Kurz & bündig
- Moderne Technik erleichtert die Beobachtung und Überwachung im Milchviehstall.
- Die enormen Datenmengen, die durch zahlreiche Sensoren anfallen, müssen zunächst gebündelt und dann strukturiert verarbeitet werden.
- Künstliche Intelligenz leitet daraus konkrete Handlungsempfehlungen ab, die dem Landwirt übers Tablet oder Smartphone zur Verfügung gestellt werden.
Der Landwirt wird zukünftig nicht nur als Herdenmanager, sondern auch als Datenmanager tätig sein», stellt Uwe Mohr klar. Mohr ist Leiter der Tierhaltungsschule am Agrarbildungszentrum Triesdorf in Bayern. An der HAFL-Veranstaltung «Brennpunkt Wiederkäuer» zeigt er den Weg zum Milchviehstall 4.0. anhand der Entwicklung und Praxiserfahrung mit den zahlreichen Digitalisierungs-Bestrebungen des Agrarbildungszentrums auf.Die Modernisierung der dortigen Milchviehhaltung begann 2010 mit dem Bau eines neuen Stalles. Insgesamt 135 Fleckvieh-Milchkühe werden dort derzeit in einer Melkroboter- und Melkstandherde gehalten. Digitalisierung spielt im aktuellen Lehrplan der landwirtschaftlichen Ausbildung eine grosse Rolle.
Aber auch Arbeitskreise für Landwirte und Landwirtinnen sowie Maschinenringe bilden sich in Triesdorf im Bereich der Digitalisierung fort. Vor mehr als zehn Jahren weckte die «behangene Kuh», ausgestattet mit allerlei Technik, im Zuge eines damaligen Vortrages das Interesse der Tierhaltungsschule in Triesdorf. Sie diente fortan als Leitschnur für die betriebliche Entwicklung.
Sensor- und Managementdaten für den Milchviehstall 4.0
In groben Zügen beschreibt Uwe Mohr den Weg zum digitalen Milchviehstall zunächst als Vernetzung von Sensor- und Managementdaten am und im Tier. Die gebündelten Daten werden im nächsten Schritt durch Expertensysteme mit künstlicher Intelligenz verarbeitet. «Daraus muss etwas resultieren, dass uns Landwirten etwas bringt», erklärt der Experte den nächsten und wichtigsten Schritt. Aus den Datenmengen müssen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten lassen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.
Digitale Helfer sollen 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche unangenehme Tätigkeiten erledigen. Sie übernehmen die Tierkontrolle und machen Beobachtungen. Somit erleichtern sie das Management und die Dokumentation. Nicht zuletzt sparen sie so Arbeitszeit und schaffen Freiräume für den Landwirt. Und jetzt kommt das Aber: Wenn eine Technik neu ist, besteht laut Uwe Mohr auch immer die Gefahr, dass sich diese «Hilfe» in die Gegenrichtung orientiert.
Dies passiert, wenn die neue Technik:
- neue Aufgaben oder nur scheinbare Erleichterungen schafft,
- wenn unzuverlässige oder ungenaue Ergebnisse geliefert werden,
- wenn die Wirtschaftlichkeit darunter leidet,
- oder der Landwirt plötzlich von der Technik abhängig ist.
«Fatal ist, wenn der Landwirt durch technische Geräte den eigenen Blick auf die Tiere verliert», warnt der Leiter der Tierhaltungsschule. Er blickt auf eine zehnjährige Praxiserfahrung mit zahlreichen Gerätschaften zurück.
Die Praxiserprobung: Was hat sich bisher bewährt?
Der Melkroboter
Ein technischer Helfer, der den Betrieb in Triesdorf bereits seit vielen Jahren begleitet, ist der Melkroboter. Er gibt mit einer Vielzahl von Messdaten Informationen zu Milchqualität, Eutergesundheit und Tiergesundheit allgemein. Bei moderneren Geräten sind ebenfalls Sensoren integriert, die Messungen zu Lärmpegel und Energieverbrauch liefern, und somit auch einen Überblick über die Ressourcennutzung bieten.
Zu der Vernetzung der unterschiedlichen, vom Melkroboter gemessenen Parameter, gibt Uwe Mohr das Beispiel einer Kuh auf dem Betrieb, bei welcher mehrere Parameter plötzlich rückläufig waren. Der Melkroboter stellte einen Milchrückgang, einen Gewichtsverlust, einen Rückgang der Wiederkau-Aktivität sowie ein verändertes Fett-Eiweiss-Verhältnis fest.
Dazu kam, dass die Kuh längere Zeit abwesend war. Diese Parameter bewertete der Melkroboter und errechnete daraus einen Krankheitswert (von 0 = kerngesund bis 100 = akut krank). Der Roboter übermittelte dem Landwirt die Nachricht, dass bei dieser Kuh Handlungsbedarf besteht.
Durch diese standardisierte Bewertung unterschiedlicher Parameter durch den Melkroboter erhält der Landwirt die Möglichkeit, Problembereiche früher oder sicherer zu erkennen. Tiere können so frühzeitig behandelt werden, auch wenn äusserlich noch keine krankheitsbedingte Verhaltensabweichung erkennbar ist. «Tiere können so vor grösserem Schaden bewahrt werden», sagt Uwe Mohr.
Das Heatime-Halsband
Auch die zuverlässige Brunsterkennung spielt eine grosse Rolle im Milchviehstall 4.0. Für die Tierhaltungsschule Triesdorf hat sich das halsbandbasierte «Heatime» als Goldstandard erwiesen.
Messdaten zu Bewegung und Wiederkau-Aktivität liefern bei diesem System die besten Brunsterkennungs-Möglichkeiten, welche sich in der Praxis als sehr zuverlässig herausgestellt haben. Durch ein Software-Interface wird dem Landwirt auf dem Tablet ein Überblick über die Brunstsituation seiner Kühe gegeben.
Die Smartbow-Ohrmarke
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2015 wurden in Triesdorf Aktivitäts- und Wiederkaumessungen auch durch die Smartbow-Ohrmarke getestet, welche bei 30 Kühen eingesetzt wurden. Leider waren nach einem Jahr nur noch vier Ohrmarken übrig, berichtet Uwe Mohr. Diese Technik war für die Tierhaltungsschule nicht sehr erfolgreich. Sie wurde aufgrund der hohen Ohrmarkenverluste nicht weitergeführt.
Der Bolus im Magen
Dass die «behangene Kuh» auch einen Bolus im Magen trägt, ist selbstverständlich. Dieser dient der Fruchtbarkeitsüberwachung sowie der Prüfung der Wasseraufnahme, der Pansenaktivität und des Gesundheitsmonitorings (zum Beispiel durch die Messung der Körpertemperatur).
Auch der pH-Wert wird überwacht und gemeinsam mit den Daten der anderen Parameter über eine im Stall montierte Basisstation an den PC oder das Tablet weitergesendet. Sogenannte «Alarmtiere», bei denen die Messdaten von der jeweiligen Norm abweichen, werden entsprechend dargestellt. Als Beispiel einer Warnmeldung, die dem Landwirt per Nachricht zugesandt wird, berichtet Uwe Mohr vom Monitoring der Wasseraufnahme: «Heute hat das Tier Nummer 332 nur einmal getrunken. Bitte Versorgung mit Wasser und Tiergesundheitsstatus prüfen (z.B. Hitzestress)».
Stellt der Bolus einen Anstieg der Körpertemperatur fest, wird ebenfalls sofort eine Warnmeldung verschickt. Der Temperaturanstieg kann durch die rektale Messung erst einige Stunden später festgestellt werden.
Weil die Körpertemperatur sich nicht nur durch ein Krankheitsgeschehen, sondern auch vor der Abkalbung verändert, gibt es bei dem eingesetzten Bolus auch die Möglichkeit eine bevorstehende Abkalbung anzuzeigen. Da die Temperaturveränderung aber bereits etwa zehn Stunden vor Geburtsbeginn stattfindet, leitet sich durch die Bolus-Meldung eher eine Umstallempfehlung ab. Für eine direkte Geburtsüberwachung reichen die Messdaten der Körpertemperatur nicht.
Die Vaginalspange
Eine zuverlässige Abkalbemeldung wäre aber trotzdem für viele Landwirte wünschenswert. Hier gibt es beispielsweise die Möglichkeit einer Vaginalspange, die bei der tragenden Kuh eingesetzt wird und durch den beginnenden Geburtsprozess vom Kalb herausgedrückt werden soll.
Sensoren stellen dann die beginnende Abkalbung fest und melden dies dem Landwirt per SMS. «Dies hat bei uns nicht so gut funktioniert», berichtet Uwe Mohr, denn die Spangen seien nicht bis zum Geburtsstart in den Tieren geblieben.
Die neuen Systeme eingehend erklären lassen
Es gibt viele neue Informationen und technische Hilfsmittel, die es ermöglichen, die Tiere zu überwachen. Sie tragen zur Verbesserung der Tiergesundheit, der Verminderung des Medikamenteneinsatzes, der Verringerung der Krankheitskosten und zur Steigerung des Kuhwohls bei. Gerade beim Rind als Fluchttier, welches seine Schwächen evolutionsbedingt zu verbergen versucht, sind diese Hilfsmittel sehr wertvoll.
Gemäss der Erfahrung, die das Agrarbildungszentrum Triesdorf, und im speziellen die dortige Tierhaltungsschule, mit der schrittweisen Digitalisierung im Milchviehstall gemacht hat, führt diese zur Steigerung der Rentabilität. Es ist aber mit Arbeit verbunden. Klar ist auch: Nicht jedes System passt zu jedem Milchviehhalter. Wichtig ist, sich vor der Integration einer Digitalisierungsmassnahme im eigenen Stall individuell beraten zu lassen. «Lassen Sie sich diese Systeme gut und eingehend erklären», rät Uwe Mohr.
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Die Bündelung, Strukturierung und Bewertung der vielen Daten durch Herdenmanagementsysteme und standardisierte Datenbanken mit ausreichend Schnittstellen ist der Schlüssel zur erfolgreichen Implementation der zukünftigen Milchviehhaltung. «Daten allein machen eine Kuh aber nicht trächtig oder satt», betont der Experte am Ende seines Vortrages. Sie ersetzen nicht das eigene Denken und Handeln und dürfen nur als Ergänzung, nicht aber als Ersatz gesehen werden.
Vor- und Nachteile der technischen Hilfsmittel
Hilfsmittel | Aufzeichnungen | Vorteile | Nachteile |
Ohrmarken | • Aktivität • Wiederkau-Dauer • Kuhortung• Temperatur • Fresszeiten | ✚ Sichere Position ✚ Unauffällig ✚ Kein Halsband | - Hohe Verluste auf vielen Betrieben |
Pedometer | • Aktivität • Lauf- und Liegeverhalten • Fresszeiten • Geburtsalarm | ✚ Kein Halsband ✚ Leicht anzulegen ✚ Sichere Position | - Weniger Funktionen |
Halsbänder | • Aktivität • Wiederkau-Dauer • Kuhortung • Fresszeiten • Lauf- und Liegeverhalten | ✚ Standardoption ✚ Viele Optionen ✚ Vielseitig nutzbar | - Verlust - Drehen/verrutschen - Abschnüren - Güllepumpe beschädigt durch verlorenes Halsband |
Bolus im Netzmagen | • Aktivität • Temperatur • Vormagen-pH • Pansenbewegung • Geburtsalarm | ✚ Neue Möglichkeiten ✚ Kein Verlust ✚ Keine Wartung | - Entsorgung (Elektroschrott) - Nicht zugänglich |
Systeme wie Pedometer, Ohrmarken, Halsbänder und Boli werden von vielen Herstellern angeboten und haben sich in der Praxis als rentabel erwiesen.