Kurz & bündig

- Von Stacheldraht geht eine grosse Verletzungsgefahr für Mensch und Tier aus.
- Er hat nur noch in ganz wenigen Situationen im Sömmerungsgebiet eine Berechtigung.
- Die Alternative: Wellen- oder Drilldrähte geben Druck nach.
- Maschendraht, Knotengitter und Weidenetze können leicht zu Todesfallen werden.
- Der Zaunbetreiber haftet bei Unfällen, wenn der Zaun nicht als Barriere wahrnehmbar ist.

In erster Linie sollen Weidezäune die Tiere auf der Weide halten. Zudem sollen sie auch ungebetene Gäste fern halten, vor allem Hunde und Wildtiere. Dem Menschen sollen sie aufzeigen, dass die Weide Nutztieren vorbehalten ist. Weidezäune haben also eine doppelte oder sogar dreifache Funktion.

Klarer Fall: «Der Stacheldraht ist vorbei»

Von manchen Zäunen gehen aber Gefahren für Mensch und Tier aus. Sie können sogar zur Todesfalle werden oder den Lebensraum von Wildtieren zerschneiden. «Ganz unproblematisch ist kein einziges Zaunsystem», hält der Schweizer Tierschutz STS in seinem Merkblatt fest.

Der STS macht jedoch einen Unterschied zwischen problematischen Zäunen, auf die man nach Möglichkeit verzichten, soll und zwischen empfohlenen Zäunen. Wegen ihrer grossen Verletzungsgefahr lehnt der STS Stacheldrahtzäune generell ab, auch wenn Stacheldraht gemäss Tierschutzgesetz nur für Pferdeartige, Lamas und Alpakas verboten ist.

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Auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV rät in seinem Merkblatt von Stacheldraht als Zaun für Nutztiere ab. «Der Stacheldraht ist vorbei», bringt es Claudia Rhyn, Tierschutzbeauftragte im Kanton St. Gallen, auf den Punkt. Gemäss kantonalem Jagdgesetz sind in St. Gallen neue Stacheldrahtzäune ausserhalb des Sömmerungsgebietes verboten.

Auch Heinz Feldmann, Sicherheitsexperte bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft BUL, empfiehlt, bei Sanierungen bestehende Stacheldrahtzäune zu ersetzen, da diese für Mensch und Tier eine grosse Unfallgefahr darstellen. Nur punktuell zum Beispiel zur Verhinderung von Abstürzen im Alpgebiet könne ein Stacheldrahtzaun das «verhältnismässige und einzig sichere Zaunmaterial» sein.

Stacheldraht nur noch in Ausnahmefällen
Anstelle von Stacheldraht gibt es heute bessere, technische Lösungen. Doch es ist scheinbar schwierig, vom Stacheldraht wegzukommen, weil er lange Zeit die einzige Möglichkeit in Sömmerungsgebieten war, die Weiden vor gefährlichen Stellen zu sichern. Stacheldraht sei ein «Jahrhundert-Zaunsystem», erklärt Heinz Feldmann von der BUL.

Es dürfte vor allem auf die örtlichen Verhältnisse ankommen, ob Stacheldraht noch gerechtfertigt ist. Zum Beispiel, wenn der Zaun immer wieder unterbrochen ist und sich deswegen nicht elektrifizieren lässt. Nicht zuletzt kommt es auch auf den Umgang mit dem Stacheldraht an: Wird er nach der Sömmerung konsequent entfernt und auf die Erde gelegt?

Stahl- und Elektrodrähte als Alternativen zu Stacheldraht

Stacheldrahtzäune lassen sich gut durch permanente Stahl- oder Elektrodrähte oder einer Kombination beider ersetzen. «Alles ist einfacher und günstiger als Stacheldraht», sagt Martin Altenburger, Verkaufsleiter beim Zaunhersteller Gallagher.

Feste Elektrozäune eignen sich dann, wenn Stellen permanent ausgegrenzt werden sollen, zum Beispiel an Gefahrenstellen oder dort, wo jedes Jahr der Zaun am gleichen Ort aufgestellt werden muss. Am besten verwendet man als obere Litze einen festen, durch Bändel sichtbar gemachten Stahldraht und für die unteren Litzen Elektrodrähte, die sich ablegen lassen, wenn keine Tiere auf der Weide sind, empfiehlt der STS. Die unterste Litze solle nur so tief platziert werden, dass kleine Wildtiere wie Fuchs und Igel unter ihr hindurch können. Spannfedern verleihen dem Zaun eine gewisse Elastizität.

Zäune und Gehege, welche auf Dauer angelegt werden, sind gemäss eidgenössischem Raumplanungsgesetz bewilligungspflichtig. Erster Ansprechpartner ist die Gemeinde als Baupolizeibehörde.

Hochleistungs-Elektrozäune, sogenannte Powerzäune, sind zwar ausbruchsicher, aber sie stellen wegen der straff gespannten Drähte oft unüberwindbare Barrieren für Wildtiere dar und zerschneiden deren Lebensraum.

Lange Festzäune benötigen deswegen eine Bewilligung der kantonalen Jagdbehörde. Gemäss kantonalem Jagdgesetz des Kantons St. Gallen verfällt die Bewilligung eines solchen Zaunes, wenn dieser dauerhaft nicht mehr benötigt wird.

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Wellendrähte geben Druck nach und sind tierschonend

Der Initiator der Kuhhorn-Initiative und Bergbauer Armin Capaul hat zusammen mit seinen beiden Söhnen Donat und Andri sukzessive die Weidezäune mit stromführendem Wellen- oder Drilldraht ersetzt, um die extensiven Juraweiden, die von Wald umgeben sind, sicher und tierschonend einzuzäunen.

Wellendrähte sind Bestandteil von Drahtseilen. Sie entstehen, indem man sie zu einem Drahtseil wickelt oder zwirbelt. Das führt zu einer Wellenstruktur der einzelnen Drähte, so dass sie sich bei Zug dehnen lassen. Das Dehnen des Drahtes schont einerseits Tiere, die gegen den Zaun rennen und andererseits schont es den Zaun selbst. Denn dieser reisst nicht, wenn ein schwerer Ast darauf fällt. Entfernt man den Ast, dann geht der Zaun in die Ausgangslage zurück.

Capauls halten behornte Tiere, Kühe, einen Stier, Ziegen, Schafe und zwei Esel. Als sie den Hof 1995 übernahmen, entfernten sie zuerst den Stacheldraht und ersetzten ihn durch Drahtgeflechte, mobile Elektrozäune und durch Weidenetze.

Die Zäune aus Drahtgeflecht wuchsen allerdings oft mit Gras ein und die Tiere rissen mit den Hörnern Löcher in den Zaun. Die mobilen Zaunsysteme machten viel Arbeit und waren nicht ausbruchsicher. Die Weidenetze bildeten eine Falle für Wildtiere.

Indem Capauls einen Elektrozaun mit vier Wellendrähten auf verschiedener Höhe verwenden, können sie sowohl Kühe als auch Schafe und Ziegen halten. Das machte ihren Zaun allerdings teuer, obwohl sie die Wellendrähte günstig für 0,30 Franken je Laufmeter bei einer Drahtseilfabrik kaufen konnten. Die Pfähle aus Akazienholz schlugen sie selbst in Abständen von drei bis fünf Metern ein.

«Der Zaun kostet anfangs etwas, aber nachher hast du Ruhe», fasst Armin Capaul zusammen. Er und seine Söhne müssen die Zäune nämlich nicht dauernd reparieren. Die Drähte lassen sich, wenn nötig, leicht aus den Isolatoren nehmen, ablegen und später wieder einhängen, ohne dass zusätzliches Werkzeug nötig ist.

«Die dauerhaften Wellendrähte rosten nicht und Igel können unten hindurch», sehen Capauls als weitere Vorteile. Um den Zaun für grössere Wildtiere sichtbar zu machen, haben sie ein weisses Elektroband um den zweitobersten Draht gewickelt. Im Notfall schlüpfen Rehe auch zwischen den Drähten hindurch, hat Armin Capaul beobachtet.

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Förderprogramm zum Ersatz von Stacheldraht

Das Landwirtschaftsamt des Kantons Appenzell Innerrhoden verbietet Stacheldrahtzäune nicht, dafür fehle die gesetzliche Grundlage. Das Amt bietet aber ein Förderprogramm 2022–2025 zum Ersatz von Stacheldrahtzäunen in Sömmerungsgebieten an. Es empfiehlt, Stacheldrähte durch die oben beschriebenen Wellendrähte zu ersetzen und fördert den Wellendrahtzaun mit einem Beitrag von einem Franken je Laufmeter Zaun.

Todesfalle Weidezaun
Gemäss einer Umfrage und Hochrechnungen des STS finden jährlich 3000 bis 4500 Wildtiere in Zäunen einen qualvollen Tod. Die Anzahl verletzter Tiere dürfte drei bis vier Mal höher liegen. 2018 registrierte alleine der Kanton Bern 105 Rehe, die in Zäunen verendeten.

Zu häufigen Unfallopfern zählen neben Rehen, Rothirschen und Gämsen auch Füchse, Feldhasen, Marder, Wildschweine und sogar Höckerschwäne und Rotmilane.

Am gefährlichsten sind Weidenetze. Darin starben über 70 Prozent der verendeten Tiere einen meist qualvollen Tod. Knotengitter und Litzenzäune waren für je 6,5 Prozent der Todesfälle verantwortlich.
 

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«Der Zaun soll wilddurchlässig sein», empfiehlt Rahel Mettler vom Landwirtschaftsamt AI. Deswegen sollen nicht mehr als ein oder zwei Drähte verwendet werden. Nach der Alpung müssen die Drähte vollständig abgelegt werden. Ausserdem ist der Verlauf des festen Zaunes mit dem Revierförster zu besprechen. «Ein Elektrozaungerät ist das A&O für die Funktion von Weidezäunen», sagt Sepp Fässler vom Zaunteam Appenzellerland in Weissbad. Denn der Strom verschaffe Respekt vor dem Zaun. Eine professionelle Montage erleichtere die Erstellung eines sicheren und dauerhaften Festzaunes. Dazu braucht es starke Rammböcke oder auf Nagelfluh Bohrmaschinen.

«Ohne starke Anfangs-, End- und Eckpfosten ist ein solcher Zaun nicht realisierbar», betont Fässler. Als Material für die Pfosten eigne sich nur Hartholz wie Eiche, Robinie (Akazie) oder Kastanie sowie Metall. Werde nicht dauerhaftes Material verwendet und werden die Zäune nicht fest verankert, steigen die jährlichen Unterhaltskosten.

Achtung bei Knotengitter und Weidenetzen!

Knotengitter- und Maschendrahtzäune kommen entlang von Autobahnen zum Einsatz, um Unfälle mit Tieren zu verhindern. Geeignet sind sie auch für Gehege von Schafen, Ziegen, Hirschen und Kameliden. Die Zäune müssen aber straff gespannt sein und kontrolliert werden, damit kleinere Tiere wie Rehe und Wildtiere nicht darin hängen bleiben. Vor allem sollte man darauf achten, dass keine Drähte hervorstehen.

Besonders gefährlich sind Weidenetze, denn sie können wie ein Fangnetz wirken. Verheddern sich Tiere darin, haben sie keine Chance mehr, sich selbst zu befreien. Betroffen seien vor allem Rehe, Gämsen und Hirsche, häufig aber auch Kleintiere wie Igel und gar Amphibien, schreibt Samuel Furrer vom STS.

Weidenetze dürfen keinesfalls dafür verwendet werden, Wildtiere von Kulturen fern zu halten. Auch die Nutztiere selbst, wie Schafe und Ziegen, können sich in diesen Zäunen verfangen und umkommen. Vor allem Jungtiere sind gefährdet. Weidenetze sollte man nie lange verwenden und täglich mindestens einmal kontrollieren. Um zu verhindern, dass die Tiere den Kopf durch das Netz strecken, sollten die Litzen unbedingt unter Stromspannung stehen. Sind die Netze straff gespannt, verheddern sich die Tiere nicht so leicht.

Bei Unfällen liegt die Haftung beim Zaunbetreiber

«Das Zäunen ist etwas sehr Anspruchsvolles», betont Heinz Feldmann von der BUL. Wer einen Zaun aufstellt, muss sich bewusst sein, dass er für Unfälle haftet, wenn er seinen Sorgfaltspflichten gemäss Art. 56 des Obligationenrechtes nicht nachkommt.

Haftung des Tierhalters
Obligationenrecht, Artikel 56, Abs. 1: «Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.»

Ein Bundesgerichtsurteil verurteilte wegen Nichterfüllens der Sorgfaltspflichten einen Pferdehalter, nachdem ein Kind auf seiner Weide von einem Pferd schwer verletzt wurde. Das Elektroband war so hoch angebracht, dass das Kind aufrecht darunter hindurch gehen konnte. Der Zaun muss Dritte von der Weide fern halten und als Barriere gegen aussen wahrnehmbar sein, betont Feldmann.

Im erwähnten Beispiel hätte es optische Markierungen gebraucht, die auch einem kleinen Kind eine Abschrankung anzeigen. Als solche Markierungen dienen gut sichtbare, farbige Bänder. Das gilt vor allem in der Nähe von Spielplätzen und Kindergärten. Entlang von Trottoirs eignet sich die Farben Rot/Weiss, entlang von Waldrändern Blau/Weiss.

Von Tieren wird Blau besser wahrgenommen als Weiss. Wichtig ist auch, dass Aussenstehende vor der Berührung elektrischer Zäune geschützt werden. Elektrische Zäune sind etwas vom Trottoir zurückzusetzen und mit Warntafeln zu versehen.