Ich habe in der Schweizer Agrarpolitik schon viel gesehen. Im Bundeshaus und im Bundesamt für Landwirtschaft BLW brennt der Amtsschimmel öfter durch, als die Freiberger einer Train-Rekrutenschule. Und mit dem Schweizer Bauernverband SBV habe ich das Heu auch nicht immer auf der gleichen Bühne. Aber so einen Furz im Wasserglas wie den «Bürger:innenrat für Ernährungspolitik» habe ich noch nicht erlebt!

Während sechs Monaten diskutierten 80 per Los ausgewählte Personen über die Schweizer Ernährungspolitik. Sie besuchten neun Betriebe für Bio-Landwirtschaft, Agroforstwirtschaft, Regenerative Landwirtschaft, Permakultur, Solidarische Landwirtschaft – und ganz nebenbei noch einen konventionellen Landwirtschaftsbetrieb. Volle 1,3 Millionen Franken kostete der Spass.

AboProjektleiter Daniel Langmeier und ETH-Professorin Johanna Jacobi an der Präsentation des Bürgerinnenrates.Ernährungspolitik«Bürgerinnenrat für Ernährungspolitik» fordert eine nachhaltigere ErnährungspolitikMontag, 7. November 2022 Dieser «Bürgerinnenrat für Ernährungspolitik» präsentierte das Resultat der Bemühungen an einer total überdimensionierten Medienkonferenz. Um genau zu sein: präsentiert wurden keine Resultate – stattdessen schwärmten die «Bürgerinnenräte» von der Gruppendynamik, die sie während sechs Monaten erlebten. Gschpürsch mi?

Die Journalisten bekamen nach der Konferenz eine 160 Seiten (!) dicke Excel-Tabelle mit 53 Zielen und 127 Empfehlungen des «Bürger:innenrates für Ernährungspolitik» zuhanden der Politik und aller Stufen der Wertschöpfungskette.

Weniger Fleisch und weniger Zucker konsumieren, dafür mehr saisonale Nahrungsmittel. Dabei sollte mehr Ackerfläche für die menschliche statt für die tierische Ernährung genutzt werden. Es sollten auch der Selbstversorgungsgrad der Schweiz erhöht und der bürokratische Aufwand für die Bauern gesenkt werden. Herrjesses! Darauf wären wir nie gekommen.

Der «Bürgerinnenrat» mache die Demokratie demokratischer, die 80 per Los ausgewählten Personen seien repräsentativer als das Parlament – «zumindest im Sinne der Statistik, weil die Auswahl die Bevölkerung der Schweiz repräsentiert», dampfplauderten die Organisatoren an der Medienkonferenz.

Als ob wir nicht schon genug Politiker, Ämter, Institutionen und Organisationen auf allen Ebenen hätten, welche die Schweizer Landwirtschaft von Jahr zu Jahr verschlimmbesserten.

Unser demokratisches System steht allen offen, von der Landi-Genossenschaft über die kommunalen, kantonalen und nationalen Parlamente bis zum Bundesrat. Mit Guy Parmelin ist ein Landwirt aus dem Waadtländer Weinbauerndorf Bursins (Land-)Wirtschaftsminister. Jeder kann die Ernährungspolitik mitbestimmen, nicht zuletzt auch als Konsument.

Und wem das alles zu wenig demokratisch ist, der kann eine der spendengetriebenen Verhinderungs-Organisationen unterstützen – vom WWF über Greenpeace bis Pro Natura.

Da brauchen wir keine Luxus-Projekte, die vom Bund mitfinanziert werden. Der «Bürgerinnenrat für Ernährungspolitik» ist in unserer politischen Landschaft so nötig wie ein amerikanischer 600-PS-Traktor: Auf den ersten Blick sieht er eindrücklich aus, viel glänzender Lack und ein lautstarker Motor. Aber er richtet mehr Landschaden an, als er nützt.