«Mein persönliches Ziel als Landwirtschaftsminister und ehemaliger Landwirt ist es, dass die Schweizer Agrarpolitik von den LandwirtInnen wieder verstanden wird – aber auch von der Politik und der Gesellschaft.»

Das erklärte Bundesrat Guy Parmelin an der Jahresversammlung 2024 der IG BauernUnternehmen IGBU in Pierrafortscha FR. «Die Schweizer Agrarpolitik muss einfacher werden, aber gleichzeitig wirksamer in Bezug auf die Zielerreichung.»

Guy Parmelin hatte mit seinem Referat vor rund 150 kritischen LandwirtInnen der IG BauernUnternehmen keinen einfachen Stand. «Der Bundesrat  hat sich  in die Höhle der Löwen gewagt», attestierte ihm IGBU-Präsident Samuel Guggisberg respektvoll.

Dann war aber auch schon Schluss mit Lob und die Zuschauer liessen Parmelin bei jedem Satz wissen, dass sie mit dem Landwirtschaftsminister und vor allem mit «seinem» Bundesamt für Landwirtschaft BLW lieber ein Hühnchen rupfen würden, als später beim Apéro zusammen ein Glas Weisswein trinken.

Bundesrat Parmelin will den LandwirtInnen eine langfristige Perspektive geben

«Die Schweizer LandwirtInnen sind mit einem komplexen Sytem konfrontiert», versuchte Bundesrat Guy Parmelin zu erklären. «Der bürokratische Aufwand ist unbestreitbar enorm. Dazu kommen noch tiefe Einkommen und grosse Schwierigkeiten der Ertragssicherung mit weniger Nährstoff- und Pflanzenschutzmitteln.»

Parmelin versprach den LandwirtInnen mit der nun angestossenen Agrarpolitik AP30+ eine langfristige Perspektive:

  1. Mit einem Selbstversorgungsgrad von über 50 Prozent.
  2. Mit einer Reduktion des ökologichen Fussabdrucks nicht nur einseitig in der Landwirtschaft, sondern vom Landwirt über die verarbeitende Industrie bis zum Konsumenten.
  3. Mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven.
  4. Mit einer Vereinfachung der agrarpolitischen Instrumente schon vor 2030.

«Mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven muss es sich wieder lohnen, einen Landwirtschafts-Betrieb zu führen», erklärte Bundesrat Parmelin.

Die produzierenden Landwirte kritisieren den Bundesrat und das Bundesamt für Landwirtschaft BLW

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube – so könnte man die Reaktionen auf das Referat von Bundesrat Guy Parmelin beschreiben. Vor allem IGBU-Vizepräsident und Gastgeber Fernand Andrey, auf dessen Landwirtschafts-Betrieb in Pierrafortscha FR die Jahresversammlung der IG BauernUnternehmen tagte, fand deutliche Worte: «Stopp! Es reicht!».

Nicht einmal die Medizin werde so rigoros reguliert, wie die Schweizer Landwirtschaft. «Wir brauchen nicht ständig neue Vorschriften aus der Verwaltung», kritisierte Fernand Andrey, der das Problem vor allem im Bundesamt für Landwirtschaft BLW verortet.

Fernand Andrey erklärte, dass die nun auch in der Schweiz aufkommenden Bauernproteste «nicht von extensiv wirtschaftenden Landwirten kommen, die immer mehr von Direktzahlungen leben. Auf die Strasse gehen Profi-Landwirte, die gesunde einheimische Lebensmittel produzieren wollen!» Ohne diese Profi-Landwirte, so Andrey, könne die ständig wachsende Bevölkerung der Schweiz nicht ernährt werden.

    Wird die IG BauernUnternehmen eine Selbstversorgungs-Initiative lancieren?

    Schon am Jahrestreffen 2023 der IG BauernUnternehmen hatte Präsident Samuel Guggisberg die Lancierung einer Selbstversorgungs-Initiative angekündet. Mit dieser sollen «die inländische Produktion gestärkt und die ausufernden Forderungen von Verwaltung, Label-Organisationen und Unternehmen in Schranken gewiesen werden».

    Konkret fordert die IGBU einen Selbstversorgungsgrad der Schweiz von 60 Prozent. Der aktuelle Brutto-Selbstversorgungsgrad beträgt 52 Prozent, der Netto-Selbstversorgungsgrad, (der ausschliesslich die mit einheimischen Futtermitteln produzierten Nahrungsmittel berücksichtigt) sogar nur 45 Prozent.

    Zudem seien viele Produktionssystem-Programme heute schwer kontrollierbar, kritisierte die IGBU bei der Ankündigung dieser Selbstversorgungs-Initiative. Der vermarktungstechnische Mehrwert dieser Programme werde auf dem Rücken der Bauern erwirtschaftet und damit sei die Wertschöpfung bei steigenden Risiken für die Landwirtschaft klein. Die Abgeltung über den Markt müsste deshalb deutlich höher sein.

    Auf die Frage, ob und wenn ja wann die IG BauernUnternehmen diese Selbstversorgungs-Initiative lanciere, erklärte IGBU-Präsident Samuel Guggisberg: «Wir haben den Text zur Selbstversorgungs-Initiative ausgearbeitet haben und warten nun den Bericht des Bundesrates zum Landwirtschaftlichen Verordnungspaket 2024 ab, welches zurzeit in der Vernehmlassung ist.»

    Die IG BauernUnternehmen ist radikaler als der Schweizer Bauernverband SBV

    Die IG BauernUnternehmen IGBU wurde 2018 als Zusammenschluss von rund 500 Bauern und im landwirtschaftlichen Umfeld tätigen Unternehmern gegründet. Sie versteht sich als Lobbyorganisation für eine nachhaltige produzierende Landwirtschaft, erklärt Samuel Guggisberg, Präsident der IG BauernUnternehmen und Landwirt in Zimmerwald BE.

    2021 ist die IG BauernUnternehmen im Abstimmungskampf um die beiden Trinkwasser-Initiativen zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit aufgefallen. Mit Plakaten und Videos in den Social Media führte die Organisation in einem für Schweizer Verhältnisse aggressiven Ton eine eigene Kampagne gegen die Trinkwasser-Initiative und die Pestizidverbots-Initiative.

    Die IGBU trat im Abstimmungskampf deutlich radikaler auf als die Kampagne des Schweizer Bauernverbandes SBV. «Wir sind die Männer fürs Grobe», erklärt Vorstandsmitglied Andreas Bürki aus Richigen BE. Die IG BauernUnternehmen könne Sachen machen, die für den SBV wegen seiner Funktion als Dachorganisation nicht drin lägen.

    Während der Schweizer Bauernverband eher diplomatisch unterwegs sei, «nennt die IG BauernUnternehmen politische Missstände beim Namen, um die Stimmbürger, aber auch Funktionäre und Entscheidungsträger in Politik und Verwaltungen aufzuklären».