Kurz & bündig

  • Legehennen sind wegen ihrer hohen Ei-Produktion anfällig auf Brustbeinfrakturen.
  • Rampen im Stall helfen gegen Abstürze und Knochenbrüche.
  • Zu diesem Schluss sind Forschende am Zentrum für tiergerechte Haltung von Geflügel und Kaninchen ZTHZ in Zollikofen gekommen.
  • Mit spezieller Frühförderung lernten sie bereits Küken, die Rampen zu benutzen.

Auf den ersten Blick ist der Stall am Aviforum in Zollikofen BE, der vom Zentrum für tiergerechte Haltung von Geflügel und Kaninchen ZTHZ benutzt wird, ein ganz gewöhnlicher Legehennenstall. Die Hühner sind klassische Legehennen der Zuchthybride «Lohmann Selected Leghorn» und gleichen sich wie ein Ei dem anderen.

Hennen sind Gewohnheitstiere, genau wie Menschen

Doch dann fallen die türkisfarbenen und rosaroten Rucksäcke auf, die einige der Hühner tragen. Das sind sogenannte Fokus-Tiere. «In den Ruck-säcken befindet sich ein Sensor, der kontinuierlich ihr Bewegungsverhalten aufzeichnet», erklärt Mike Toscano, leitender Forscher am ZTHZ. «Uns interessiert unter anderem, in welchem Bereich des Stalls sich die Tiere wie oft und wie lange aufhalten.» Er zeigt auf seinem Handy das ausgewertete Bewegungsmuster eines Huhns. Es ist total regelmässig. Hennen scheinen Gewohnheitstiere zu sein, oder wie Toscano es sagt: «Sie haben eine innere Uhr».

Rucksäcke messen die Aktivität von Legehennen

Ausserdem haben die Wissenschaftler festgestellt, dass Hühner genauso unterschiedlich sind wie Menschen. Es gibt Aktive und Faule. Zur ersten Sorte gehörte jenes Tier, dass sich innerhalb eines Tages 13-mal vom Stallboden bis zur obersten Sitzstange und wieder zurückbewegte. Hoch, runter, hoch, runter. «Als wir die Aufzeichnung sahen, dachten wir, dass mit dem System etwas nicht stimmt», erinnert sich Mike Toscano amüsiert zurück.

Die Sensortechnik in den Hühner-Rucksäcken stammt von einer österreichischen Firma. Sie wird normalerweise in den Armbändern für die BewohnerInnen von Altersheimen verbaut.

In den letzten Jahren beschäftigten sich die Forscher des ZTHZ der Universität Bern in verschiedenen Projekten mit dem Thema Rampen. «Brustbeinbrüche sind ein grosses Problem bei Legehennen», erklärt Postdoktorandin Ariane Stratmann.

«Am Tag verteilen sich die Tiere schön im ganzen Stall. Aber am Abend wollen alle nach oben zu den attraktiven Schlafplätzen. Wenn die oberen Sitzstangen voll sind, gibt es ein Gewusel und Gedränge. Die Tiere stürzen ab oder kollidieren mit den Sitzstangen.» Deswegen habe man sich überlegt, wie man die mehrere Meter hohen Volieren so designen könnte, dass Abstürze vermieden werden.

Rampen helfen gegen Brustbeinfrakturen bei Legehennen

Bis zu 80 Prozent der Schweizer Legehennen zeigen Veränderungen am Brustbein, die durch Knochenbrüche entstanden sind. Ein Grund für diese Anfälligkeit ist auch die hohe Produktion von 300 bis 330 Eiern pro Henne und Jahr. Durch den hohen Verbrauch an Kalzium für die Herstellung der Eischalen sind die Knochen mit der Zeit nicht mehr so gut kalzifiziert. Man denke an Menschen mit Osteoporose.

Die Forschenden testeten verschiedene Möglichkeiten: Rampen, Plattformen vor den Nestern und zusätzliche Sitzstangen. Die Rampen setzten sich durch. «Aufgrund unserer Studie und anderer Studien aus dem Ausland wissen wir, dass Rampen positiv sind», sagt Ariane Stratmann. Es kam zu weniger Abstürzen und weniger Brustbeinfrakturen. Die Hennen wurden während des Forschungsprojekts regelmässig untersucht, erst manuell, später mit Röntgengeräten.

Die Rampen müssen mittlerweile bei neuen Volierensystemen vorhanden sein oder müssten nachgerüstet werden, erklärt Ariane Stratmann. Neben ihrer Tätigkeit an der Universität Bern ist sie auch für praktische Prüfungen im Rahmen des Prüfungs- und Bewilligungsverfahrens vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV zuständig. «Dass Rampen mittlerweile vorhanden sein müssen, zeigt schön, wie sich Forschungsergebnisse in den Praxisalltag transferieren lassen», sagt die Biologin.

Als Nächstes wollten die Forschenden herausfinden, ob bereits Küken die Rampen benutzen würden und wenn ja, wie oft. «Die Aufzuchtphase ist so wichtig für das spätere Leben», sagt Stratmann, die bisherige Forschung habe sich aber oft auf erwachsene Tiere konzentriert. Unweit des Versuchsstalls für Legehennen befindet sich der 2018 neu erstellte Prüfstall, der speziell für Forschungsprojekte der Uni Bern sowie für praktische Prüfungen im Rahmen des Prüf- und Bewilligungsverfahren des BLV eingerichtet wurde.

Ein sich bewegendes Holz-Huhn sollte Küken neugierig machen

Dort untersuchte Doktorand Alex Johny 350 Versuchsküken während ihrer ersten Lebenswochen auf ihre kognitiven Fähigkeiten und ihr Wohlbefinden. Er dachte sich verschiedene Stimuli aus, wie die Küken lernen könnten, Rampen zu nutzen. In der Natur würde die Glucke dem Nachwuchs zeigen, wie sie Futter finden, wo Gefahren lauern und wie sie erhöhte Schlafplätze erreichen.

Als Quasi-Mutterersatz kam eine sich bewegende Huhn-Attrappe aus Holz zum Einsatz. Ausserdem testete Johny einen LED-Streifen mit Lichtfrequenz und einen nachgebauten pickenden Schnabel samt Geräusch. «Die Stimuli befanden sich alle oberhalb der Rampen, sollten die Küken neugierig machen und darauf locken», so Mike Toscano.

Im Frühling 2021 geht die Studie mit 600 Küken weiter 

Die Küken wurden gefilmt und ihr Verhalten am Bildschirm ausgewertet. Die Stimuli liefen auch nicht rund um die Uhr, damit kein Gewöhnungseffekt eintrat.

Die Forschenden sind zufrieden mit den Resultaten der Studie, die noch nicht veröffentlicht ist: «Ab der zweiten Alterswoche haben die Küken die Rampen benutzt», sagt Ariane Stratmann. Als Nächstes will Alex Johny den «vielversprechendsten Stimuli» unter Praxisbedingungen testen. Mit 600 Küken statt kleinen Gruppen von 20 Tieren. Losgehen soll diese Untersuchung im Frühling 2021.

Mike Toscano wird derweil seine Arbeit im Legehennenstall fortsetzen. Den Forscher interessiert, welchen Einfluss die Genetik auf das Verhalten der Tiere hat.

 

Der Forschungsstall

Das Kompetenzzentrum der Schweizer Geflügelwirtschaft «Aviforum» baute auf seinem Gelände in Zollikofen im 2018 einen neuen Forschungs- und Prüfstall. Dieser wird seither vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) für den Betrieb des Zentrums für tiergerechte Haltung von Geflügel und Kaninchen (ZTHZ) gemietet.

Das ZTHZ wird gemeinsam von der Abteilung Tierschutz des BLV und vom Veterinary Public Health Institute (VPHI) der Universität Bern betrieben. Der Forschungsstall verfügt über eine Gesamt-Nutzfläche von 1028 m2 und ist in vier separate Versuchsräume unterteilt. Daneben verfügt das Gebäude über Labor-, Lager- und Büroräume.