Kurz & bündig
- Ein selbst hergestelltes Mittel für die Zitzen war für die Familie Schmutz der Einstieg in die Phytotherapie.
- Heute behandeln sie mit den Arzneipflanzen häufig Verdauungsstörungen, leichtere Mastitiden, Milchstau und Blessuren.
- Ein wichtiges Einsatzgebiet ist auch die Zeit vor, während und nach der Geburt eines Kalbes.
- Fachliche Unterstützung erhält die Familie Schmutz durch die Drogistin und Tierheilpraktikerin Michelle Krügel.
- Durch die Anstrengungen im Bereich der Antibiotika-Reduktion wurden pflanzliche Wirkstoffe in jüngster Zeit wieder wichtiger.
Arzneipflanzen im Kuhstall sind im Trend: Die Familie Schmutz aus Utzigen BE behandelt damit fast alle Krankheiten ihrer Milchkühe und Kälber.
Landwirt Ruedi Schmutz ist fast fertig mit melken. Er spritzt mit einer Sprühflasche eine Tinktur an die Zitzen von Kuh Ladina und entlässt sie aus dem Melkstand.
Die Tinktur hat die Bäuerin Annemarie Schmutz selbst hergestellt. Sie besteht aus Thymian, Kamille und Glyzerin. «Die Kräuter wirken desinfizierend, das Glyzerin pflegt die Zitzen», erklärt Annemarie Schmutz. Die Familie Schmutz setzt seit über 10 Jahren auf die Heilkraft von Pflanzen.
Das Zitzen-Tauchmittel machte die Striche spröde und rissig
Der Auslöser war damals ein handelsübliches Zitzen-Tauchmittel. «Es war so aggressiv, dass die Striche der Kühe sehr spröde und rissig wurden», erinnert sich Ruedi Schmutz. In der Folge stellten sie selber ein Mittel her. Dieses setzen sie bis heute ein. Mittlerweile sind viele weitere Präparate dazugekommen.
Fachliche Unterstützung bei der Herstellung und der Anwendung von Heilkräutern erhält die Familie Schmutz durch Michelle Krügel. Sie ist Drogistin und Tierheilpraktikerin und unterstützt interessierte Landwirte, welche Arzneipflanzen bei ihren Kühen und Kälbern einsetzen wollen.
Hätte der Tierarzt den Viertel retten können?
Es sporne richtig an und mache Freude, erzählt Landwirt Schmutz, wenn mit den eigenen Kräutern eine Behandlung gut anschlage. Die Familie Schmutz ist sich einig, dass es Nerven, Vertrauen, Geduld und Zeit brauche.
Und obwohl sie sehr erfolgreich mit ihren Präparaten seien, gebe es natürlich auch Rückschläge. «Es kann sein, dass es einmal zu einem Viertel-Verlust kommt», sagt Schmutz.
Er frage sich dann, ob der Tierarzt das hätte verhindern können. Aber sicher sei das auch nicht. Annemarie und Ruedi Schmutz sind sich einig, dass es einfacher ist, den Tierarzt zu rufen, wenn es einem Tier nicht gut geht. «Damit gibt man aber die Verantwortung ab», sagt Ruedi Schmutz.
Ein gesundes junges Kalb schwänzelt, wenn es säuft
«Wenn man seine Tiere selber gesund pflegen will, muss man lernen, auf kleine Zeichen zu achten», sagt Michelle Krügel. «Das Auge und das Gespür entwickeln sich mit der Zeit. Man wird viel sensibler und reagiert dadurch viel früher».
Dazu hat Annemarie Schmutz ein kleines Beispiel: «Ein junges Kalb, das säuft, soll schwänzeln.» Mache es das nicht, könnte etwas im Busch sein.
Dann schauen sie bei diesem Kalb genauer hin. Was fehlt ihm? Was täte ihm gut? Stellt es die Haare auf? Hat es kalte Ohren? Sämtliche Kälber der Familie Schmutz bekommen das Pulver der Bockshornklee-Samen in die Milch gemischt. Es stärkt das Immunsystem, die Atemwege und das Verdauungssystem.
Bockshornklee-Samen ist eines der wenigen pflanzlichen Arzneimittel, das die Familie Schmutz nicht in der Region einsammeln kann. Auch Blutwurz und Frauenmantel, welches sie in grösseren Mengen brauchen, beziehen sie aus der Drogerie Lüthi in Münsingen.
Was Annemarie Schmutz in ihrem Garten oder in der Umgebung in rauen Mengen findet, sind Ringelblumen, Thymian, Wermut, Kamille, Salbei, Brennnesseln, Johanniskraut, Pfefferminze und Melisse.
Weniger Tierarzt-Kosten, dafür mehr Arbeits-Kosten
Bei einem Kreuzviertel oder bei einem Notfall ruft die Familie Schmutz sofort den Tierarzt. Aber abgesehen davon setzen sie voll auf Heilkräuter und Homöopathie.
Am häufigsten kommen die Kräuter bei Verdauungsstörungen, leichterer Mastitis, Milchstau, zur Unterstützung vor, während und nach der Geburt sowie bei Blessuren zum Einsatz.
Auf den ersten Blick mag es erscheinen, dass die Familie Schmutz durch den Einsatz der Heilpflanzen Kosten sparen kann. Annemarie Schmutz sagt aber, dass es eine Umverteilung sei.
Was sie weniger an Tierarzt-Kosten ausgebe, brauche sie als Zeit für die Herstellung der Präparate und für die meist aufwändigere Verabreichung. «Natürlich könnten wir sämtliche Kräuter in der Drogerie beziehen, aber die haben gerechtfertigterweise ihren Preis», sagt Annemarie Schmutz.
Unterstützung in der Phytotherapie erhalten die Eltern Schmutz auch von ihren Kindern. «Alle drei sind begeistert und helfen mit», sagt Annemarie Schmutz.
Tochter Deborah ist mit Leib und Seele Drogistin, Tochter Rosanna ist medizinische Praxisassistentin und sammelt in ihrer Freizeit gerne Arzneipflanzen. «Sie bringen geballtes Wissen und Ideen mit auf den Hof», sagt Annemarie Schmutz.
Der Jüngste wird Landwirt lernen. Auch er helfe aktiv mit. Auf die Frage, wie sie sich weiterbildet, lacht Annemarie Schmutz. Sie habe neben ihrem Bett einen grossen Stapel Bücher und besuche Kurse. Und durch ihre Arbeit bei der Spitex: Ältere Leute erzählen ihr oft von ihren Erfahrungen mit Heilpflanzen.
Die Phytotherapie ist eine Erfahrungs-Medizin
«Das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen ist ein uraltes Wissen», sagt Michelle Krügel. Viele volksmedizinische Anwendungen seien leider verloren gegangen.
«Im letzten Jahrhundert begann man mit dem Isolieren bestimmter Stoffe. Dabei nahm man Stoffe aus der Pflanze und baute diese synthetisch nach», erklärt Krügel.
Bestimmte Stoffe werden so plötzlich als sehr gefährlich eingestuft: Weil sie nicht mehr im Vielstoff-Gemisch der Pflanze vorkommen und isoliert auch wirklich gefährlich sind. Als Beispiel nennt sie die Wallwurz. «Sie wurde wegen der Pyrrolizidin-Alkaloide verteufelt», erklärt Krügel. «Dieser Wirkstoff ist giftig für die Leber. Aber äusserlich angewandt oder verdünnt war das nie ein Problem.»
Die Arznei-Pflanzen sind im Aufwind, bestätigt die Drogistin
Dass pflanzliche Wirkstoffe wieder wichtiger werden, ist laut Krügel in der Drogerie gut spürbar. «Es ist ein Wandel zu spüren», sagt sie. «Die Leute wollen wieder vermehrt zurück zur Natur. Sie schauen, was vor ihrem Haus wächst.»
Ein Beispiel sind Pferde. Noch vor ein paar Jahren hatte man mehrere Wirkstoffe, die gegen Würmer wirkten. «Heute braucht man nur noch wenige, weil es Medikamenten-Resistenzen gibt», sagt Krügel.
«Betriebe müssen sich heute um ein besseres Weide-Management Gedanken machen. Entwurmen könne man selektiv und sie setzen vermehrt auf pflanzliche Arzneimittel wie Thymian», erklärt Krügel. Pferde könne man in besonders heiklen Phasen mit Thymian füttern. «Sie haben dann markant weniger Darmparasiten, weil sich die Parasiten nicht gerne ansiedeln und vermehren», sagt Krügel.
«Mit Antibiotika laufen wir über kurz oder lang in dieselbe Problematik», ist Krügel überzeugt. «Durch die Anstrengungen im Bereich der Antibiotika-Reduktion wird die Heilpflanzenkunde wieder stärker zum Thema.»
Thymian wird zum Desinfizieren in Spitälern eingesetzt
Thymian hat ein starkes ätherisches Öl. Thymian und viele andere Pflanzen wehren sich immer wieder neu gegen schädliche Einflüsse, etwa Bakterien, Viren oder Pilze.
«Thymian ist eine Pflanze, die man mittlerweile auch in Spitälern zum Desinfizieren braucht», weiss Michelle Krügel.
Die schönsten Erfahrungen für die Familie Schmutz sind, wenn eine Kuh wieder gesund wird. «Zum Beispiel behandeln wir einen Viertel mit Eutersalbe und geben der Kuh dazu während mehreren Tagen einen Wermut-Kräutertee», erklärt Annemarie Schmutz. «Wenn sie dann nach etwa acht bis zehn Tagen wieder verkehrstaugliche Milch gibt, sind das sehr schöne Momente.»
Auch die Eutersalbe macht sie natürlich selbst. Es handelt sich um einen Basilikum- oder Pfefferminz-Melissen-Gel, den sie im Kühlschrank lagert.
Für die Drogistin Michelle Krügel ist die Familie Schmutz ein Parade-Beispiel, wie man Phytotherapie einsetzen kann. «Die Familie hat mit einfachen Sachen angefangen und sich über die Jahre ein umfassendes Wissen angeeignet», sagt Krügel.
Etwas vom wichtigsten sei, dass alle am selben Strang ziehen und von den Behandlungen überzeugt sind. «Ganz am Anfang war ich vielleicht ein ganz wenig skeptisch», gibt Ruedi Schmutz zu, «aber das verflog nach den ersten Erfolgen.» Heute sei er richtig angefressen, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.
Betriebsspiegel der Betriebsgemeinschaft Schmutz und Moser
Annemarie und Ruedi Schmutz mit Rosanna, Deborah, Jonathan, Familie Kurt und Irene Moser, Utzigen BE
LN: 39 ha, Bergzone 1
Bewirtschaftung: ÖLN
Betriebszweige: Milchwirtschaft silofrei, Ausmast der eigenen Kälber, Verkauf von Nutzvieh
Tierbestand: 46 Milchkühe RH, HO, SF, eigene Aufzucht, Mastkälber
Kulturen: Grünmais, Futterrüben, Futtergetreide, Grünland
Arbeitskräfte: Annemarie und Ruedi Schmutz, Kurt Moser, ein Lernender
Zur Person
Michelle Krügel ist Drogistin in der Drogerie Lüthi in Münsingen BE und hat sich zur Tierheilpraktikerin und Spagyrikerin weitergebildet. Sie coacht Landwirte mit Rindvieh, Pferde- und Hundehalter im Bereich Phytotherapie, Spagyrik und Homöopathie. Michelle Krügel gibt auch Kräuter-Kurse in der Drogerie und am Inforama.
Ihr Ehemann ist gelernter Landwirt. Sie haben drei Kinder.
«Ich bin eine Drogen-Händlerin», sagt Michelle Krügel mit einem Augenzwinkern. Die Droge steht für getrocknete, geschnittene Pflanzen oder deren Teile.