Die Agrarpolitik AP22+ ist noch nicht in trockenen Tüchern – aber auf einem guten Weg. Der Ständerat folgte den Mehrheitsanträgen der vorberatenden Kommission des Ständerates WAK-S und spricht sich gegen die Ergänzung neuer Gesetzesartikel aus.

Das Bundeshaus mit dem haptischen Modell davor.Wintersession 2022Die «Landwirtschafts-Session» mit vielen Traktanden zur Agrar- und Ernährungs-PolitikMontag, 28. November 2022 Der Ständerat hat die 2021 noch von beiden Räten sistierte Vorlage für die Agrarpolitik AP22+ jetzt in Form eines abgespeckten Mini-Paketes angenommen. Mit 42 zu 0 Stimmen hiess er Änderungen im Landwirtschaftsgesetz gut und mit 41 zu 0 Stimmen Anpassungen im Tierseuchengesetz.

Während der Debatte forderten Grüne und SP mehr Tempo und mehr Verbindlichkeit zu Gunsten von Klima und Tierwohl – ohne Erfolg. In den Reaktionen danach begrüsst der Schweizer Bauernverband SBV die Entscheide, der Schweizer Tierschutz STS zeigt sich enttäuscht.
 

Der Bericht des Bundesrates über die «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik»

In der Frühlingssession 2021 hatte nach dem Ständerat auch der Nationalrat die Agrarpolitik AP22+ sistiert und den Bundesrat beauftragt, zuerst einen Bericht mit langfristigen Perspektiven für die Schweizer Landwirtschaft zu erstellen. Der Bundesrat präsentierte den geforderten Bericht im Juni 2022.

In seinem Bericht über die «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» skizzierte der Bundesrat den Weg der Schweizer Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft bis 2050 mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit. Neu hat der Bundesrat dabei die gesamte Wertschöpfungskette mit einbezogen, vom Bauernbetrieb über Zwischenhandel und Verarbeitung bis auf den Teller. Die wichtigsten Punkte:

  • Der Selbstversorgungsgrad für Lebensmittel soll im Jahr 2050 weiterhin über 50 Prozent liegen.
  • Die Arbeitsproduktivität soll gegenüber 2020 um 50 Prozent gesteigert werden.
  • Die Treibhausgase-Emissionen der Produktion sollen mindestens 40 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen.
  • Die Lebensmittelverluste (Food Waste) sollen entlang der ganzen Wertschöpfungskette – also auch bei den Verarbeitern und Konsumenten – um 75 Prozent reduziert werden.
  • Die Treibhausgas-Emissionen des Lebensmittel-Konsums sollen um 66 Prozent sinken.

Der Bundesrat verzichtete dagegen auf eine Anpassung beim ökologischen Leistungsnachweis für Direktzahlungen. Und auch Änderungen im bäuerlichen Bodenrecht will der Bundesrat von der AP22+ abkoppeln.

Die im Bericht des Bundesrates formulierten Ziele sind aber hoch immer noch gesteckt. Für manche Beobachter unerreichbar hoch. Vor allem mit dem Angriffskrieg von Russland in der Ukraine und dessen Folgen für die Landwirtschaft und der vom Parlament bereits beschlossenen parlamentarischen Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren».

Grüne und SP forderten mehr Tempo und mehr Verbindlichkeit für Klima und Tierwohl

Ganz so einstimmig wie das Resultat suggeriert, verlief die Debatte nicht:  Grüne und SP wollten einen Ausbaupfad für das Tierwohl . Und sie kritisierten auch, dass die bürgerliche Mehrheit des Ständerates und der Bundesrat beim Klimaschutz «eine sehr minimalistische Agrarpolitik verfolgen». Die Ständerätinnen Adèle Thorens Goumaz (Grüne/VD) und Maya Graf (Grüne/BL) forderten mehr Tempo für den Klimaschutz.

Der Ständerat verzichtete aber auf die ausdrückliche Verankerung der Klimaziele im Landwirtschaftsgesetz – konkret auf eine Reduktion des Ausstosses von Treibhausgasen in der Landwirtschaft.

«Die Landwirtschaft ist vom Klimawandel existenziell betroffen und nimmt das Thema ernst», erklärte Ständerat Peter Hegglin (Mitte/ZG). Es wäre aber absurd, wenn der Bund zur sicheren Energieversorgung ein Ölkraftwerk baut, das pro Tag 1,8 Millionen Liter Diesel verbrennt, und gleichzeitig mit Diesel betriebene Traktoren nicht aufs Feld fahren dürften.

Entsprechende Minderheitsanträge wies der Ständerat mit klaren Mehrheiten ab. Das Geschäft geht nun in den Nationalrat.

Reaktionen vom Schweizer Bauernverband und den Tierschutz- sowie Umweltverbänden

Der Schweizer Bauernverband SBV begrüsst die Entscheide und das Vorgehen, das Mini-Paket der Agrarpolitik AP22+ schlank zu halten: «So werden wichtige Gesetzesanpassungen nicht durch lange Debatten unnötig verzögert, sondern lassen sich rasch umsetzen.» Hinzu komme, dass mit der Umsetzung der beiden Absenkpfad Pflanzenschutz und Nährstoffe bereits 2023 Massnahmen zur Umsetzung kommen, die auch fürs Klima positiv sind.

Der Schweizer Tierschutz STS begrüsst es, dass der Ständerat die langfristige Strategie «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» deutlich angenommen hat, stellt aber ein grosses «aber» dahinter: «Kurzfristig profitieren die Tiere davon nicht, was der STS sehr bedauert.» Mit dem Mini-Paket der Agrarpolitik AP22+ seien wesentliche Elemente im Bereich Tiergesundheit und Tierwohl gestrichen und der vom STS lancierte «Ausbaupfad Tierwohl» abgelehnt worden. Das sei schlecht für den Tierschutz und für die Landwirtschaft.

Der WWF, Greenpeace, Pro Natura und Birdlife beklagen wie gewohnt mit markigen Worten ein «Trauerspiel der Agrarpolitik: 8 Jahre Stillstand statt Wandel» und kritisieren, «dass die vom Ständerat verabschiedete Agrarpolitik den drängenden Herausforderungen bei Klima und Biodiversität in keiner Art und Weise gerecht wird».