Kurz & bündig

­– Familie Sutter in Bretzwil BL betreibt saisonale Milchproduktion im Vollweidesystem.
– Mit saisonaler Abkalbung kann der natürliche Zyklus der Kuh für gute Fruchtbarkeit ausgenutzt werden.
– Das Weidemanagement ist ein Erfolgsfaktor.

Der stetig sinkende Milchpreis zwingt viele Schweizer Milchbauern dazu, entweder die Milchproduktion aufzugeben oder ihre Produktionsstrategie zu überdenken. Letzteres haben Ruedi und Michael Sutter aus Bretzwil BL im Jahr 2010 gemacht, als der Milchpreis auf unter 50 Rp./kg Milch gefallen ist. Damals haben sie sich für die Vollweidestrategie entschieden: In erster Linie, um die Arbeitsbelastung und Futterkosten zu senken.

Vater und Sohn wollten die Milch mit der auf ihrem Betrieb reichlich verfügbaren Ressource «Gras» produzieren. Und das, ohne den arbeitsaufwändigen und kostenintensiven Schritt der Futterkonservierung im grossen Stil machen zu müssen.

Die Kuh bringt sämtliche Voraussetzungen für die Futterbergung und Futterverwertung mit: Mähwerk, Grashäcksler, Futterlager, Allrad und Gülleausbringung. Ein grosser Teil dieser Arbeitsschritte werden im Vollweidesystem von der Kuh erledigt. Diese Vorteile nutzen Sutters und können so ihre Produktionskosten senken.

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Betriebsspiegel der Familie Sutter
Generationengemeinschaft Ruedi und Michael Sutter, Bretzwil BL

LN: 43 ha im Rahmen einer Betriebszweiggemeinschaft mit Nachbar
Kulturen: Kunst- und Naturwiese, UrDinkel
Tierbestand: 58 Milchkühe (SF), 30 Mast- und Aufzuchttiere
Arbeitskräfte: Ruedi und Michael Sutter (je 50 % im Jobsharing), Lehrling

Die Anfänge der Vollweide zeigten die Herausforderungen

Zu Beginn verfolgten Sutters die Strategie der intensiven Umtriebsweide. Sie legten etwa zehn Koppeln in der Grösse von ein bis zwei Hektar an. Alle ein bis zwei Tage wurde die Kuhherde in eine neue Koppel getrieben. Das heisst, alle 7 bis 10 Tage kamen die Tiere wieder in dieselbe Koppel.

Der Vorteil an diesem Verfahren war, dass die Kühe die Weide gleichmässig abfrassen. Somit wurde verhindert, dass die Tiere das junge Gras zuerst am Hang abfrassen und sich anschliessend in das hohe Gras in der ebenen Fläche legten und auch dort koteten. Denn dadurch würden die Nährstoffe ungleich verteilt werden, was zu einem uneinheitlichen Bestand führen würde. Ein Teufelskreis.

Ein Nachteil dieses Systemes war, dass mit diesem kurzen zehntägigen Intervall die Gülleausbringung schwierig zu managen war. Dafür waren Sutters etwas flexibler in der Weidenutzung, weil der Grasbestand stets jung war und nicht drohte, alt zu werden.

Umstellung auf klassische Umtriebsweide

2019 stellten Sutters ihre Strategie auf klassische Umtriebsweide um (siehe Grafik «Jahreszyklus im Vollweidesystem»). Jetzt beweiden sie 23 Hektaren, die in fünfzehn Koppeln unterteilt sind. Die einzelnen Koppeln sind nochmals in vier bis sechs Flächen unterteilt.

Speziell an der Umtriebsweide nach Sutters ist, dass sie den Kühen nach jedem Gemelk eine neue Teilweide geben. «Man muss den Kühen ein Dessert geben, damit sie nach dem Melken gerne auf die Weide gehen», meint Michael Sutter. In diesem System werden die Koppeln im Rhythmus von 18 bis 25 Tagen bestossen. Die längere Intervallzeit hat den Vorteil, dass Flächen zwischendurch einfacher gegüllt und wieder geweidet werden können. Im Sommer bei Trockenheit und im Herbst können die Bestossungsintervalle erhöht werden auf bis zu 50 Tage.

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Vollweide ist ein intensives System

«Wichtig ist, mit den Kühen im Frühjahr früh in die Weiden zu gehen, wenn das Gras noch nicht grün ist», meint Michael Sutter. Somit wird altes Gras abgeweidet und die Bestockung angeregt. Zudem ist die Futterumstellung für die Kühe etwas einfacher, wenn anfänglich nur ein paar Stunden im alten Gras geweidet wird.

Nach der ersten Überweidung werden einige Flächen gegüllt und gestriegelt. In Abhängigkeit des Graswachstums werden im Verlaufe des Frühjahrs einige Flächen der Umtriebsweide als Gras-Siloballen für die Winterfütterung konserviert.

Dabei achten Sutters darauf, dass die Schnittnutzung nach Möglichkeit zum gleichen Zeitpunkt wie eine Weidenutzung gemacht wird. Dadurch kann die Weide nach der Schnittnutzung einfacher wieder in die Weidefläche integriert werden.

«Vollweide mit Umtriebsweide ist ein intensives System», mein Michael Sutter. Die Weiden werden etwa sechs Mal genutzt pro Saison: Fünf Mal weiden und eine Schnittnutzung. Deshalb werden die Flächen bis zu vier Mal gegüllt und teilweise nochmals mineralisch gedüngt. Der Grasbestand wird gezielt tief auf 4 bis 5 cm geweidet und gemäht. Somit hat der Bestand eine dichtere Grasnarbe und einen höheren Blattanteil, da die Gräser zum Bestocken angeregt werden. Zudem fressen die Kühe den anschliessenden Aufwuchs besser.

Natürlich fällt bei der intensiven und frühen Beweidung der erste Schnitt dann kleiner aus, aber der Fokus von Sutters liegt auf der Weide. Dort soll ein möglichst hoher Ertrag rausgeholt werden. Deshalb ist es wichtig, den Bestand regelmässig (ein bis zwei Mal wöchentlich) zu messen. Dies macht Michael Sutter mit dem «Grasshopper», einem Messsystem, mit dem die Grashöhe gemessen werden kann. Somit kann der optimale Zeitpunkt für die nächste Bestossung der Fläche bestimmt werden. Zudem kann auf abgefressenen Flächen kon-trolliert werden, ob die Abtriebshöhe von 4 cm erreicht wurde.

Die botanische Zusammensetzung ist ein Erfolgsfaktor

Der Klimawandel verlangt anpassungsfähige Wiesenpflanzen zum Erhalt einer dichten, tragfähigen und ertragsstarken Grasnarbe. Bild: InforamaPflanzenbauAnpassungsfähigen Wiesenpflanzen für den Klimawandel im FutterbauDienstag, 17. August 2021 Damit die Weiden einen guten Ertrag hergeben und die Kühe das Gras gut fressen, ist die botanische Zusammensetzung ein zentraler Punkt. Sutters haben auf einigen steilen und trockenen Naturwiesen grosse Anteile an Rohrschwingel. Dieser ist zwar gut an trockene Standorte angepasst, verfügt aber über einen schlechteren Futterwert als englisches Raigras und wird von den Kühen schlecht gefressen. Diese Flächen werden bewusst etwas früher beweidet, damit die Kühe den Rohrschwingel fressen können, wenn er jung ist.

Um die alten Kunstwiesenbestände zu erneuern, haben Sutters in den letzten Jahren auf einigen Ackerflächen UrDinkel angebaut und anschliessend wieder Kunstwiese gesät. Wichtig ist, eine Weide-Mischung und nicht eine dreijährige Kunstwiesenmischung zu säen. Weideverträgliche Arten können eine dichte Grasnarbe entwickeln.

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Die Kuh passt sich der (Voll-)Weide an

Um erfolgreich Vollweide zu betreiben, muss der Landwirt sehr konsequent sein. Einerseits mit den Tieren und andererseits mit dem Messen des Weidebestandes. «Die Kuh muss Hunger haben», sagte Michael Sutter. Sie muss lernen, dass sie ihr Futter auf der Weide holen muss.

«Nach dem Wechsel zum Vollweidesystem standen die Kühe die ersten Tage immer am Weideeingang und muhten, weil sie meinten, es gäbe Futter im Stall. Jetzt haben sie sich daran gewöhnt, dass es nichts gibt und ich muss sie vor dem Melken immer zusammentreiben, weil sie nicht mehr am Weidetor warten. Dadurch werden unsere Weideeingänge geschont und sind wieder begrünt», sagte Ruedi Sutter.

Auch wenn die Tiere im Hochsommer während der Mittagshitze in den Stall geholt werden, kriegen sie kein Futter. Die Konsequenz ist, dass keine überdurchschnittlichen Milchleistungen angestrebt werden können. Der Stalldurchschnitt bei Sutters liegt bei 6000 kg Milchleistung.

Die Kuh in ihrem natürlichen Zyklus

Sutters haben sich gezielt für die Rasse Swiss Fleckvieh (SF) entschieden, weil Vater und Sohn einerseits Freude an der Zucht haben. Andererseits verfügt die Rasse über gute Fruchtbarkeit. Das ist sehr wichtig für das System der saisonalen Abkalbung. In den ersten knapp drei Wochen der Besamungszeit werden die Tiere mit einem je nach Verfügbarkeit gesexten SF-Stier besamt. Anschliessend läuft während zwei Monaten ein Angus-Stier mit.

Alle Tiere, die nicht innert der knapp drei Monate Besamungszeit tragen, werden ausgemerzt. Diese radikale Selektion führt zu einer guten Herdenfruchtbarkeit. Ausserdem bewirkt dieses Verfahren eine zweite Selektion, so dass nur mit den fruchtbarsten Tieren weitergezüchtet wird, die bei der ersten künstlichen Besamung (KB) tragend wurden.

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Ein weiterer Vorteil der saisonalen Abkalbung ist, dass die Wachstumskurve vom Gras zum natürlichen Zyklus der Kuh passt. Anfang Frühling befinden sich die meisten Kühe in der Startphase, in der sie den höchsten Energiebedarf haben.

Das passt gut zum hohen Energiegehalt und der Wachstumskurve des Frühlingsgrases. Der maximale Grasertrag wird Ende April bis Anfang Mai erreicht, wenn die Herde sich am Anfang der Produktionsphase befindet und höchste Leistungen erbringt.

Die Kälber von Swiss Fleckvieh-Kühen sind fleischiger

AboDie vierjährige Kuh Bijou ist eine typische Kiwi-Cross. Bild: Pia NeuenschwanderTierhaltungVollweide und Kiwi-Cross: Weniger Milch aber höhere MilchinhaltsstoffeDienstag, 5. Januar 2021 Michael Sutter erklärte, dass die Kälber von SF-Kühen etwas fleischiger sind als beispielsweise von Kiwi-Cross-Tieren. In der Vergangenheit stützten die guten Fleischpreise den Milchpreis als weitere wichtige Einnahmequelle. Deshalb werden die Kühe, die nicht bei der ersten Besamung tragen, mit einem Maststier besamt.

Zudem können mit der Kälbermast hohe Milchspitzen im Frühling gebrochen werden, indem ein Teil der Milch vertränkt wird. Die SF-Kuh als Schweizer Rasse kann sich durchaus für das Vollweidesystem in der Schweiz eignen.

Michael Sutter hat über die Weihnachtstage frei

«Während dem Rest des Jahres muss ich nicht Angst haben, dass eine Kuh kalbt, wenn ich mal nicht auf dem Hof bin», sagt Michael Sutter. Die Weihnachtszeit ist bei Sutters quasi Ferienzeit, da in dieser Zeit alle Kühe galt sind. Der grosse Vorteil der saisonalen Milchproduktion ist, dass viele Arbeitsschritte aufgrund der saisonalen Abkalbung gebündelt werden können.

Somit können auch die Präsenzzeiten besser organisiert werden, zum Beispiel für die Brunst- oder die Abkalbezeit. Dies führt unter anderem zu tieferen Produktionskosten, indem beispielsweise der Besamer bei einem Besuch gleich mehrere Kühe besamen kann. Zudem können sich Ruedi und Michael einfacher absprechen, was auf dem Hof zu tun ist, da beide noch auswärts arbeiten.

Empfehlungen und wichtige Punkte bei der Umstellung auf Vollweide

– Andere Betriebe besuchen, um Praxistipps zu holen.
– An Weide angepasste botanische Zusammensetzung.
– Eine an die Weide angepasste Kuhrasse mit angepasster Leistung.
– Konsequent sein in Bezug auf Selektion der Kühe und Weidemanagement
   (Abtriebshöhe zwingend einhalten).
– Wöchentliches Messen des Grasbestandes.
– Gut erreichbare Weideflächen.
– Einmalige Investition in Tränke, Triebwege und feste Zäune.
– Leerzeiten der Gebäude zwischennutzen.

Nachteile und Herausforderungen

Eine Herausforderung des Vollweidesystems ist das unregelmässige Einkommen. Die saisonalen Schwankungen der Liquidität aufgrund der saisonalen Abkalbung müssen überbrückt werden können. Weiter gilt es je nach Art und Weise, wie die Milch vermarktet wird, eine Lösung zu finden, um die Milchmengenspitze im Frühjahr zu brechen. Sutters mästen dazu einen Teil der eigenen Kälber mit der Milch.

Es gilt, jede Woche die richtigen Entscheidungen bezüglich Beweidung, Düngung und Konservierung zu treffen. Fehleinschätzungen werden unmittelbar sichtbar, da immer direkt mit dem Gras der letzten drei Wochen Milch produziert wird.

Bei eintreffenden Wetterextremen sieht man als erstes, was man an Ertrag verliert, aber nicht, was man an Futterkosten insgesamt spart. Damit umzugehen setzt eine weit vorausschauende Wetterbeobachtung und Planung, aber auch Flexibilität voraus, damit man auf Wetterextreme reagieren kann.