Kurz & bündig

  • Für ein Kolostrum von guter Qualität braucht es eine Galtzeit von mindestens vier Wochen.
  • Galtkühe müssen in separater Gruppe gehalten werden, damit sie nicht von fremden Kälbern («Milchräubern») besaugt werden.
  • Eine mangelhafte Kolostrumversorgung kann durch eine ungenügende Aufnahme des Kalbes und/oder durch eine minderwertige Qualität bedingt sein.
  • Kälber sollen nach der Geburt so viel Kolostrum wie möglich aufnehmen.
  • Die Effektivität der routine-mässigen Kolostrumversorgung kann im Blut von Kälbern zwischen dem 2. und10. Lebenstag gemessen werden. Eine regelmässige Überprüfung ist empfehlenswert.
  • Die Kolostrumqualität beeinflusst den Gesundheitsstatus der Kälber wesentlich und kann einfach gemessen werden.

Nach jahrelanger Milchwirtschaft und Zucht mit Herzblut erfolgte vor drei Jahren die Umstellung auf Mutterkuhhaltung mit 40 Black Angus-Kühen und einem eigenen Muni. Die Herde ist geteilt in eine Gruppe Kühe mit eigenem Muni sowie eine Gruppe Rinder und Erstkalbinnen.

Da seit sechs Monaten massive Probleme bei den Kälbern auftraten, wurde der Kälbergesundheitsdienst KGD beigezogen: So entwickelte sich bei 30 % der Kälber eine Nabelentzündung, 30 % hatten im Alter von 8 bis 10 Tagen Durchfall und 50 % der Kälber litten unter hartnäckigen, zum Teil nur schwer therapierbaren Lungenentzündungen. Trotz intensiver Therapie lag die Verlustrate bei den Kälbern bei 20 %. Hinzu kam eine Totgeburtenrate von 20 %.

Der Landwirt fürchtete sich mittlerweile vor dem Bild, das er täglich morgens im Stall antraf. In Zusammenarbeit mit dem Bestandestierarzt wurde bereits begonnen, alle Kälber intranasal gegen Kälbergrippe zu impfen und ein Immunglobulin-Präparat zur Prophylaxe des Neugeborenendurchfalls zu verabreichen. Bisher hatte sich aber keine Verbesserung eingestellt. Anlässlich des ersten KGD-Besuches zeigte sich, dass die beiden Abkalbeboxen grosszügig dimensioniert waren. Sie waren hell und die kalbenden Kühe hatten Sichtkontakt zur Herde. Allerdings wurden die Boxen nur zwei- bis dreimal pro Jahr ausgemistet und nicht mit einem Hochdruckreiniger gesäubert. Das ist aus Gründen der Keimdruck-Reduktion nicht optimal.

Die Galtkühe wurden zusammen mit der Hauptherde gehalten. Das Risiko des Saugens durch fremde Kälber («Milchräuber») ist dann hoch und kommt erfahrungsmässig häufig vor. Dadurch kann die Galtkuh kein Kolostrum bilden.

 

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[IMG 4]Blick auf die Fressachse, des Stalles, der an die Mutterkuhhaltung angepasst wurde.

 

Verschiedene Anzeichen für Kolostrum-Probleme

Für eine mangelhafte Kolostrumversorgung beziehungsweise Kolostrumqualität sprachen die vielen unterschiedlichen Krankheiten, die bei den Kälbern auftraten. Dem Betriebsleiter war es bis anhin nicht möglich, bauliche Massnahmen vorzunehmen, um die Galtkühe separat zu halten. Zudem konnte er sich eine systematische Unterversorgung mit Kolostrum als Hauptursache für die massiven Probleme nicht vorstellen, da er nie ein fremdes Kalb bei einer Galtkuh trinken sah.

Der KGD-Besuch wurde genutzt, um sofort vor Ort Proben zu nehmen und diese untersuchen zu lassen. Im Kot eines durchfallkranken Kalbes konnte kein Erreger nachgewiesen werden, zudem war die Untersuchung der nächsten Totgeburt negativ in Bezug auf die gängigen Aborterreger. Hingegen zeigten von den nächsten zehn neugeborenen Kälbern nur drei eine ausreichende Versorgung mit Kolostrum.

Nun musste noch geklärt werden, ob die Kälber eine zu geringe Menge aufnahmen, ob das Saugen verzögert war oder ob das Kolostrum eine minderwertige Qualität hatte. Daher wurde zeitgleich das direkt nach der Geburt in kleiner Menge abgemolkene Kolostrum überprüft. Es zeigte sich ein ähnliches Bild: Zwei Drittel der Kolostrum-Proben hatten eine zu niedrige Konzentration der für das Kalb lebensnotwendigen Abwehrstoffe.

Inkonsequente Galtzeit und suboptimale Hygiene

Der Verdacht einer inkonsequenten Galtzeit in Kombination mit einer suboptimalen Hygiene in der Abkalbebox konnte somit als Hauptursache für die Probleme bestätigt werden.

In vorliegendem Fall wurde der äusserst wichtige Punkt vernachlässigt, dass Galtkühe unter keinen Umständen angesaugt werden dürfen. Da bauliche Massnahmen Zeit und Geld erfordern, wurde das Defizit mittels zugekauftem Kolostrums, Kolostrumersatz- bzw. Immunglobulin-Präparaten überbrückt.

Der Gesundheitszustand der Kälber verbesserte sich zunächst nur wenig. Drei Monate später wurde der Stall aber so umgestaltet, dass die Galtkühe eine separate Gruppe bildeten und vor der Geburt direkt in die Abkalbebox umgestallt wurden. Seit der Separierung der Galtkühe hat sich die Situation massiv beruhigt und die Erkrankungsraten sind deutlich gesunken.

Kolostrumversorgung als «Kälber-Versicherung»

 

 

Dieses Fallbeispiel zeigt die Wichtigkeit einer adäquaten Kolostrumversorgung, welche die wichtigste «Versicherung» für die Immunprophylaxe junger Kälber darstellt.

Für eine optimale Kolostrumqualität gilt:

  • Galtkühe mindestens vier Wochen in separater Gruppe halten (ohne fremde Kälber), damit sie nicht von anderen Kälbern angesaugt werden können.
  • Kolostrumaufnahme möglichst bald nach der Geburt: bereits sieben Stunden nach der Geburt ist die Immunglobulin-Konzentration 17 % tiefer als direkt nach der Geburt
  • Nur gesunde Muttertiere ohne Euterentzündungen produzieren einwandfreie Milch.

Für eine optimale Kolostrumaufnahme gilt:

  • Die Versorgung des Muttertieres mit Mineralstoffen und Spurenelementen (v. a. Selen) muss stimmen.
  • Auch bei ungenügender Sauglust der Kälber an die Selenversorgung der Herde denken.
  • Eine stressfreie und leichte Geburt ist für Muttertier und Kalb von zentraler Bedeutung für einen unkomplizierten Start nach der Kalbung.

 

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Für Kälber ist Kolostrum flüssiges Gold

Nur das Erstgemelk verfügt über 100 % Immunglobuline.

Bedeutung von Kolostrum

  • Für das Kalb ist es das «flüssige Gold» und wirkt besser als jegliche Mittel.
  • Kolostrum enthält Antikörper gegen diverse Erreger sowie andere wichtige Substanzen (z.B. Wachstumshormone).
  • Die Kolostrumaufnahme ist die Voraussetzung für den Aufbau eines funktionierenden und starken Immunsystems.

Richtwerte für die Kolostrumversorgung von Mutterkuhkälbern

  • Mutter und Kalb bei der Erstversorgung beobachten und unterstützen.
  • Das Euter der Mutter soll nach der Geburt möglichst sauber sein.
  • Zwischen dem 2. und 10. Lebenstag kann im Blutserum des Kalbes der Kolostrumtransfer mittels einfacher Bestimmung des Gesamtproteins überprüft werden (Zielwert > 55 g/L).

Einfrieren von Kolostrum ist möglich

  • Am besten in PET-Flaschen oder Gefrierbeuteln
  • Aufbewahrung maximal 1 Jahr
  • Nur hochwertig getestetes Kolostrum einfrieren

Auftauen von Kolostrum

  • Im Wasserbad bei max. 46 °C;
  • In Mikrowelle bei Auftaustufe (maximal 250 Watt)

Kolostrum-Qualitätsmessung

Colostrocheck: Je höher die Qualität, desto visköser ist das Kolostrum (Soll: > 24 Sekunden bei 30°C).

Sinkspindel (Kolostrometer): Je höher das spezifische Gewicht, desto höher die Konzentration der Immunglobuline (Soll: geringes Einsinken grüner Bereich);

Brix-Refraktometer: Je höher der Lichtbrechungsindex, desto höher die Konzentration der Immunglobuline (Soll: > 22 % BRIX)

 

Muniwechsel, um genetische Ursachen auszuschliessen

Aufgrund der hohen Totgeburtenrate wurde die Herde auf ihre Versorgung mit Spurenelementen überprüft. Das Resultat war zufriedenstellend. Gemäss Landwirt kalbten die Kühe im Normalfall ohne Probleme, die Kälber wiesen ein mittleres Geburtsgewicht auf und die Körperkondition (BCS) der Mutterkühe lag zwischen 3 und 3,5.

Der Leidensdruck war so hoch, dass der Landwirt den Muni auswechselte, um eine allfällige genetische Ursache für die Totgeburten auszuschliessen. Tatsächlich sank die Totgeburtenrate innerhalb eines Jahres nach dem Erstbesuch ohne weitere Massnahmen deutlich ab.

 

Aus dem Alltag der KGD-Tierärzte . . .

Fall-Beispiele und Lösungs-Vorschläge aus dem Alltag der Tierärzte des Kälbergesundheitsdienst (KGD). In dieser Folge von Charlotte Waldvogel, Tierärztin beim Schweizer Kälbergesundheitsdienst.

Der nächste Beitrag dieser Serie erscheint in der Ausgabe Nr. 10/2021.