuer mit ihrem Mist und ihrer Gülle die Alpwiesen düngen, wird auch die Düngerbilanz der Talbetriebe entlastet.
Die wichtigsten Alpprodukte und Alpdienstleistungen
40 Prozent | Käse | Alpkäse, Raclette, Mutschli, Bratkäse, Formaggini, Formagella, Ziegenkäse |
10,3 Prozent | andere Milchprodukte | Butter, Rahm, Joghurt, Quark |
8,8 Prozent | Fleisch | Rind, Ziege, Schaf, Schwein |
1,5 Prozent | Bewirtung | Alp-Beizli |
3,1 Prozent | Dienstleistungen |
Quelle: Böni et al., 2011
Teilen und Verteilen in Alpgenossenschaften nach alter Tradition
Weil die Alpwirtschaft oft gemeinschaftlich organisiert ist (siehe «Rechtsformen und Bewirtschaftungsformen»), müssen die Alperzeugnisse (Käse etc.) und je nachdem auch die Tiere (z.B. Schafe) nach der Alpzeit gerecht verteilt werden. Dafür wurden im Verlauf der Jahrhunderte Traditionen geschaffen, die bis heute praktiziert werden.
Zu den bekanntesten Traditionen dieser Art zählen der «Chästeilet Justistal» in Sigriswil BE und der «Schafscheid Riffenmatt» in Guggisberg BE. Der «Schafscheid» ist die Aufteilung der von der Sömmerung in den Alpen kommenden Schafe an ihre jeweiligen Besitzer.
Beim «Chästeilet» wird der auf der Alp produzierte Käse unter den Viehbesitzern, beziehungsweise den Alpgenossenschaftern aufgeteilt. Massgebend für den jeweiligen Anteil sind einerseits die Milchleistung der einzelnen Kühe und andererseits die unterschiedlichen Alter und Qualitäten der Käse-Laiber.
Rechtsformen und Bewirtschaftungsformen der Schweizer Alp-Betriebe
Die Rechtsformen und Bewirtschaftungsformen der Schweizer Alpen haben sich über Jahrhunderte entwickelt:
- Genossenschafts-Alpen.
- Alp-Kooperationen
- klassische Familienalpen
Und dann gibt es alle möglichen Zwischenformen: Gemeinsames Herden hüten, aber einzeln melken. Alphütte in Privatbesitz, Weide in Genossenschaftsbesitz etc.