Kurz & bündig

- Sonja Geiser ist Besamungstechnikerin bei Swissgenetics.
- Daneben arbeitet sie auf dem elterlichen Betrieb im luzernischen Roggliswil mit.
- Die 28-jährige Meisterlandwirtin wird den Milchvieh-Betrieb in den nächsten Jahren übernehmen.
- Sonja Geiser ist froh um all ihre Ausbildungen. Der KV-Ausbildung verdankt sie die Fähigkeit, Zahlen klar zu analysieren.

«Aha, da kommt diese Sonja»: An ihrem zweiten Arbeitstag als Besamungstechnikerin war Sonja Geiser (28) schon in der Region Wiggertal bekannt. Sie nimmt es mit Humor und amüsiert sich darüber, wie schnell das «Buschtelefon» funktioniert. «Um sieben Ecken herum hab ich auch mal erfahren, dass ich schwanger sei», erzählt sie.

Sonja Geiser arbeitet in einem 80-Prozent-Pensum für Swissgenetics in einem Team mit acht Kollegen. Das neunköpfige Team hat drei Frauen, das sei eher aussergewöhnlich. Alle 14 Tage trifft sich das Team mit dem Gruppenchef, mindestens zwei Mal pro Jahr findet eine Weiterbildung statt.

Sonst ist Sonja Geiser auf sich gestellt: Morgens um 7 Uhr erhält sie auf dem Tablet ihre Aufträge, quittiert sie und löst damit ein SMS an ihre Kunden aus. Dann macht sie ihr Auto und die Samen bereit und los geht es. Ihre Tour teilt sie sich selber ein.

Im Moment ist sie noch häufiger allein im Stall als sonst: Die Corona-Krise verschont auch Sonja Geisers Alltag nicht. «Zuerst hatte ich den Eindruck, da werde heillos übertrieben.» Doch zu erfahren, dass auch ein Teamkollege zur Risikogruppe gehöre und stetig mehr über die Gefahr des Virus zu lernen hat dazu geführt, dass Sonja Geiser die Situation sehr ernst nimmt. «Ich möchte auf keinen Fall jemanden anstecken».

Und: «Als Besamungstechnikerin trage ich auch etwas dazu bei, dass die Versorgung mit Milch und Fleisch aufrecht erhalten bleibt.» Deshalb befolgt sie strikt die Vorgaben des BAG und ihres Arbeitgebers Swissgenetics. Sie hält also Abstand, vermindert oder vermeidet Kundenkontakt.

Diesen Kontakt schätzt sie eigentlich – sie sieht in viele Betriebe hinein, kennt «ihre» Bauern und schätzt diese sehr. «Und wenn da einer einen dummen Spruch macht, gebe ich zurück.»

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Die kaufmännische Lehre als gute Grundlage für das Leben als Landwirtin

Ihre Ausbildungen haben die junge Frau abgehärtet. Als Grundausbildung hat sie das KV absolviert: «Auf Anraten meiner Eltern – die Zukunft der Milchbranche war so unsicher, dass sie mir zu einem Beruf geraten haben, in dem ich sicher immer Arbeit finde.» Ihr Traumberuf war es nicht: «Viel lieber wäre ich tiermedizinische Praxisassistentin geworden.» Es klappte mit der Lehrstelle als TPA nicht, Sonja Geiser verbrachte ein Jahr als Au-Pair im Kanton Neuenburg.

Sie entschied sich für eine KV-Lehre bei einer Versicherung. «Es war die Notlösung der Notlösungen. Aber heute bin ich dankbar dafür.» Denn: Die Übersicht über die Buchhaltung, das sei der Schlüssel für einen erfolgreichen Betrieb, ist sie überzeugt.

Als Frau wurde Sonja Geiser während der Ausbildung nicht immer ernst genommen

Nach dem KV zog es sie doch in die Landwirtschaft, Sonja Geiser absolvierte zuerst die verkürzte EFZ-Ausbildung. Ein Lehrjahr verbrachte sie in Thunstetten BE, das zweite in Strengelbach AG. Beide Betriebe halten Milchvieh: «Und dennoch waren sie völlig anders als der Betrieb meiner Eltern», sagt sie.

Die Zeit an der landwirtschaftlichen Schule hat sie in zwiespältiger Erinnerung, zum einen, was die Ausbildung in Buchhaltung anbetrifft: «Mit meiner KV-Ausbildung hatte ich ganz andere Voraussetzungen.» Ihrer Meinung nach reicht das Wissen, das in der Grundausbildung vermittelt wird, «ganz knapp», um einen Betrieb erfolgreich zu führen. Zum anderen hat sie erlebt, dass sie als Frau wenig ernst genommen wird: «Mir ist es wichtig, gepflegt aufzutreten, deshalb schminke ich mich auch.»

Das habe dann dazu geführt, dass sie zu hören bekam, sie sein halt eben «ein Fräulein» und solle doch wieder ins Büro gehen. «Das hat mich sehr verletzt», sagt sie. Trost suchte und bekam sie von ihren Eltern. Das Verhältnis der drei ist eng: So findet das Gespräch am Küchentisch in Roggliswil statt, mit Esther Geisers Schoggikuchen und Kaffee. Sonja Geiser lebt zwar in einer eigenen Wohnung – «etwas Abstand muss sein» – aber Eltern und Tochter arbeiten und leben eng zusammen.

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Für den Lehrgang «Besamungstechnikerin» reiste Landwirtin Sonja Geiser nach Berlin

Nach der Landwirtschafts-Ausbildung entschloss sich Sonja Geiser, ein Jahr auf dem Betrieb zu helfen: Der Vater hatte gesundheitliche Probleme. Parallel zur Arbeit packte sie zuerst die Betriebsleiterschule an, hängte dann die Ausbildung zur Meisterlandwirtin an.

Und, als wäre das nicht genug: Den Lehrgang «Besamungstechnikerin» machte sie auch noch. Den Anstoss gab ihr heutiger Gruppenchef, der auf den Hof kam und die junge Frau als durchaus geeignet für die anspruchsvolle Aufgabe erachtete.

Für die Ausbildung verbrachte sie fünf Wochen in Berlin. Anfangs von Heimweh geplagt, lebte sie sich ein und pflegt heute noch Kontakte. In der Schweiz ist die Ausbildung in dieser Form nicht möglich. In Deutschland dagegen übte sie zuerst an Schlachtkörpern und danach an lebenden Tieren: «Das war anspruchsvoll», erzählt sie. Sie sei eher kopflastig und es habe seine Zeit gebraucht, bis sie sicher war, welches Organ sie in den Händen hielt. Irgendwann habe es «klick» gemacht.

«Zu Beginn habe ich Höfe, Bauern und Kühe gesucht», sagt die Landwirtin

Seit ihrem ersten Tag als Besamungstechnikerin sind rund vier Jahre vergangen. Dennoch erinnert sie sich gut an die Einstiegszeit: «Ich habe vor allem gesucht», sagt sie und lacht. «Höfe, Bauern, die Ordner, die Kühe – alles gut versteckt.» Mittlerweile kurvt sie souverän durchs Wiggertal, findet die abgelegenen Orte und weiss, wo sich die Aufzeichnungs-Ordner im Stall befinden. «Aber beim ersten Kunden gleich drei Kühe zu besamen – das war eine ziemliche Sache.»

«Das Fräulein» hat sich ihren Platz erobert, manchmal geschminkt, manchmal ungeschminkt.

Betriebsspiegel Netzelen 26

Philipp (57) und Esther Geiser (56) mit Tochter Sonja (28), Roggliswil LU

LN: 21 ha
Bewirtschaftung:IP-Suisse
Kulturen: Raps, Dinkel, Mais, Kunstwiese
Tierbestand: 38 Milchkühe, aktuell 10 Aufzuchttiere
Arbeitskräfte: Philipp und Esther Geiser mit Tochter Sonja

Die Übernahme ist klar, der Zeitpunkt noch nicht

Auf dem Betrieb in Roggliswil sieht sie ihre Zukunft. Ihre vier Geschwister wollen den Hof nicht übernehmen, für Sonja Geiser war das schon immer klar. «Sie hat mit den Kälbern gespielt und Kühe geritten», erzählt Esther Geiser. «Weil ich kein Pferd bekam, solange ich es nicht selber zahlen konnte», erklärt Sonja Geiser. Mittlerweile hat sie ein Pferd, worum sie sich in ihrer Freizeit gerne kümmert.

Vermutlich werde es eine «Übergangsform» der Hofübernahme geben, sagt Philipp Geiser. Festgelegt ist noch nichts. Aber der 2014 erstellte Anbau ist zukunftsgerichtet: Im Laufstall leben 38 Milchkühe, ihre Laufgänge sind breiter als vorgeschrieben: «Vielleicht ändern sich die Vorschriften ja – dann sind wir vorbereitet», sagt Philipp Geiser.

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Zahme, auffallend saubere Tiere im Stall in Roggliswil

Im Umgang mit den Tieren zeigt sich, wofür ihr Herz in der Landwirtschaft schlägt: Kühe und Kälber sind nicht nur auffallend sauber, sondern auch auffallend zahm. Die Kälber liegen ruhig im Stroh, lassen sich streicheln. Die Kühe kommen, sobald Sonja Geiser ruft, und posieren geduldig für Fotos. Mutter und Tochter melken, da Philipp Geiser mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat.

Und Mutter und Tochter kümmern sich auch um die Jungtiere und die Geburten. Die zwei vorhandenen Kameras im Stall erleichtern die Überwachung der kalbenden Kühe. Sonja Geiser und ihre Geschwister haben ihrer Mutter zusätzlich einen Moocall-Abkalbesensor geschenkt. «Seither schläft sie viel ruhiger», sagt die Tochter mit liebevollem Blick.

Das Frauenteam hat die Tiere im Griff – und das soll auch so bleiben. «Ich möchte eine Familie», sagt Sonja Geiser. «Aber Gleichstellung ist mir wichtig. Ich will mich nicht in die Hausarbeit hineindrängen lassen.» Auch mit Kindern wolle sie in den Stall, die Hausarbeit gehöre geteilt.

Ihr Partner sieht das ebenso. Er ist ebenfalls Landwirt, hat aber keinen Betrieb zur Übernahme in Aussicht. Wie sie den Betrieb organisieren wollen und ob es neue Betriebszweige gibt: Das haben Sonja Geiser und ihre Familie noch nicht entschieden.

Sonja Geiser will sich auf keinen Fall verzetteln

Ihre Abschlussarbeit fürs Meister-Diplom hat sie zum Thema «Optimierungen» geschrieben. Sonja Geiser findet es sinnvoll, zuerst den bestehenden Betrieb zu verbessern, etwa das Weidemanagement und die Zucht weiter optimieren, um möglichst funktionelle Kühe zu bekommen.

In ihrem Beruf sieht sie in viele Betrieb hinein und macht sich Gedanken, was auf dem eigenen Betrieb funktionieren könnte. Davon, möglichst viele verschiedene Betriebszweige zu haben, hält sie nicht viel. «Da kommt man auf keinen grünen Zweig.»

Sonja Geiser hat eine breite, fundierte Ausbildung. Und wenn sie etwas macht, dann richtig: «Ich habe den Enthornungs-Kurs gemacht», sagt sie. Kalb Cindy, das sie vor Kurzem zum Geburtstag bekommen hat, hat sie selber enthornt. Das Kalb hat eine spezielle Geschichte: Es stammt von einer Zuchtkuh, die Sonja Geiser speziell gut gefällt. Da die junge Landwirtin auf dem Betrieb ausgeholfen hat, hatte sie als Dank bei der Besamung der Kuh freie Hand.

Dass sie nun sogar das Kalb geschenkt bekommen hat, freut sie riesig. Aktiv ist sie nämlich auch noch im Vorstand des Fleckviehzuchtvereins Wiggertal.

In Zukunft vielleicht die eigene Milch verarbeiten?

Sonja Geiser ist für den Alltag mit dem eigenen Betrieb sehr gut gerüstet. Milchkühe sind ihre Leidenschaft. Das hat bei den Bauarbeiten 2013 die Entscheidungen beeinflusst: «Für mich ist klar, dass ich melken will – auch wenn die Zukunft der Milchbranche manchmal düster aussieht.»

Als Nächstes will sie noch lernen, wie Milch verarbeitet wird. Deshalb hat sie sich für ein Kurs der Bäuerinnen-Ausbildung angemeldet. Wegen der Corona-Krise sind diese Kurstage abgesagt worden – aber sich von dieser Idee abbringen lassen, das wird Sonja Geiser sicher nicht.