Die erste Version der Agrarpolitik AP22+ wurde im März 2021 von Nationalrat und Ständerat bachab geschickt. Das Parlament verlangte stattdessen vom Bundesrat eine Langzeitperspektive, die auch Themen wie Ernährungssicherheit und Food Waste (Lebensmittelverschwendung) beinhalten sollte.

Der Bundesrat legte diesen Bericht über die «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» im Sommer 2022 vor und skizziert darin den Weg der Schweizer Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft bis 2050.

Einbezogen hat der Bundesrat die gesamte Wertschöpfungskette, vom Landwirtschaftsbetrieb über Zwischenhandel und Verarbeitung bis auf den Teller (Farm to Fork = Vom Hof auf den Teller/Gabel). Die Schweizer Landwirtschaft solle nachhaltiger werden und mehr zur Ernährungssicherheit beitragen als heute.

Die künftige Schweizer Agrarpolitik gehen Bundesrat und Parlament in drei Schritten an

Gestützt auf den Bericht des Bundesrates staffelte das Parlament die Umsetzung der Agrarpolitik in drei Schritte:

  1. Massnahmen für weniger Risiken durch Pestizide (Pa. Iv. 19.475), die schärfere Auflagen bringen.
  2. Die nun erfolgte Genehmigung der Agrarpolitik AP22+ (u.a. mit Änderungen im Landwirtschaftsgesetz und Tierseuchengesetz) durch das Parlament.
  3. Eine tiefer gehende Reform ab 2030, in deren Fokus das gesamte Ernährungssystem stehen soll.

Der erste Schritt wurde mit der Parlamentarischen Initiative Pa. Iv. 19.475 bereits gemacht, deren Massnahmen teilweise schon seit Januar 2023 gelten und viele Landwirtschafts-Betriebe (und nicht zuletzt auch die kontrollierenden Kantone) überfordern.

Für den zweiten Schritt haben der Ständerat in der Winter-Session 2022 und der Nationalrat in der Frühjahrs-Session 2023 eine gestutzte Agrarpolitik AP22+ ohne zusätzliche Massnahmen für Klima, Ökologie und Tierwohl beschlossen.

Der Nationalrat stimmte den Änderungen im Bundesgesetz über die Landwirtschaft mit 129 zu 1 Stimmen zu – mit 65 Enthaltungen von SP, Grünen und GLP. Anpassungen im Tierseuchengesetz wurden mit 152 zu 0 Stimmen und 43 Enthaltungen zugestimmt. Weitergehende Forderungen von Links-Grün nach mehr Verbindlichkeit für Klima, Ökologie und Tierwohl hatten keine Chancen.

Was ist in der gestutzten Agrarpolitik AP22+ drin?

Nationalrat und Ständerat genehmigten eine Agrarpolitik ab 2025 mit unbestrittenen Elementen der AP22+, die wirtschaftliche und soziale Neuerungen für die Landwirtschaft bringt:

  • Beim Abschluss von Ernteversicherungen, die Risiken wie Trockenheit und Frost abdecken, soll der Bund höchstens 30 Prozent der Prämien beisteuern können.
  • Eine der Voraussetzungen für Direktzahlungen an Landwirte ist neu der persönliche Sozialversicherungsschutz für regelmässig im Betrieb mitarbeitende Personen wie Ehegatten und PartnerInnen.

Anträge für Klima, Tierwohl und zur Absatzförderung pflanzliche Produkte scheiterten an der Allianz von Schweizer Bauernverband und Wirtschaftsverbänden:

  • Ins Landwirtschaftsgesetz kommen weder ein Absenkpfad für Treibhausgase noch ein Ausbaupfad für mehr Tierwohl.
  • Forderungen bei der Absatzförderung für eine klima- und tierfreundliche Produktion kamen ebenfalls nicht durch.
  • Die Absatzförderung auf pflanzliche Produkte zu beschränken respektive abzuschaffen, scheiterten ebenso.
  • Produktionssicherheitsbeiträge für besonders klimafreundliche Betriebe sowie Gelder für die gezielte Förderung der Tiergesundheit wurden abgelehnt.
  • Der «Hörnerfranken» für die Haltung behornter Tiere wurde (nachdem er in den letzten Jahren von Nationalrat, Volk und Ständen abgelehnt wurde) als Zwängerei gebodigt.

Die Reaktionen auf die gestutzte Agrarpolitik AP22+ sind so kontrovers wie zuvor die Diskussionen

Im Nationalrat sorgte die Diskussion um die Agrarpolitik AP22+ für rote Köpfe und Zwischenrufe. Im zurückhaltenden Ständerat behielt man zwar die Contenance, aber auch in der kleinen Kammer waren die Diskussionen kontrovers. Entsprechend kontrovers sind nun auch die Reaktionen der relevanten Verbände.

Schweizer Bauernverband SBV: «Gute Entscheide bei der AP22+»

Wenig überraschend begrüsst der Schweizer Bauernverband SBV unter dem Titel «Gute Entscheide bei der AP22+» den Entscheid des Parlaments: «Die 20 Minderheitsanträge von links-grüner Seite hätten weitere einschränkende Auflagen zur Folge gehabt, die zu einer starken Verteuerung der Produktion geführt hätten.»

«Ab 2025 sind mit der AP22+ Massnahmen im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit vorgesehen, wie zum Beispiel eine Unterstützung für Ernteversicherungen, ein obligatorischer Sozialversicherungsschutz oder die Förderung der Digitalisierung. Weiter ist vorgesehen die beiden Programme Vernetzung und Landschaftsqualität zusammenzulegen, was den administrativen Aufwand längerfristig reduzieren soll.»

Bio Suisse: «Diese Chancen hat das Parlament verpasst»

Schon der trotzige Titel der Medienmitteilung «Bio Suisse übernimmt Verantwortung für ein Ernährungssystem mit Zukunft» verrät den Unmut des Dachverbandes der Schweizer Bio-Landwirtschaft: «Die Fakten liegen auf dem Tisch, der Handlungsbedarf ist bekannt. Trotzdem fehlt dem Parlament der Mut für eine notwendige Transformation von Landwirtschaft und Ernährung zum Schutz von Klima und Biodiversität.»

Besonders enttäuscht ist Bio Suisse von der Ablehnung des Aufbaupfad Tierwohl und des Absenkpfades Treibhausgase. «Die Anträge hätten eine realistische Klima- und Biodiversitäts-Politik sowie eine Weiterentwicklung des Tierwohls ermöglicht. Die nun beschlossene mutlose Agrarpolitik gilt bis mindestens zum Schlüsseljahr 2030.»

Dies gelte auch für die Ablehnung der Produktionssystem-Beiträge für besonders klimafreundliche Betriebe, auf die gerade Bio-Betriebe angewiesen seien.

Schweizer Tierschutz STS: «Mit dieser Mini-Agrarpolitik bleibt das Tierwohl auf der Strecke»

Der Schweizer Tierschutz STS kritisiert unter dem Schlagwort «Das Tierwohl bleibt auf der Strecke», der Nationalrat habe «das umfassende Reformpaket Agrarpolitik 2022+ auf ein Mini-Paket zusammengeschrumpft».

Mit dem Nein zum «Aufbaupfad Tierwohl» habe sich das Parlament gegen alle tierschutzrelevanten Punkte entschieden. «Nach den Beschlüssen des Nationalrates ist sogar zu befürchten, dass wesentliche Fortschritte in der Ausgestaltung der Tierwohlprogramme gefährdet sind», kritisiert der Tierschutz.

«Die Signalwirkung dieser Entscheidungen ist fatal, weil die Politik damit die Zukunft der Tierwohlförderung grundsätzlich in Frage stellt. Das ist problematisch für den Markt, weil der Absatz von Produkten aus tierfreundlichen Haltungssystemen derzeit stagniert und das Engagement der Marktakteure für Label- und Bio-Produkte deutlich zu gering ist.»

Wenigstens etwas Positives sieht der Schweizer Tierschutz: «Obwohl ein gewisser Widerspruch zu den ablehnenden Entscheiden des Nationalrates besteht, kann dessen Zustimmung zum Bundesrats-Bericht über die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik als kleiner Lichtblick gewertet werden, weil der Bundesrat darin ab 2030 die klima-, umwelt- und tierfreundliche Lebensmittelproduktion vermehrt fördern will.»

WWF, Greenpeace, BirdLife und Pro Natura: «Stillstand in der Agrarpolitik bis 2030»

Die Allianz der Umweltverbände WWF, Greenpeace, BirdLife und Pro Natura wirft dem Parlament in einer gemeinsamen Mitteilung mit dem dramatischen Titel «Stillstand in der Agrarpolitik bis 2030» vor, die Biodiversitäts- sowie die Klimakrise zu negieren, als ob sie nicht stattfinden würden – «doch Aussitzen taugt als Strategie wenig.»

«Die Debatte zur neuen Agrarpolitik AP22+ zeigt exemplarisch, wie man eine ausgewogene Botschaft des Bundesrates zerpflücken und auf ein absolutes Minimum reduzieren kann. Auf Druck der Agrarlobby hat der Bundesrat der Gesetzesgrundlage schon im Voraus sämtliche Zähne gezogen», klagt die Allianz der Umweltverbände.

Ein Rückgang der Bodenfruchtbarkeit und der Artenvielfalt wirke sich auch negativ auf landwirtschaftliche Erträge aus. «Mit dieser Stagnationspolitik kommt die Schweizer Landwirtschaft in Verzug, sich den Herausforderungen unserer Zeit anzupassen und ein resilientes Ernährungssystem aufzubauen. Ihre Positionierung am Markt wird so nur geschwächt.»