Kurz & bündig
-Die Drohne mit Wärmebildkamera ist ein Meilenstein in der Rehkitzrettung.
-Jäger Ernst Krebs kann mit der Drohne viel mehr Flächen absuchen.
-Gefundene Kitze werden mit einer Harasse gesichert und die Stelle wird markiert.
[IMG 2]Die Rehkitzrettung wird traditionellerweise durch die Jagdvereine durchgeführt. Ernst Krebs, Hegeobmann des Jagdvereins Laupen BE, ist einer dieser Freiwilligen, die sich seit vielen Jahren für die Rehkitzrettung einsetzen. Seit dem Jahr 2022 fliegt er die Felder mit einer Drohne ab.
Er hat alle notwendigen Ausbildungen als Drohnenpilot gemacht. Dabei lernte er die Anwendung einer an der Drohne montierten Wärmebildkamera, die Lebewesen im Grasbestand erkennt.
«Für mich ist die Drohne ein Meilenstein in der Rettung. Noch nie war es möglich, so schnell und präzis Tiere im dichten Grasbestand zu finden», erklärt Ernst Krebs.
Die Drohne erkennt, was der Mensch nicht sieht
Die kleinen Rehkitze können sich nicht selbst vor dem Mähwerk schützen und verharren tief im Gras. Erst frühestens drei Wochen nach dem Setzen folgen sie ihrer Mutter und verlassen bei einer Störung das Feld. Ein Rehkitz verfügt in den ersten drei bis vier Wochen über einen ausgeprägten Duckinstinkt und bettet sich bei Gefahr tief in den Grasbestand. Es ist deshalb beim Absuchen von Auge oftmals nicht zu erkennen.
Für die Wärmebildkamera ist das Tier dank der Körpertemperatur erkennbar. Diese zeigt einen höheren Wert an als das umliegende Gras, was optisch auf dem Bildschirm erkennbar ist. Dazu ist ein Temperaturunterschied zwischen Tier und Umgebung notwendig, der in den frühen Morgenstunden am stärksten ist. Dann ist das Tier warm und das Gras kalt, der Kontrast am Anzeigefeld ist gross.
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Gefährliche Terminkollision zwischen Kinderstube und Mahd
Das Problem ist, dass sich die Kinderstube der Rehkitze, welche etwa ab Ende April/anfangs Mai bis Mitte Juni geboren werden, mit dem Schneiden des Futterbestands überlappt. Eine gefährliche Terminkollision.
Die Problematik ist bekannt und die meisten Landwirte sorgen hier seit je her mit der örtlichen Jägerschaft für eine Rettung der Rehkitze vor dem Mähen.
Die Effizienz und Wirkung der Rettungsmassnahmen waren jedoch noch nie so hoch wie nun mit der Drohne. Ernst Krebs erinnert sich an frühere Massnahmen, als man die Felder während dem Mähen mit dem Motormäher vor dem Schneidbalken absuchte. Schwieriger wurde es, als die Mähwerke mit Traktoren betrieben wurden und es zu schnell ging, um vorab abzusuchen.
Man versuchte, mit Vergrämungsmassnahmen wie Verwittern und Verblenden, die Rehgeiss zu animieren, das Feld mit dem Kleinen zu verlassen oder gar nicht erst dort zu setzen. Es versteht sich von selbst, dass diese Massnahmen sehr aufwändig sind. Sie erreichten nie die Qualität der heutigen Technik mit Drohne und Wärmebildkamera.
Ob eine Geiss dann wirklich verscheucht wurde und das Kleine mitgenommen hat, konnte man nur hoffen. Die kleinen Rehkitze sind in den ersten Tagen unsicher auf den Beinen und kommen in einem dichten Grasbestand kaum vorwärts.
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Die gefährdete Flächen besonders im Auge behalten
Ernst Krebs, welcher das Gebiet im bernischen Laupenamt sehr gut kennt, hat natürlich immer ein Auge auf die Aktivitäten der Wildtiere.
Er kann abschätzen, wo sich die Rehgeissen in der Zeit vor dem Setzen bewegen und welche Felder für die Geiss in Frage kommen, um die Rehkitze zu setzen. «Rehgeissen bevorzugen blumenreiche Naturwiesen, wo sie in der Nähe Deckung haben und wenig gestört sind.» Ursprünglich sind Rehe keine reinen Waldtiere.
Ihre eigentlichen Lebensräume sind Waldränder, Feldgehölz, Hecken und naheliegende Naturwiesen. Wenn das Territorium jedoch eng wird und die besten Plätze belegt sind, können Rehgeissen ihre Kitz auch im offenen Land weit weg von Wäldern setzen. Sie benötigen nur eine hohe Feldfrucht oder Hecke als Deckung.
Dadurch lassen sich Prioritäten ableiten, auf welchen Feldern am ehesten Rehkitze erwartet werden. Wenn während der Hochsaison der Drohneneinsatz koordiniert wird, werden solche Flächen prioritär abgeflogen.
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Für Ernst Krebs kam die Drohnentechnik gerade zum richtigen Moment. «Viele Jagdvereine haben zwar einen Zulauf von Jung-Jägern. Diese interessieren sich für das Wild, aber haben oft aus beruflichen Gründen nicht die Möglichkeit, bei den Aktivitäten der Rehkitzrettung mitzutun.»
Die Drohne ersetzt also fehlendes Personal. Damit ist das Problem jedoch nicht ganz gelöst. Ernst Krebs wäre froh, in seinem Gebiet noch ein zweites Rettungsteam zu haben.
Denn der Einsatz mit der Drohne ist Teamarbeit. Meist ist Ernst Krebs mit zwei Helfern unterwegs. Wenn die Kamera ein Ziel gesichtet hat, legen sie eine Harasse über die Tiere und markieren die Stelle zusätzlich mit einer Fahne. Der Landwirt mäht dann um diese Stelle herum und entfernt die Harasse nach getaner Arbeit. Die Kitz dürfen maximal sechs Stunden unter der Harasse gehalten werden.
Es braucht eine gute Absprache mit dem Landbesitzer, damit dieser dann das Feld am Morgen rasch mäht und die Tiere freilässt. Würde zum Beispiel erst am Nachmittag gemäht, besteht die Gefahr, das die Kitze dehydrieren.
«Um die Rehkitze muss man sich nach seiner Freilassung keine Sorgen machen. Die Mutter ist irgendwo in der Nähe am Waldrand in Deckung und findet das Kleine rasch.»
Eine minutiöse Planung für jeden Drohnenflug
Der Drohnenpilot ist darauf angewiesen, dass Landwirte die gewünschten Felder digital rechtzeitig anmelden und spätestens einen Tag vor der Mahd, den effektiven Mähtermin, telefonisch melden.
Wird eine Parzelle mit der Drohne und Wärmebildkamera abgesucht, wird diese Mission vorher am Computer geplant und die Positionsdaten der Parzelle werden auf dem Drohnensystem gespeichert. An einem Einsatztag ist dann für jede Parzelle eine Mission im Bedienterminal digital abgespeichert. Bei der Planung wurde auch die Flugroute der Drohne programmiert. Beim Feld muss nur noch die Parzelle aufgerufen werden, weitere Vorbereitungen sind dann keine mehr notwendig.
Für jede Parzelle sind verschiedene Wegpunkte eingetragen worden, welche die Drohne selbständig abfliegt. Diese sind so gelegt, dass die ganze Fläche durch die Wärmebildkamera eingesehen werden kann. Auch der Startpunkt ist definiert.
Um die Mission zu starten, wird eine Internetverbindung benötigt. Dafür hat Ernst Krebs einen mobilen WLAN-Router dabei. Die Drohne benötigt Positionsdaten mehrerer Satelliten, damit ihr GPS-System funktioniert.
Nach dem Startbefehl steigt die Drohne auf eine Höhe von 65 Metern und fliegt selbständig von einem Wegpunkt zum nächsten. Die Flughöhe garantiert, dass die Drohne nicht mit Hindernissen wie Bäumen oder Strommasten kollidiert.
Die brauchbare Arbeitsbreite der Wärmebildkamera beträgt bei dieser Höhe 38 Meter. Die Fluggeschwindigkeit beträgt um die 20 km/h. Die Flächenleistung ist enorm. «Die grösste Flächenleistung im letzten Jahr waren 4,5 Hektaren in sieben Minuten.»
Eine hohe Schlagkraft ist wichtig. Denn sobald die Sonne aufgeht, erwärmt sich der Boden. Dann kann die Wärmebildkamera Rehkitze weniger deutlich erkennen, weil sich die Körpertemperatur nicht mehr stark von der Bodentemperatur unterscheidet.
Die Arbeit beginnt deshalb meistens um 4 Uhr in der Früh. Bei einer guten Planung können 15 bis 20 Parzellen abgesucht werden.
Die Wärmebildkamera erkennt jedes Rehkitz und noch viele andere Tiere wie Füchse, Dachse, Katzen usw., welche sich frühmorgens im Gras befinden. Aber die Tierart erkennt man nicht auf den ersten Blick. Zunächst wird nur die Position markiert, auf welcher etwas entdeckt wurde.
Während die Drohne ihre Kreise zieht, beobachtet Ernst Krebs das Bild der Wärmebildkamera auf dem Terminal. Erkennt er einen Wärmepunkt, stoppt er die Drohne und markiert die Stelle digital auf der Feldkarte. Dann fliegt die Drohne weiter. Detektiert die Kamera weitere solche Punkte, werden auch diese markiert. Während des Flugs beobachten auch die Helfer die Wärmebildaufnahmen auf einem zusätzlichen Bildschirm. So steigt die Qualität der Auswertung.
Falls während der Mission Punkte markiert wurden, werden diese anschliessend gezielt angeflogen und die Helfer, welche über Funk Kontakt mit Ernst Krebs haben, machen sich mit Harassen auf den Weg zu den markierten Positionen.
Mit der Drohne kann nun näher an den Wärmepunkt herangeflogen werden, um zu erkennen, ob es sich tatsächlich um ein Kitz handelt. Liegt ein solches im Gras, lotst der Drohnenpilot die Helfer zur Stelle hin. Ein geübtes Team erreicht das Ziel rasch und wird mittels Kamerabild präzis zur Fundstelle gelotst. Oftmals sind die Kitze von den Helfern nicht zu sehen, auf dem Bild der Wärmekamera jedoch schon. In solchen Fällen muss man den Helfer hinlotsen und dann den Befehl für das Legen der Harasse geben. «Hier können wir uns voll auf die Technik verlassen. Anfangs ist es jedoch ungewohnt, die Harasse – aus Sicht des Helfers – aufs Gratwohl abzulegen.»
Die Gefahr lauert nicht nur beim ersten Schnitt
Im ersten Drohnen-Jahr 2022 hat das Team um Ernst Krebs 158 Felder abgesucht und dabei 21 Kitze gerettet. Wie gross der Rettungserfolg in früheren Jahren ohne Drohne war, dazu ist keine Auswertung möglich. Gemäss dem Verein Rehkitzrettung Schweiz wurden im Jahr 2022 über 3000 Rehkitze mit der Drohne gerettet. Rund 2500 kamen mit der Mähmaschine zu Tode. Die Dunkelziffer wird jedoch auf mehrere Tausend geschätzt.
Die Rehgeiss ist normalerweise zwischen Mitte Juli bis Mitte August brünstig. Danach setzt eine Keimruhe ein, bis das embryonale Wachstum Ende Jahr einsetzt. Es kann jedoch auch zu einer Nachbrunst im Dezember kommen. Hier dauert die Keimruhe weniger lange, aber die Tragezeit endet dennoch später. Eine Rehgeiss kann ihre Jungen deshalb auch noch im Juli setzen, wodurch nicht nur der erste Schnitt eine Gefahr darstellt.
Hat eine Rehgeiss mehr als ein Junges (meist zwei, bis zu drei sind möglich), liegen sie einzeln voneinander entfernt im Feld.
Tierrettung schützt vor Botulismus
Der Drohneneinsatz bewahrt nicht nur Rehkitze vor dem Maschinentod. Er schützt auch die Nutztiere, da sie vor möglichen Giftstoffen durch den Kadaver im Futter verschont bleiben.
Tierkadaver können Botulinum-Bakterien in die Silage bringen, die im sauerstofffreien Umfeld Giftstoffe bilden. Der Giftstoff (Botulismus) kann bei Wiederkäuern zur Lähmung der Muskulatur führen, woran sie ersticken können.
Rehkitzrettung Schweiz bildet Piloten für die Rettung aus
Rehkitzrettung Schweiz bietet eine Pilotenausbildung an, die gezielt auf die Rettungseinsätze ausgerichtet ist. Mit der heutigen Möglichkeit, Drohnen einzusetzen, kommt den PilotInnen eine wichtige Funktion zu. Rehkitzrettung Schweiz ist als Verein bestrebt, die PilotInnen einerseits auszubilden und andererseits an die LandwirtInnen und JägerInnen zu vermitteln.
Wer RehkitzretterIn werden möchte, sollte folgende Voraussetzungen mitbringen:
-Bereitschaft, früh aufzustehen (vor dem Sonnenaufgang)
-Zeitliche Verfügbarkeit: Die Einsätze sind schlecht planbar und zum Teil sehr kurzfristig.
-Freude an der Teamarbeit
Für PilotInnen ist das Beherrschen der Drohne wichtig und sie müssen auch ausserhalb der Rettungssaison Drohnen fliegen, damit die Routine erhalten bleibt.
Die Zusammenarbeit zwischen Landwirt und Rettungsteam ist sehr wichtig. Wer kein lokales Rettungsteam kennt, um dieses direkt zu beauftragen, kann sein Feld im Internet anmelden. Der Verein übernimmt anschliessend die Vermittlung zwischen Landwirtin und Drohnenpilot.