Das hat es noch nie gegeben: Schon ein Jahr vor den eidgenössischen Wahlen 2023 machen die drei grossen Wirtschafts-Dachverbände und der Schweizer Bauernverband SBV mobil.

In Bern präsentierten die Präsidenten der Dachverbände ihre gemeinsame Kampagne «Perspektive Schweiz», mit der sie eine wirtschaftsfreundlichere und landwirtschaftsfreundlichere Politik durchsetzen wollen. Oder – wie an der Kampagnen-Präsentation erklärt wurde – «den Linksrutsch in der Schweizer Politik rückgängig machen». Die Kampagne soll eine bürgerliche Plattform für die National- und Ständeratswahlen vom 22. Oktober 2023 sein.

Die Kampagne «Perspektive Schweiz» zeigt die Handschrift vom Schweizer Bauernverband SBV

An der gemeinsamen Medienkonferenz in Bern traten neben dem Präsidenten des Schweizer Bauernverbandes SBV, Markus Ritter, auch die Präsidenten der Wirtschafts-Dachverbände auf:

Für politische Beobachter ist aber klar: Die Wirtschafts-Dachverbände haben mit Ausnahme der prall gefüllen Kassen nicht das Potenzial für eine solche Kampagne, die zudem mit mehr als einem Jahr Vorlaufzeit startet.

Die Wirtschafts-Dachverbände finanzieren hauptsächlich die Kampagne. Alles andere zeigt die Handschrift des Schweizer Bauernverbandes SBV, der seit Jahren professionelle Kampagnen führt und jede Abstimmung gewinnt.

«Perspektiven statt Wunschdenken» in Shocking Pink

Die Präsidenten der Wirtschafts-Dachverbände trugen zum Start der Kampagne «Perspektive Schweiz» vor allem Gemeinplätze bei:

  • «Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne prosperierende Wirtschaft ist alles nichts», sagte zum Beispiel Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes SAV.
  • «Der Linksrutsch bei den letzten Wahlen habe dem Land einen Stillstand beschert, deshalb müsse man wirtschaftspolitischen Anliegen wieder eine stärkere Stimme geben», erklärte Christoph Mäder, Präsident von Economiesuisse.
  • «Die Stimme der Wirtschaft muss im politischen Diskurs wieder mehr Gewicht bekommen», plädierte Fabio Regazzi, Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes.

Den Slogan «Perspektiven statt Wunschdenken» wird die Schweizer Bevölkerung in den kommenden Wochen in einer grossen Kampagne immer wieder zu sehen bekommen. Auf Plakaten, in Inseraten und in Sozial-Media-Beiträgen, deren Farbe – nämlich ein Shocking Pink – im doppelten Sinne des Wortes ins Auge stechen.

Sicherheit, Nachhaltigkeit, Versorgungsssicherheit und Energieversorgung

Der Schweizer Bauernverband hatte mit den Wirtschafts-Dachverbänden in der Vergangenheit das Heu eher selten auf der gleichen Bühne – Stichwort: Freihandelsabkommen. Doch in der gegenwärtigen Weltlage würden die Gemeinsamkeiten  überwiegen, erklärte SBV-Präsident Markus Ritter.

Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt präsentierte die Schwerpunkte der Kampagne:

  • Sicherheit: «Die Wirtschaft sorgt für Stabilität und sichert so den Frieden und Wohlstand in unserem Land.»
  • Soziale Sicherheit: «Nur eine gesunde Wirtschaft garantiert die Stabilität unserer Sozialwerke.»
  • Bildungspolitik: «Unsere Betriebe bilden jährlich weit über 200'000 Jugendliche aus.»
  • Nachhaltigkeit: «Die Zusammenarbeit von Forschung und Landwirtschaft sorgt für echten Klimaschutz.»
  • Versorgungssicherheit: «Unsere Landwirtschaft trägt entscheidend dazu bei, dass immer von allem genug verfügbar ist.»
  • Energieversorgung: «Und zur Versorgungssicherheit gehört selbstverständlich auch die Energie: Mit einer faktenbasierten Energiepolitik sorgen wir dafür, dass die Lichter nicht ausgehen.»

Ätzende Kommentare als Reaktion auf die Kampagne: «Geld & Gülle»

Die AHV-Abstimmung vom 25. September 2022 habe «die jahrzehntelange Blockade-Politik von Links-Grün zugunsten einer austarierten Reform beendet». Auch die Massentierhaltungs-Initiative sei am 25. September 2022 gemeinsam erfolgreich bekämpft worden, erklärte Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt. Mit der Kampagne «Perspektive Schweiz» solle dieser Erfolg bis zu den eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober 2023 weitergeführt werden.

Die angeschossenen Links-Parteien reagieren darauf mit bitterbösen Kommentaren: «Die Kampagne lässt sich unter den Stichworten Ausverkauf der Schweiz an die Grosskonzerne und Frontalangriff auf die sozialen Rechte des Volkes zusammenfassen», äzte Cédric Wermuth, Co-Präsident der Sozialdemokraten in Twitter.

Noch pointierter formulierte es ein Schmierfink, der vor dem Restaurant, in dem die Kampagnen-Präsentation stattfand, die Parole «Geld & Gülle» auf den Boden sprayte.
 

Kommentar

Eine unheilige Allianz

Dass sich der Schweizer Bauernverband SBV an der Kampagne «Perspektive Schweiz» der Wirtschafts-Dachverbände beteilige, sei «keinesweg abwegig, denn wir Bäuerinnen und Bauern sehen uns als Teil der Wirtschaft und einer wichtigen Wertschöpfungskette», erklärte SBV-Präsident Markus Ritter an der Medienkonferenz in Bern.

So weit, so gut. Mit der Kritik an einer «jahrelangen Blockade von Links-Grün» brüskiert der Bauernverband aber gemässigte Grüne, Grünliberale und Sozialdemokraten.

Tatsache ist, dass die drei Wirtschafts-Dachverbände zwar viel Geld haben, aber «keinen Pfupf» und ein homöopathisches Mobilisierungs-Potenzial.

Im dümmsten Fall verliert der Schweizer Bauernverband bei den nächsten Volksabstimmungen zu Landwirtschafts-Themen genau die Stimmen jener gemässigten Grünen, Grünliberalen und Sozialdemokraten, die in den letzten Jahren für die Schweizer Bauernfamilien gestimmt hatten.

Und es braucht wenig Fantasie, um zu prophezeien, dass die Wirtschafts-Dachverbände beim Thema Freihandel dem SBV bei nächster Gelegenheit wieder in den Rücken fallen werden.

Jürg Vollmer, Chefredaktor «die grüne»