Kurz & bündig

- Anna und Christian Böhlen bieten auf dem Muriboden-Hof im bernischen Riggisberg «Schlafen im Stroh» und ein Gästezimmer an.
- Agrotourismus macht ein Drittel ihres landwirtschaftlichen Einkommens aus.
- Der wichtigste Betriebszweig ist die Direktvermarktung von Fleisch.

Seit über 25 Jahren übernachten Jakobsweg-Pilger auf dem Muriboden-Hof in Riggisberg. Der Hof liegt idyllisch in der hügeligen, aber offenen Landschaft. Das denkmalgeschützte Haus ist weiss getüncht, mit tiefen Dach und Fenstern, die für die Region ungewohnt keine Fensterläden haben. «Der Legende nach ist es aus Steinen der Klosterruine Rüeggisberg errichtet worden», erzählt Anna Böhlen (32).

Sie ist mit den Gästen aufgewachsen, die im Stroh oder in einem Gästezimmer des Bauernhauses schlafen. «Ich bin es gewohnt, dass wir ein offenes Haus haben und Menschen an meinem Küchentisch sitzen», sagt sie. Für ihren Mann Christian (33) ist das etwas ungewohnt, Sohn Nicola wächst genau wie sein «Mueti» damit auf. Während Anna und Christian Böhlen erzählen, spielt er auf dem Küchenboden – mit einem John-Deere-Traktor und einem Postauto.

«Sein Maschinenpark ist moderner als unserer», sagt Christian Böhlen und grinst. Er und seine Frau bewirtschaften den Betrieb mit einem 30-jährigen Hürlimann-Traktor.

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Anna Böhlen hat den Betrieb 2017 von ihren Eltern übernommen – diese hatten 2013 die Landwirtschaft zum grössten Teil aufgegeben. Vater Ruedi Böhlen hatte die Milchkühe verkauft und eine Vollzeit-Stelle als Postauto-Chauffeur übernommen. Mit Tochter Anna Böhlen hat er den Ackerbau weitergeführt. Mutter Christine Böhlen hat das Agrotourismus-Angebot aufrecht erhalten.

Dass sich Anna Böhlen doch zur Übernahme entschlossen hat, hat ihre Eltern und die Geschwister gefreut. Finanziert hat sie den Kauf mit einer Hypothek und einem Darlehen bei den Eltern. Anna Böhlen ist gelernte Kauffrau und hat den Kurs «Landwirtschaft im Nebenerwerb» gemacht, Christian Böhlen ist ursprünglich Elektromechaniker und hat die Lehre als Landwirt auf dem zweiten Bildungsweg absolviert. Im Moment ist Anna Böhlen noch in der Bäuerinnen-Ausbildung: «Das ergänzt sich sehr gut mit Christians Ausbildung – wir wollten nicht beide die gleiche Ausbildung machen.»

Die beiden arbeiten Hand in Hand, im Stall, auf dem Feld und auch im Haus. Christian Böhlen wechselt so selbstverständlich Nicolas Windeln, wie Anna Böhlen die Mutterkühe auf die Weide bringt.

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Der Betrieb soll zum Haupterwerb der Familie werden

Ihren Betrieb bezeichnet Anna Böhlen als «Start-up»: «Wir haben in Kopf und Herz einen Plan – aber kein Marketingkonzept.» Ziel sei, dass der Betrieb mit Agrotourismus und Direktvermarktung von Fleisch und Spezialkulturen (Lupinen, Mohn, Haferflocken, Lein-Produkte) zum Haupterwerb der Familie werde. Im Moment arbeitet Anna Böhlen noch 30 % auf dem Sekretariat einer Kirchgemeinde, Christian Böhlen arbeitet im Winter – wenn es genügend Schnee hat – an einem Skilift in der Gantrisch-Region.

Im Winter ist es ruhiger – von Frühling bis Herbst sind auf dem Muriboden-Hof viele Gäste: «Der grösste Teil sind Pilger, die im Dorf nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen», sagt Anna Böhlen. 2019 haben rund 400 Leute auf dem Muriboden-Hof übernachtet.

Riggisberg liegt am Jakobsweg, die Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela sind froh um eine einfache, saubere Unterkunft. Unter dem Dach können bis zu 30 Leute im grossen Strohbett übernachten, das Gästezimmer hat zwei Einzelbetten.

Bei Böhlens gehört zum «Schlafen im Stroh» eine Begrüssung mit einem Getränk und einem kleinen Häppchen vom Hof, zum Beispiel Lupinen-Nüsschen. Um die müden Füsse zu entspannen, darf jeder Gast den Barfussweg unter dem Apfelbaum vor dem Bauernhaus abschreiten. Der Höhepunkt ist dann das Blütenbad und die Ringelblumensalbe, natürlich mit Blüten und Blumen aus dem eigenen Garten. Danach sind die müden Pilger-Füsse wieder wach. Familien mit Kindern oder Schulklassen mögen die Tiere, die auf dem Hof leben: Die rund 50 Freiland-Wollschweine und die fünf Rätischen Grauvieh-Mutterkühe mit ihren Kälbern, aber auch die beiden Esel, die Hühner, Zwergziegen und Kaninchen.

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Der Agrotourismus macht ein Drittel des Einkommens aus

Das Agrotourismus-Angebot haben Anna Böhlens Eltern aufgebaut. Ihr und ihrem Mann ist es wichtig, das «Schlafen im Stroh»-Angebot weiterzuführen. Natürlich auch, weil es ein gutes Drittel ihres Einkommens ausmacht. 2019 war die erste Saison, welche die beiden allein geführt haben.

«Und im Herbst waren wir dann auch mal froh, dass es durch war», sagt Anna Böhlen. Denn einen eigentlichen Aufenthaltsraum für die Gäste haben Böhlens nicht: Frühstück und Znacht servieren sie auf der gedeckten Laube unter dem Dach des Bauernhauses. «Wenn es abends etwas kühler wird, kommen die Gäste dann zu uns in die Küche.» Das sei durchaus in Ordnung, aber irgendwann schätze auch sie ihre Privatsphäre.

Im Moment haben sie ein Gästezimmer: «Als ich Kind war, hat sich die Zahl der Gästezimmer danach gerichtet, wie viele Kinderzimmer frei waren», sagt Anna Böhlen. Bei ihnen sei es auch so – bei einem zweiten Kind würden sie überlegen, ob sie das Zimmer in ihrer Wohnung weiterhin vermieten würden.

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Erste Lehren aus der ersten gemeinsamen Saison gezogen

Für die Saison 2020 haben die beiden einige Lehren gezogen: «Wir müssen unbedingt unsere Arbeitszeiten besser abstimmen», sagt Anna Böhlen. Sie arbeitet zum Beispiel am Dienstag stets auswärts und kommt nach 17 Uhr heim: «Danach noch eine Gruppe zu bekochen, das wird mir zu viel.» Ideen, wie sie den Agrotourismus ausbauen möchten, hat das Paar durchaus. Bloss ist Anna Böhlen skeptisch: «Unser Hof ist in der tiefsten Landwirtschaftszone. Nur schon ein Aufenthaltsraum zu bauen wäre wohl schwierig.» In Richtung Eventgastronomie wollen die beiden nicht gehen, auch Hochzeiten auf dem Betrieb können sie sich nicht vorstellen.

Einmal pro Jahr veranstalten sie aber ein grosses Hoffest. Bei «Muriboden en Fête» am letzten Oktober-Wochenende gibt’s Spiele für die ganze Familie, Musik und einen Hofgottesdienst.

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Direktvermarktung von Fleisch ist der wichtigste Betriebszweig

Der Kontakt mit ihren Gästen und den Kundinnen und Kunden liegt Anna Böhlen am Herzen: Die Direktvermarktung ist aktuell finanziell der wichtigste Betriebszweig. Dabei macht das Fleisch der Grauvieh-Rinder den grössten Anteil aus. Die Freiland-Wollschweine werden vom Dorfmetzger geschlachtet: Bis jetzt hat er sechs Tiere geschlachtet.

Böhlens machen sich aber Gedanken, ob sie weiterhin Wollschweine wollen. «Wollschweine sind eine alte, robuste Rasse, das finden wir toll.» Aber die Vermarktung und Verarbeitung sei anspruchsvoll, weil zum Beispiel die Borsten der Wollschweine die Maschinen verstopfen.

«Das wird dann eine Management- und nicht mehr eine Herzensentscheidung», sagt Anna Böhlen. Denn am Ende müssten sie produzieren, was sich verkaufen lasse – auch wenn ihnen die grossen Abnehmerkanäle wenig sympathisch seien…

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«Meine Kunden glauben mir als Landwirtin eher als den Politikern»

Angesprochen auf die Landwirtschafts-Initiativen sieht Anna Böhlen in Direktvermarktung und Agrotourismus eine wichtige Vermittler-Funktion: «In diesen Kundenkontakten haben wir die Möglichkeit, unseren Standpunkt zu erklären, wir werden auch häufig danach gefragt. Jeder einzelne Bauer ist Botschafter der Landwirtschaft und dein Kunde glaubt dir eher als einem Politiker oder Verbandsvertreter.» Dies sollten mehr Landwirte nutzen und sich nicht nur in landwirtschaftlichen Kreisen bewegen, findet sie.

Ihre Eltern seien nicht gereist, sondern hätten sich die Welt auf den Hof geholt, erzählt Anna Böhlen: «Wir hatten schon Gäste aus allen Kontinenten.» Sie ist gern Gastgeberin, geht darauf ein, ob jemand länger plaudern will oder einfach nur Infos zur Übernachtung und ein Glas Tee will.

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Es brauche Vertrauen, sagt sie – nur schon darin, dass niemand im Stroh eine Zigarette rauche oder eine Kerze anzünde. Die meisten Erfahrungen seien positiv, das zeigt auch das Gästebuch. «Ich merke bei der Verabschiedung, ob sich die Leute wohl gefühlt haben», sagt Anna Böhlen.

Manche kommen jedes Jahr wieder, manche schicken ihr aus Santiago de Compostela, dem Ziel des Jakobswegs, eine Postkarte. Und von anderen hört sie nie mehr etwas – das sei auch ok. Schwierig werde es, wenn eine Gruppe komme, die sich untereinander nicht einig ist oder nicht weiss, was sie in der Unterkunft erwartet. Aber das sei die Ausnahme.

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Die Gäste kommen über Mund-zu-Mund-Propaganda zu Böhlens

Neben Pilgern sind viele Familien mit Kindern zu Gast, Schulklassen, die zum Beispiel den Seilpark in der Region besuchen oder Grosseltern mit Enkeln. Eine Übernachtung mit Frühstück mit Produkten aus der Region kostet für Erwachsene 28 Franken. Anna und Christian Böhlen denken darüber nach, die Preise leicht zu erhöhen. «Aber wir wollen auch Menschen mit einem kleinen Budget ansprechen und erschwinglich bleiben», sagt Anna Böhlen.

Geld für Werbung geben Anna und Christian Böhlen so gut wie gar nicht aus. Sie zahlen den Mitgliederbeitrag von 540 Franken an den Verein Agrotourismus, dafür erscheint ihr Angebot auf der Buchungsplattform «myfarm.ch» und sie erhält administrative Unterstützung durch den Verein.

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Der Muriboden-Hof hat eine Facebook-Seite und eine Website: «Aber auf Instagram sind wir nicht», sagt Anna Böhlen. Keine Zeit und keine Lust, gibt sie zu. Ihre Gäste kommen dank Mund-zu-Mund-Propaganda und weil im Dorf Riggisberg in jedem Laden bekannt ist, wo Pilger übernachten können.

Das Angebot «Schule auf dem Bauernhof» wurde 2019 zwei Mal genutzt: «Schulklassen sind uns natürlich willkommen», sagt Anna Böhlen. Sie und ihr Mann geben gern Wissen weiter, auch wenn «Schulkinder recht anstrengend sind», sagt Anna Böhlen und lacht. Deshalb baut sie immer einen «Fun-Faktor» ein: «Traktorfahren zum Beispiel, das finden alle lustig.»

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Betriebsspiegel Muriboden-Hof

Anna (32) und Christian Böhlen (33) mit Nicola (2), Riggisberg BE

LN: 15 ha
Bewirtschaftung: ÖLN, IP-Suisse, Hügelzone
Kulturen: Dinkel (extenso), Hafer (extenso), Gerste (extenso), Lein, Lupinen, Mohn, Kunst- und Naturwiese
Tierbestand: Rätisches Grauvieh-Mutterkühe mit Kälbern, 50 Freiland-Wollschweine
Weitere Betriebszweige: Agrotourismus (Schlafen im Stroh, Gästezimmer, Schule auf dem Bauernhof), Direktvermarktung fast aller Kulturen und Fleisch
Arbeitskräfte: Anna und Christian Böhlen

www.muriboden.ch

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