Vegn, buschi, vegn»: Mit seinen Kühen redet Nando Neuhäusler rätoromanisch. In Susch, dem 180-Seelen-Dorf im Unterengadin, ist das die Umgangssprache. Der 21-Jährige erklärt aber in fliessenden Bünderdialekt, welche Kuh welche Herkunft hat: «Dieses Jahr habe ich einige fremde Tiere in der Herde.» Seine Herde hätte die «Fremden» anfangs vertrieben. Mittlerweile ist die Rangordnung klar.

    340 ha gross ist die Alp Mustera, sie geht von 1700 m ü. M. hoch bis auf 2800 m ü M. «Hier schneit es auch mal im August», erzählt Neuhäusler. Die alten Kühe wüssten genau, wo die guten Verstecke seien und wie sie sicher durch den Wald ins Tal kämen.

    Olga, die älteste Kuh, ist 18 und weiss, wie das Leben auf der Alp läuft. «Sie lassen auch mal ihre frisch geborenen Kälber zwei Tage in einem Versteck und kommen dann, wenn das Euter voll ist.» Nando Neuhäusler mag es, seine Tiere zu beobachten, kann nicht verstehen, wieso im Volksmund von «blöden Kühen» die Rede ist.

    Seinen Betrieb kennt Young Farmer Nando Neuhäusler seit Kindesbeinen

    Seit dem 1. Januar 2019 ist Nando Neuhäusler Pächter: Peter und Edith Salutt haben ihn angefragt, ob er den Betrieb in Susch zuerst für zwölf Jahre pachten und dann kaufen möchte. Neuhäusler war eben aus Australien zurückgekehrt und stand vor der Durchdiener-Rekrutenschule. Zeit, sich das Angebot zu überlegen, hatte er als Soldat genug. Zudem war er mit Kollegen aus der Berufsschule im Militär und hatte so Diskussionspartner.

    Den Betrieb der Familie Salutt kennt er seit Kindesbeinen: Klein Nando war schon als Kindergärtler eher auf dem Bauernhof als im Haus anzutreffen. «Peter hat mir alles gezeigt und mich Traktor fahren lassen, sobald ich mit den Füssen auf die Pedale kam», erzählt er. Landwirt wollte Neuhäusler schon immer werden, obwohl seine Eltern nicht in der Landwirtschaft tätig sind. Bei Salutts hat er im Stall mitgearbeitet und die Alp kennen gelernt.

    Sein «Ja» zur Pacht war dann ein überzeugtes. «Meine Zukunft ist hier», sagt er. Den Bio-Betrieb mit den 50 Mutterkühen und den gut 40 Kälbern findet er perfekt für Susch: Er könne alles allein erledigen und die Bewirtschaftungsart sei der Gegend angepasst. «Meine Kühe fressen, was bei uns wächst. Kraftfutter bekommen sie nie.» Das halte die Tiere gesund, den Tierarzt hat er im Jahr 2019 noch nie gebraucht.

    Die Angus-Rinder von Nando Neuhäusler sind für die weitläufige Alp geeignet

    Neuhäusler hält Angus-Rinder und hat einen Stier in der Weide. Die Kühe kalben leicht und selbstständig ab, zum Teil auch auf der Alp. «Bei einem Rind bin ich nach Möglichkeit dabei, wenn es kalbt. Aber ich greife nur im Notfall ein, die Natur regelt das», ist er überzeugt. Nach der Geburt lässt er die Tiere konsequent einen halben Tag in Ruhe bei ihren Müttern. Danach kontrolliert er die Kälber, markiert sie und kastriert die Stierkälber. Die Angus-Kälber bleiben 10 Monate bei den Müttern, dann gehen die einen Tiere als Natura Beef in den Schlachthof, die anderen als Mastremonten auf andere Betriebe.

    Andere Betriebszweige will Neuhäusler nicht, Ackerbau findet er für die Lage ungünstig: «Obwohl hier früher Gerste angebaut wurde, auch von meinem Verpächter.»

    Nando Neuhäusler hat bewusst ein Lehrjahr im Unterland absolviert

    Sein zweites Lehrjahr hat er im Kanton Thurgau auf einem grossen Ackerbau-Betrieb absolviert. Ganz bewusst weit weg von daheim, weil er erleben wollte, wie Ackerbau funktioniert. «Es hat mir sehr gefallen – nur der Nebel war ungewohnt», sagt er.

    «Und manchmal hat der Chef über meine Zukunft als Bündner Bio-Bergbauer Sprüche gemacht.» Der Betrieb in Rheinklingen sei konventionell geführt worden, als «Vollgas-Landwirtschaft», wie es Nando Neuhäusler nennt. «Im Frühling hab ich meinen Lehrmeister besucht und nicht schlecht gestaunt, als er mir erzählt hat, dass er auf Bio umstellt», sagt er und lacht.

    Im Winter packt Nando Neuhäusler die Betriebsleiterschule an

    Neuhäusler ist ein neugieriger Mensch, der gern diskutiert. Im Winter 2019 packt er am Plantahof in Landquart die Betriebsleiterschule an. Er kann sich gut vorstellen, auch den Abschluss als Meisterlandwirt zu machen. «In der Oberstufe war ich ein Schlitzohr», erzählt er. Als er den Lehrvertrag im Sack hatte, hätte ihn der Unterricht kaum mehr interessiert – vor allem nicht, wenn schönes Heu-Wetter war. Doch als seine Eltern ihm Bauernhof-Verbot erteilen wollten, damit er sich auf die Schule konzentrieren könne, antwortete er, dass er dann einfach nicht mehr zur Schule gehe.

    Nun freut er sich auf seine höhere Berufsbildung, will in den zwei Jahren an der Betriebsleiterschule sein Wissen auffrischen und Neues lernen. «Das wird mich ein Leben lang weitertragen», sagt er.

    Einen Lehrling wolle er vermutlich nicht: «Der Betrieb ist ideal für eine Person», findet er. «Wenn ich aber eine Frau finden würde, die mitarbeiten möchte, würde ich auch auswärts arbeiten», sagt er. Zwingen würde er seine Partnerin auf keinen Fall, auf dem Betrieb mitzuarbeiten.

    Nando Neuhäusler war von der Offenheit der Menschen in Australien

    Direkt nach der Lehre war Nando Neuhäusler mit einem Kollegen aus der Berufsschule für drei Monate in Australien. Das Interesse daran geweckt hat ein Vortrag von Agroverde am Plantahof. «Die Bilder und Videos und die Erzählungen von Leuten, die einen Aufenthalt gemacht haben, haben mir gefallen.»

    Die zwei Bündner haben sich sofort angemeldet und hatten im Anschluss ein Vorstellungsgespräch in Bergdietikon. Eigentlich wollten die beiden fix auf einen Betrieb und Mähdrescher fahren. «Am Ende sind wir mit einem Touristenvisum eingereist», erinnert er sich. «Mit null Plan.»

    Klar sei den beiden gewesen, dass sie in Perth landen und in Sidney wieder nach Hause fliegen. Die Reise sei abenteuerlich gewesen, in einem Auto, das sie am Ende auf dem Schrottplatz verkauft haben. «Wir sind vier, fünf Tage gefahren, haben ab und zu einen Lastwagen gesehen – sonst nur Kängurus», erzählt er. Die Städte an der «Goldküste» seien ihm fast zu europäisch gewesen, spannender habe er Eisenerz-Minen und Museen mit alten Landmaschinen gefunden.

    Zum Mähdrescher-Fahren kamen die beiden jungen Landwirte dann doch noch: «Die Leute in Australien sind extrem offen. Landwirte aus der Schweiz stellen sie mit Handkuss ein», sagt er.

    Auf einem Betrieb hätten sie nach Arbeit gegen Kost und Logis gefragt. Eine Stunde später fand sich Nando Neuhäusler mit Lunchbox und Funkgerät in einem Mähdrescher wieder – die Schicht dauerte 17 Stunden. «Danach war ich platt», sagt er.

    Die langen Schichten und die Hitze sind ihm im Gedächtnis geblieben, aber auch die Hilfsbereitschaft der Australier und ihre Art, nicht dauernd auf die Uhr zu schauen. «Davon hab ich aber nichts in die Schweiz mitgenommen», sagt er selbstkritisch.

    Während der Hochjagd packt auch Nicht-Jäger Neuhäusler an

    Nando Neuhäusler nimmt sich zwar viel Zeit, wenn er auf der Alp nach seinen Kühen schaut. Sind diese auf der oberen Alp, braucht er gut zwei Stunden ab Susch. Das stört ihn nicht. Und einen schönen Tag nutzt er auch mal, um noch auf einen Berg zu steigen. Aber eigentlich will er sich an seinen Zeitplan halten und stets aktiv sein. Deshalb wäre auch die Jagd nichts für ihn, obwohl Vater und Bruder aktive Jäger sind: «Das ist mir zu langweilig, die meiste Zeit wartet ein Jäger einfach.» Ganz um die Jagd herum kommt im Herbst aber kein Bündner und schon gar keiner mit einem Pick-Up wie Nando Neuhäusler: Als ihn «die grüne» besucht steht als erstes «Hirsch abholen» auf dem Programm. Zu guter Letzt ist die Jagdbeute dann noch nicht am Wegrand bereit und Neuhäusler kümmert sich am Nachmittag darum.

    Seine Kollegen und seine Hobbies sind ihm wichtig: Aktiv ist er im Treichel-Klub und in der Jungmannschaft. Diese veranstaltet Feste und Ausflüge, zum Beispiel an die «Tier und Technik» in St. Gallen. Zudem ist es Tradition, dass die Jungmannschaft einen Kranz aus Tannenreisig flicht und damit die Kirche schmückt, wenn ein Mitglied heiratet.

    Im Winter fährt er Ski und geht auf Skitouren oder betreibt Langlauf. Im Sommer wandert er und steigt auf Berge. Was nicht zu kurz kommen darf, ist der Kontakt zu Kollegen und der Ausgang. Und meist trinkt Neuhäusler am Vormittag in der Dorfbeiz einen Kaffee: «Da scheue ich mich dann auch nicht, offen und ehrlich meine Meinung zu sagen.»

    «Wir Landwirte wollen niemanden vergiften»

    So ruhig und freundlich Nando Neuhäusler im Gespräch ist, so deutlich wird er, wenn ihm etwas nicht passt. Er hofft, dass es mit der Landwirtschaft in der Schweiz wieder bergauf gehe und die Menschen begreifen, dass die Landwirte etwas zum Lebensunterhalt beitragen und nicht vorhätten, die Bevölkerung zu vergiften. Zu denken gibt ihm die Abwanderung aus seinem Heimatdorf: Wer eine Lehre in Chur mache, komme kaum mehr zurück. «Das Leben hier geht retour», sagt er nachdenklich. Früher habe es 28 Landwirte in Susch gegeben, nun sind es noch zwei.

    Die Verpächter sind froh, hat Nando Neuhäusler übernommen

    Nando Neuhäusler bleibt, das ist für ihn klar. In seinem Elternhaus zieht er gerade in die frisch umgebaute Ferienwohnung. Spätestens in zwölf Jahren wird er ins Haus von Salutts ziehen, direkt neben seine Kühe. Verpächter Peter Salutt kann sich schon jetzt vorstellen, das Tal zu verlassen und zum Beispiel nach Wien zu ziehen. Dort hat ihr Sohn Architektur studiert. Edith Salutt ist zwölf Jahre jünger als ihr Mann. Die Tirolerin will noch etwas in Susch bleiben – «sie ist der Chef», sagt Peter Salutt und lacht. Er ist dankbar, dass Nando Neuhäusler den Betrieb übernommen hat. Geplant war, noch einige Jahre zu arbeiten und den Betrieb an Nando Neuhäusler zu übergeben, wenn dieser Mitte Zwanzig, Anfang Dreissig ist.

    «Doch plötzlich hatte ich überhaupt keine Lust mehr», sagt Peter Salutt. Dazu kamen drei Bandscheibenvorfälle bei seiner Frau. «Unsere Kinder haben kein Interesse am Betrieb. Es war nur logisch, dass wir Nando fragen.» Mehrmals betonen beide, dass diese Lösung der «Sechser im Lotto» sei. Peter Salutt ist in einem kleinen Pensum bei Nando Neuhäusler angestellt. «Ich habe gern abgegeben», sagt er.

    Verpächter Peter Salutt gibt sein Wissen gern weiter und hilft

    Nun hilft Peter Salutt, wenn er gefragt wird und gibt sein Wissen weiter. So lehrt er Nando Neuhäusler etwa, wie eine Sense fachgerecht geschärft wird. «Ich wollte keinen dieser Trimmer», sagt er. Peter Salutt schwärmt von der Zeit zwischen 1970 und 1995: «Da konnte ich wirklich unternehmerisch wirtschaften.»

    Anfang der 90er haben sie den Betrieb auf bio umgestellt: «Obwohl wir auch vorher nur eigenes Futter fütterten», betont er. Und 1999 haben er und seine Frau die Milchkontingente verkauft und auf Mutterkühe umgestellt. Dass Neuhäusler nun den Betrieb in seinem Sinn weiterführt, freut ihn.

    Und wenn dieser die Betriebsleiterschule besucht, wird Peter Salutt ihn im Stall vertreten. «Das ist super so – Peter freut sich nämlich, all seine Kühe wieder zu sehen», sagt Neuhäusler.

    Betriebsspiegel Nando Neuhäusler

    Nando Neuhäusler, Susch GR

    LN: 50 ha Bergzone 3, 340 ha Alp Mustera (1700 m ü. M. bis 2800 m ü. M.)

    Produktionsform: Bio

    Kulturen: Natur- und Kunstwiese

    Tierbestand: 50 Mutterkühe, 40 Kälber

    Betriebszweige: Angus Natura-Beef, Mastremonten

    Arbeitskräfte: Nando Neuhäusler, Verpächter Peter Salutt

    Kurz & bündig

    • Nando Neuhäusler führt in Susch GR einen Pachtbetrieb, der er in zwölf Jahren übernehmen kann.
    • Nach der Lehre war er drei Monate in Australien.
    • Seine Zukunft sieht er in Susch, deshalb beginnt er im Winter die Betriebsleiterschule am Plantahof in Landquart GR.

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