Schweinefleisch aus der Schweiz enthält kein Antibiotika. Trotzdem propagiert die Marke «Porco Sano» neu «Schweinefleisch ohne Antibiotika». Das führt zu einer kontroversen Diskussion im «AgrarTalk» vom Landwirtschafts-Magazin «die grüne».

 

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Im «AgrarTalk» über Schweinehaltung ohne Antibiotika und «Porco Sano» diskutieren:

Das Gespräch leitet Peter Spring (Stv. Direktor BFH-HAFL, Leiter der Abteilung Agronomie und Dozent für Schweinefütterung).

Peter Spring (Gesprächsleiter): Michael Knoch, Sie haben mit «Porco Sano» eine neue Marke lanciert. Was ist die Innovation und wie positionieren Sie «Porco Sano»?

Michael Knoch (Porco Sano): Hinter der Marke stehen die Futtermittelfirma Utro Fikovit AG in Rotkreuz ZG und Schweizer Schweinezüchter, die bereit sind, mit uns einen neuen Weg zu gehen. Schweinezüchter, die über Fütterung und Management ständig an der Verbesserung unseres Produktions-Zyklogramms sind.

Wir wollen die Tiere nicht mehr krank werden lassen. Die Schweiz ist heute ein Schweine-Paradies. Wir haben in der Schweinehaltung weltweit den höchsten Gesundheits-Status. Durch die reglementierten Betriebsgrössen ist es ohne grossen Aufwand möglich, diese Leistung zu vollbringen.

Weil über 95 Prozent der Betriebsleiter in der Schweizer Schweineproduktion auch Eigentümer sind, macht es die Sache noch einmal etwas einfacher.

Meinrad Pfister, Sie sind Suisseporcs-Zentralpräsident. Wie beurteilen Sie die Marke «Porco Sano»? Oder provokativ gefragt: Wieso hat der Verband der Schweizer Schweinezüchter und Schweineproduzenten nicht selber etwas in diese Richtung lanciert?

Meinrad Pfister (Suisseporcs): Wir brauchen dringend Innovationen in der Schweinehaltung. Und ich begrüsse es, wenn auch Firmen wie die Utro Fikovit AG, die hinter der Marke «Porco Sano» steht, Innovation in die Branche bringen.

Ganz anderer Meinung bin ich aber beim Thema Schweinegesundheit. Suisseporcs und Qualiporc haben schon 2018 die SuisSano- und Safety Plus-Gesundheitsprogramme lanciert. Diese Tiergesundheits-Programme auf hohem Level sollten wir gemeinsam fördern – und nicht mit Eigenmarken konkurrenzieren.

Dazu kommt, dass «antibiotikafreies Fleisch» im Schweizer Markt eine komplett falsche Bezeichnung ist. «Porco Sano» suggeriert damit, dass alles andere Schweizer Schweinefleisch Antibiotika-Rückstände enthält. Und das stimmt nicht.

Patricia Scheer, als Tierärztin sind Sie in vielen Betrieben tätig. Ist es für Sie relevant, mit welchem System Sie arbeiten und beraten? Mit den SuisSano- und Safety Plus-Gesundheitsprogrammen oder mit «Porco Sano»?

Patricia Scheer (Gesellschaft Schweizer Tierärzte GST/SVSM): Ich glaube, das Wichtigste für die Produzenten, für uns Tierärzte und für die Konsumenten ist, dass es den Tieren gut geht. Die Tiergesundheit muss optimal sein.

Auch im besten System gibt es kranke Tiere. Die Frage ist, wie geht der «Porco Sano»-Produzent mit diesen kranken Tieren um? Weil es einen hohen Wertverlust gibt, könnte ein Produzent die kranken Tiere ohne Antibiotika-Behandlung im Bestand lassen mit der Begründung: «Vielleicht geht es ja noch gut.»

Bei «Porco Sano» müsste es deshalb eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Bestandes-Tierarzt geben, der dafür verantwortlich ist, dass die Tiergesundheit und das Tierwohl an erster Stelle stehen.

Wir haben in der Schweiz schon ein Dutzend Label für Schweinefleisch. Jetzt haben wir mit «Porco Sano» neu auch eine Marke. Michael Knoch, wo ist noch eine Nische frei? Wie positionieren Sie die Marke «Porco Sano» im gesättigten und dynamischen Markt?

Michael Knoch: Bei «Porco Sano» lassen wir die Tiere nicht mehr krank werden. Und wenn doch einmal ein Tier krank wird, analysieren wir jeden Abschnitt im Produktions-Zyklogramm und optimieren danach diesen Abschnitt.

Wenn wir zum Beispiel zu klein geborene oder schwache Ferkel haben oder zu grosse Würfe, dann verfolgen wir unterschiedliche Ansätze. Entweder füttern wir sie zu oder wir nehmen die Ferkel mit vier bis sechs Tagen weg und ziehen sie ohne Mutter auf. Und wir verbessern in jedem Fall noch einmal die Fütterung.

Wo ist da die Differenzierung? Meinrad Pfister, als Suisseporcs-Zentralpräsident, der einen Label-Betrieb mit rund 100 Muttersauen und 500 Mastplätzen führt, halten Sie ihre Schweine doch nach den gleichen Prinzipien?

Meinrad Pfister: Richtig, deshalb sehe ich bei «Porco Sano» keinen neuen Ansatz. Das entspricht dem Schweizer Tierschutzgesetz, das ist gute Schweizer Praxis, das haben wir alle schon.

Wenn eine Firma diesen Normalzustand mit ihrer neuen Marke als Innovation verkauft, ist das komplett der falsche Ansatz. Weil danach alle anderen Produzenten den Konsumenten erklären müssen, dass in ihrem Fleisch keine Antibiotika-Rückstände sind.

Michael Knoch: Der Unterschied ist, dass sich die Schweizer Labels auf den Schweizer Tierschutz abstützen. Und dieser definiert sich in der Schweinehaltung hauptsächlich in drei Punkten: Grössere Bewegungsfreiheit, Strohangebot und Auslauf.

«Porco Sano» geht aber weiter. Wir lassen die Tiere nicht krank werden, indem wir den Schwerpunkt auf die Fütterung legen. Das Hauptproblem bei kranken Schweinen ist ja meistens die Fütterung und das Management.

In der Schweiz haben wir es einfacher als in vielen anderen Ländern, weil wir keine Schweine-Seuchen haben. Die Tiere sind also nicht vorbelastet.

Patricia Scheer: Die Aussage, dass wir in der Schweiz keine sogenannten Schweine-Seuchen haben, bereitet mir als Tierärztin Mühe. In Deutschland und Frankreich haben sie auch keine hochansteckenden Tierseuchen.

Wir haben in der Schweiz kein PRRS, kein EP und keine klinische APP, sonst aber die gleichen Schweine-Krankheiten wie im Ausland.

Michael Knoch: Natürlich gibt es auch in einem «Porco Sano»-Betrieb Krankheiten. Und es kann geschehen, dass eine Sau aufschreckt und ein Ferkel verletzt. Das Ferkel muss dann behandelt werden, kriegt eine Ohrmarke und ist damit raus aus dem «Porco Sano»-Programm. Es geht in den normalen Kanal.

Wie muss ich mir jetzt das vorstellen? In welchen Kanal?

Michael Knoch: Ganz normal.

Was heisst ganz normal? Sie haben einen Abnehmer, der unbehandelte und behandelte Tiere in verschiedene Kanäle schickt?

Michael Knoch: (lässt die Frage unbeantwortet) Wenn eine Krankheit vorkommt, dann muss der Betriebsleiter das dokumentieren. Dann untersuchen wir das. Weil wir nicht nur die Wirkung bekämpfen, sondern die Ursache erkennen wollen. Aber wir müssen praktisch nichts behandeln, weil wir die Tiere nicht krank werden lassen.

Meinrad Pfister: Ich kann Ihnen nicht glauben, wenn Sie sagen, Sie müssten praktisch nichts behandeln. Ich führe selbst einen geschlossenen Betrieb mit 100 Muttersauen und 500 Mastplätzen, wenig Tierverkehr. Das sind eigentlich die besten Voraussetzungen.

Im Vergleich zu anderen Betrieben habe ich deshalb einen sehr tiefen Antibiotika-Einsatz. Aber ich würde nie behaupten: Bei uns müssen wir keine Saugferkel behandeln.

Eine Krankheit kann ich nie ausschliessen. Und dann müssen wir ein Tier behandeln. Dazu verpflichtet uns das Tierschutzgesetz. Und zwar mit dem richtigen Medikament. Dafür haben wir den Bestandes-Tierarzt an der Seite, der uns professionell berät.

Patricia Scheer: Auch in einem erstklassig geführten Betrieb kommt es zu Krankheiten, die man behandeln muss. Auch mit Antibiotika. Wenn die Begleitung durch den Bestandes-Tierarzt sehr gut ist, braucht es aber sehr wenig Antibiotika. Jeder Tierarzt setzt alles daran, Antibiotika so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig einzusetzen.

Wenn bei «Porco Sano» Tiere behandelt werden müssen. Was passiert dann? Scheiden die aus?

Michael Knoch: Die werden natürlich behandelt. Sie bleiben im Bestand, sie müssen aber aus dem «Porco Sano»-Programm raus.

Patricia Scheer: Damit wird aber der Konsument getäuscht, dem «Porco Sano» ausdrücklich «keine Antibiotika» verspricht.

Michael Knoch: Wir sind transparent. Wir täuschen niemanden. Wir sagen dem Konsumenten nur, dass wir bei «Porco Sano» die Tiere nicht krank werden lassen.

Eine ganz andere Frage: Wie viele Betriebe hat das «Porco Sano»-Programm in der Schweiz?

Michael Knoch: Wir haben acht Betriebe. «Porco Sano» ist ein Nischenprodukt und wird eines bleiben, weil die Ansprüche so hoch sind.

Mich überrascht, dass bei «Porco Sano» keine präventiven Impfungen gemacht werden. Ist das wegen den Impfgegnern?

Michael Knoch: Die Idee kam von den Züchtern, die im geschlossenen Betrieb seit Jahren keine Impfstoffe benötigten. Und wenn sie keine Impfstoffe brauchen, kann man die Impfungen auch gleich aus dem «Porco Sano»-Programm ausschliessen.

Patricia Scheer, soll man Impfungen aus einem Programm auszuschliessen? Oder müsste man die Option offen lassen?

Patricia Scheer: Ich kenne geschlossene Betriebe, die ohne Impfungen auskommen. Im geschlossenen System mag das super sein. Aber wenn Tiere verkauft werden, ist das ein Problem. Und langfristig ist das eine Zeitbombe: Wenn im nicht geimpften Bestand doch einmal eine Krankheit ausbricht, dann gibt es massive Verluste.

Und deshalb bin ich der Meinung: Impfung ist die beste Prophylaxe. Das ist sicher ein finanzieller Punkt. Aber für das Tier und dessen Gesundheit ist es ein wichtiger Punkt.

Michael Knoch: Circo und Lawsonia intracellularis sind ernährungsspezifische Probleme, da haben wir überhaupt keine Probleme. Bei Rotlauf dagegen gibt es überhaupt keine Diskussion. Diese Impfung ist im «Porco Sano»-Programm drin. Wenn wir die Notwendigkeit erkennen, dann impfen wir zum Wohle der Tiere. Wir wollen die Tiere ja nicht krank werden lassen.

Wenn man die «Spielregeln» zum Impfen bei Bedarf ändert, was bedeutet das?

Meinrad Pfister: Impfungen macht man präventiv. Ich kann doch nicht erst dann impfen, wenn ich eine Krankheit habe in meinem Betrieb. Das ist unverantwortlich.

Man kann eine gewisse Zeit ohne Impfungen leben, das funktioniert. Aber wehe, es geht mal ein Ferkel in den Verkauf und kommt in einen anderen Stall …

Für mich ist «Porco Sano» eben doch eine Täuschung des Konsumenten. Je länger wir hier nachfragen, desto mehr kommt raus: Doch, wenn ein Tier krank wird, dann behandeln wir es. Und darum sage ich: Der Begriff «antibiotikafreies Fleisch» ist komplett falsch.

Ich möchte das Thema weiter öffnen: In den letzten zehn Jahren konnten wir in der Schweizer Nutztierhaltung die Antibiotika-Menge halbieren. In der Human-Medizin ist der Verbrauch konstant hoch. Dort passiert wenig. Wird die Nutztier-Produktion in zehn Jahren gar nicht mehr im Fokus der Antibiotika-Diskussion stehen?

Patricia Scheer: Antibiotika wird es in der Nutztier-Haltung immer geben. Als Tierärztin hoffe ich natürlich, auf einem möglichst tiefen Level. Aber es ist ganz klar: Kranke Tiere müssen wir zum Wohle des Tieres wie auch aus ethischen Gründen behandeln.

Den Ansatz von «Porco Sano», Fütterung und Management zu optimieren, damit die Tiere gesund bleiben, finde ich super. Schade nur, dass die Marke sich als «antibiotikafreies Fleisch» verkauft. Es wäre gegenüber den Konsumenten ehrlicher, wenn sie «gesunde Tiere» verkaufen würden.

In der Nutztierhaltung geht es am Schluss immer ums Geld. Produzenten, Konsumenten und die Marke «Porco Sano» müssen einen Mehrwert haben. Was erhalten «Porco Sano»-Produzenten heute mehr für ein Kilo Schlachtgewicht?

Michael Knoch: Der Mehrwert liegt bei 1 Franken pro Kilo, geschlachtet am Haken.

Zum Schluss werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wo steht die Schweizer Schweineproduktion in zehn Jahren? Wie wird dann der Markt aussehen? Werden wir immer noch ein Dutzend Labels haben? Und ein paar Marken dazu? Welche Rolle spielen dann Antibiotika?

Patricia Scheer: Zehn Jahre ist aus Sicht der Tiermedizin ein relativ kurzer Zeitrahmen. Man kann mit Präventiv-Massnahmen auf vielen Betrieben noch sehr viel verbessern. Und wir können sicher den Antibiotika-Einsatz noch weiter senken.

Dabei helfen uns die Gesundheitsprogramme und das Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin (IS-ABV) vom Bund, das Antibiotika-Ströme aufzeichnet.

Aber ein Null-Antibiotika-Schwein möchte ich eigentlich gar nicht haben, weil es für mich als Tierärztin vom Tierwohl her nicht vertretbar ist.

Wo steht die Marke «Porco Sano» in zehn Jahren?

Michael Knoch: Das ist heute schwer zu sagen. Wir werden auf jeden Fall weitermachen und die Messlatte oben behalten. Und wir werden alles tun für das Tierwohl. Die Tiere sollen nicht krank werden.

Suisseporcs hat mit SuisSano ein eigenes Programm. Meinrad Pfister, wo wird das in zehn Jahren stehen?

Meinrad Pfister: In der Schweiz haben wir den Antibiotika-Einsatz schon halbiert. Mit den SuisSano- und Safety Plus-Gesundheitsprogrammen wird der Antibiotika-Einsatz noch einmal massiv gesenkt.

Aber wir werden auch in zehn Jahren noch Antibiotika einsetzen müssen – im richtigen Masse und zum richtigen Zeitpunkt. Das sind wir den Tieren schuldig.

Deswegen gibt es aber im Schweizer Schweinefleisch keine Antibiotika-Rückstände. Das zeigt das jährlich durchgeführte Nationale Fremdstoff-Untersuchungsprogram.

Wenn bei «Porco Sano» in der ganzen Schweiz acht Betriebe mitmachen, dann ist das schön und gut – aber es bringt uns nicht weiter.

Im Gegensatz zu den SuisSano- und Safety Plus-Gesundheitsprogrammen. Diese müssen möglichst schnell eine möglichst hohe Abdeckung haben. Wenn die Anschub-Finanzierung im April 2021 ausläuft, kommen deren Kriterien in die Richtlinien vom QM Schweizerfleisch. Und dann haben wir 98 Prozent Abdeckung. Das kann man den Konsumenten mit gutem Gewissen erklären.

Gegen Innovation habe ich nichts, aber der Begriff «antibiotikafrei» gehört für mich gestrichen. Wenn «Porco Sano» «gesunde Tiere» verkauft, habe ich nichts dagegen. Aber Antibiotika ist das falsche Thema, um sich zu profilieren.

Zusammenfassend sehe ich, dass wir grosse Differenzen darin haben, wie sich «Porco Sano» positioniert. Aber in einem Punkt sind wir uns einig: Die Tiergesundheit in der Schweizer Schweinehaltung hat grosse Fortschritte gemacht.

Und was mich positiv stimmt: In der Schweiz wird der Einsatz von Medikamenten – insbesondere von Antibiotika – in der Nutztier-Haltung durch ein professionelleres Management und Verbesserungen in den Produktionssystemen in
den nächsten Jahren weiter stark reduziert. 

 

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Die Diskussionssendung «AgrarTalk» wurde zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächsteilnehmern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und wenn notwendig gekürzt.