Kurz & bündig

-Eine hohe Abgangsrate kann viele Ursachen haben – ist jedoch die Zwangsmerzungsrate sehr hoch, sind dafür meist gehäuft auftretende Produktionskrankheiten verantwortlich.
- Bei den Abgangsraten müssen die Zwangsmerzungsrate, die Häufigkeit der einzelnen Abgangsgründe und der Abgangszeitpunkt in der Laktation betrachtet werden.
- Eine Betrieb mit hoher Abgangsrate kann dennoch eine überdurchschnittliche Tiergesundheit aufweisen.
- Entscheidend ist die Kompetenz und das Problembewusstsein der BetriebsleiterInnen.

Verlässt ein hoher Anteil an Milchkühen pro Jahr die Herde, so entspricht dies einer hohen Abgangsrate. Liegt sie über 30 Prozent, so gilt das häufig als Alarmsignal für eine Überforderung der physiologischen Kapazität der Milchkühe und wird mit der unbefriedigenden Lebensleistung in Verbindung gebracht.

So einfach ist es aber nicht. Die Zahlen müssen differenziert betrachtet werden: Einige sehr erfolgreiche Betriebe verkaufen in erheblichem Umfang Zuchtvieh oder selektieren auch auf der weiblichen Seite möglichst scharf auf Milchleistung, Melkbarkeit oder Temperament. Trotz hoher Abgangsraten kann dann die Tiergesundheit überdurchschnittlich sein.

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Grundsätzlich kann die Entscheidung, sich von einer Milchkuh zu trennen, freiwillig (zum Beispiel Verkauf eines Zuchttieres oder Selektion der weiblichen Zuchttiere) oder unfreiwillig (beispielsweise durch Verletzung oder Krankheit) gefällt werden.

Der Anteil ungewollter Abgänge entspricht der sogenannten Zwangsmerzungsrate. Diese Kenngrösse ist die entscheidende. Die Zwangsmerzungsrate sollte weniger als 20 Prozent des Kuhbestandes pro Jahr betragen.

Wenn der Anteil höher liegt, ist dies mit einer ökonomisch tragfähigen und tiergerechten Milchviehhaltung kaum vereinbar. Die Ursache sind meist gehäuft auftretende Produktionskrankheiten. Das sind Erkrankungen, deren Häufigkeit mit der Höhe der Milchproduktion direkt oder indirekt korreliert (zum Beispiel Milchfieber, Ketose, Mastitis, Zysten).

Die wirtschaftliche Bedeutung von kranken Kühen wird unter Praxisbedingungen meistens nur auf die Kosten reduziert, welche mit der Therapie in Verbindung stehen. Bei dieser Betrachtung wird ausser Acht gelassen, dass andere Kosten und Verluste häufig vier- bis sechsmal so hoch sind wie die eigentlichen Therapiekosten.

Dazu gehören die Mehrarbeit für die Betreuung kranker Tiere, der Ausfall von Milcherlösen wegen Arzneimittelrückständen, die Leistungsminderung nach einer Erkrankung und die erhöhte Remontierungsrate.

Besonders dramatisch sind die ökonomischen Folgen, wenn Erstkalbinnen den Bestand vorzeitig verlassen müssen oder der Abgang innerhalb der ersten 100 Laktationstage eintritt. Weiterhin ist bei hohen Zwangsmerzungsraten eine gezielte Selektion durch das Überwiegen der ungewollten Abgänge meistens nicht mehr realisierbar.

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Ungewollte Abgänge in der Schweiz

In der Tierverkehrsdatenbank werden Gründe für das Ausscheiden aus der Milchproduktion erfasst. Der Stellenwert einzelner Erkrankungskomplexe lässt sich auf Landes-, Regional- und Betriebsebene messen.

In einer Auswertung der HAFL zeigte sich, dass bei allen Milchviehrassen eine ungenügende Fruchtbarkeitsleistung mit Abstand als wichtigste Abgangsursache genannt wurde, gefolgt von Euter- und Klauenerkrankungen.

Durchschnittlich wurden von Milchkühen 3,4 bis 3,8 Laktationen erreicht. Der Anteil Erstkalbinnen an der Zwangsmerzungsrate lag zwischen 15 und 18 Prozent. Das durchschnittliche Alter beim Abgang betrug 75 Monate im Jahr 2020. Unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Erstkalbealters von 30 Monaten ergibt sich so eine Nutzungsdauer von 45 Monaten.

Zahlen auf Betriebsebene analysieren

Es lohnt sich, die Zahlen auf Betriebsebene genauer anzuschauen. Grundlage ist eine gute Dokumentation (TVD, Fruchtbarkeitskarte, Herdenprogramme). Dabei werden die Zwangsmerzungsrate, die Häufigkeit der einzelnen Abgangsgründe und der Abgangszeitpunkt in der Laktation betrachtet.

Nachfolgend dazu zwei Beispiele von Betrieben mit nahezu identischen Abgangsraten, aber unterschiedlichen Zwangsmerzungsraten:

  1. Beispielbetrieb A hat 48 Kühe und eine Zwangsmerzungsrate von 25 Prozent. Das heisst: 12 Tiere sind insgesamt ungewollt ausgeschieden; davon wurden acht Kühe nicht tragend und am Ende der Laktation geschlachtet, zwei Kühe mit toxischer Mastitis wurden zu Beginn der Laktation euthanasiert und zwei Kühe wurden aufgrund von Verletzungen in der Mitte der Laktation notgeschlachtet.

Hier wird schnell klar, dass ein dominierendes Problem mit der Fruchtbarkeit besteht. Dieses lässt sich mit den Kennzahlen der Fruchtbarkeit bestätigen (zum Beispiel niedriger Erstbesamungserfolg, hoher Besamungsindex). Die richtigen Hebel auf diesem Betrieb anzusetzen, erfordert eine Ursachenanalyse.

In wenigen Fällen liegen die Ursachen auf der Hand und können schnell abgestellt werden: So sind zum Beispiel gehäufte Aborte aufgrund einer Infektion mit Neospora nach einem bestimmten Vorgehen im Folgejahr meist kein Problem mehr.

In der Mehrzahl jedoch deuten überdurchschnittliche Abgangsraten auf ein suboptimales Management als primäre Ursache hin. Besonders, wenn der Anteil unfreiwilliger Abgänge über längere Zeit hoch bleibt. Für den Erfolg in der Praxis ist entscheidend, dass der Bereich Management relativ leicht kontrolliert und direkt beeinflusst werden kann.

Am Beispiel Fruchtbarkeit wird deutlich, dass die Verbesserung mancher Faktoren im Bereich Management schnell zu einem Erfolg führen. So haben z. B. Probleme in der Brunsterkennung und -nutzung allein durch Verlängerung der Beobachtungszeit ein enormes Potenzial zur kurz- und langfristigen Verbesserung.

Weisen dagegen 10 Prozent aller Kühe Zysten auf, stehen Massnahmen zur Optimierung der Fütterung im Vordergrund, deren Erfolg meist erst mit einem erheblichen Zeitverzug erkennbar wird.

  1. Betrieb B hat 120 Kühe und eine niedrige Zwangsmerzungsrate mit 15 Prozent. Die ungewollten Abgänge verteilen sich auf mehrere Ursachen und geben in ihrer jeweiligen Höhe keinen direkten Anlass zur Sorge.

Dieser Betrieb zeigt, dass hohe Laktationsleistungen erreicht werden können, während gleichzeitig die Tiergesundheit hervorragend ist und die Fruchtbarkeit der Herde keine wesentlichen Probleme macht.

Bei diesen Betrieben sind Rationsgestaltung, Fütterungstechnik, Haltungssystem, Melkroutinen und Präventionsmassnahmen so weit optimiert, dass die Tiere trotz des erhöhten Risikos bei hohen Laktationsleistungen einen hervorragenden Gesundheits- und Fruchtbarkeitsstatus haben.

Der entscheidende Unterschied zwischen über- und unterdurchschnittlich erfolgreichen Milchviehbetrieben ist somit weniger die Laktationsleistung der Herde als vielmehr die Kompetenz und das Problembewusstsein der Betriebsleiter.

Maren Feldmann ist Tierärztin in der Bestandesdiagnostik bei Rindergesundheit Schweiz (RGS), Martin Kaske ist Tierarzt und fachlicher Leiter der RGS.