Kurz & bündig

  • Seuchen breiten sich aus wegen verändertem Verhaltens des Menschen, durch den Klimawandel oder durch Veränderungen in der Tierproduktion.
  • Der Betriebsverlust, den der Tierhalter erleidet, ist nicht in der Tierseuchenbekämpfung abgedeckt.
  • Für Perler ist die Tierverkehrskontrolle ein Erfolgsfaktor.

Seuchen sind wegen Mobilität und Klimawandel eine Bedrohung für die Schweiz. Stimmt das?

Lukas Perler: Seuchen sind für die Schweiz schon seit Jahrhunderten eine Bedrohung. Einer der Haupt-Bedrohungsfaktoren ist das Verstellen von lebenden Tieren. Die Schweiz importiert relativ wenige lebend Tiere im Vergleich zu anderen Ländern. Das sind bei den Rindern beispielsweise ein paar tausend Zuchtrinder. Schlachtviehimporte gibt es keine. Aber wir verstellen täglich sehr viele Tiere im Inland.

Auch der Mensch als Träger von Krankheiten und Handelsaktivitäten (Waren) kann Krankheiten verschleppen. Das aktuellste Beispiel ist die ASP. Der Klimawandel ist wichtig geworden. Es gibt immer mehr sogenannte «vector-borne diseases». Das heisst, dass Insekten eine Krankheit übertragen, etwa die Blauzungenkrankheit.

Warum gibt es die klassischen Seuchenzüge wie früher nicht mehr?

Eine MKS ist während Jahrhunderten gekommen und wieder gegangen. Man hatte wenige Werkzeuge in der Hand, um das zu beeinflussen. Und solche Werkzeuge haben wir heute! Wir haben die Rückverfolgbarkeit der Tiere, Handelsbestimmungen, Einfuhr-, Ausfuhr-Kontrollen sowie Früherkennungs-Systeme.

Auch in der Bekämpfung haben wir Fortschritte gemacht, etwa auf der Ebene vom raschen Handeln bei den Kantonen. Wir wissen mehr und können das Seuchengeschehen heute viel schneller und direkter beeinflussen.

Wieso gibt es immer wieder neue Seuchen?

Ganz neue Krankheiten gibt es nicht viele. Da ist vielleicht SARS zu erwähnen, die vor Jahren aufgetaucht ist. Aber alte, bekannte Krankheiten können sich heute neu in ökologischen Nischen ausbreiten. Durch die Veränderung des Verhaltens des Menschen, durch den Klimawandel oder durch Veränderungen in der Tierproduktion.

Das beste Beispiel ist Asien. Jedes zweite Schwein weltweit wird mittlerweile in Asien gehalten. Das be-deutet eine enorme Veränderung in Sachen Tierhaltung, Dichte und Mobilität. So kann sich eine Tierseuche etablieren, die sich früher nicht hätte halten können.

Wer zahlt bei dem Ausbruch einer Seuche?

Die Tierverluste bei hochansteckenden Tierseuchen, wie MKS oder ASP, werden durch den Bund entschädigt.

Bei auszurottenden oder zu bekämpfenden Seuchen zahlt der Kanton die Kosten ganz oder teilweise. Entschädigungen für Tierhalter werden bei jeder Tierseuche in der eidgenössischen Tierseuchenverordnung geregelt. Als Instrument gibt es dazu die kantonalen Tierseuchenkassen. Je nach Kanton sind diese zum Teil von den Tierhaltern und zum Teil von Steuergeldern gespeist. Aber der Betriebsverlust, den der Tierhalter erleidet, ist nicht in der Tierseuchenbekämpfung abgedeckt. Dieser Umstand wird oft bemängelt. Ausserdem ist der Tierhalter bei einem Seuchenfall in seiner beruflichen Tätigkeit eingeschränkt.

Privatrechtlich gibt es sogenannte Epidemien-Versicherungen. So kann ein Tierhalter den Betriebsverlust privat versichern.

Hatte die Schweiz Glück, dass sie bis jetzt von grossen Seuchenfällen verschont geblieben ist? Oder waren das gute Präventions-Massnahmen?

Es braucht immer beides. Wir verfolgen die nationale und internationale Seuchenlage genau und sind dadurch in der Lage, Akzente und Schwerpunkte zu setzen, wo wir Bedrohungen sehen und dort frühzeitig zu handeln. Das macht einen grossen Teil unserer Arbeit beim BLV aus.

Je nach Tierart und je nach Tierseuche kennen wir nicht so intensive Tier- und Warenflüsse wie andere Länder. Aber es kann uns jederzeit treffen, so wie es Belgien mit der ASP getroffen hat. Wir versuchen alles, damit wir nicht die nächsten sind – aber man kann es nicht ausschliessen.

Was erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Wir sind stetig daran, nicht nur das zu bekämpfen, was da ist, sondern wir wollen auch die Tiergesundheit kontinuierlich stärken. Wir führen koordinierte Bekämpfungsprogramme durch, wie die BVD-Ausrottung oder in einiger Zeit vielleicht eine Moderhinke-Bekämpfung.

Wir investieren in die Prävention. Es wird sicherlich weiterhin Bedrohungen durch Tierseuchen geben. Ich bin optimistisch, dass wir nicht in eine dramatische Verschlechterung hineinkommen. Aber ob wir mit der afrikanischen Schweinepest beschäftigt sein werden oder ob uns plötzlich eine andere Seuche beschäftigen wird, kann niemand voraussagen.

Gibt es Situationen, wo Tierhaltende unnötige Risiken eingehen?

Diesbezüglich fallen mir immer die Importe von Tieren ein, wo fahrlässig gehandelt wird. Der letzte Tollwutfall in der Schweiz war die Folge eines illegalen Imports eines Tieres aus Marokko. Auch BVD-Fälle wurden eingeschleppt, weil sich Tierhaltende ungenügend an Importregeln hielten.

Wie wichtig ist die Tierverkehrskontrolle TVK?

Die Tierverkehrskontrolle als Ganzes ist für mich ein grundlegender Erfolgsfaktor. Ohne Rückverfolgbarkeit der Tiere hinkt man einem Seuchengeschehen hinterher.

Früher war es normal, dass man 20 oder 30 Jahre lang gebraucht hat, um eine Tierseuche zu bekämpfen. Heute sind wir bei der Ausrottung der BVD bereits ungeduldig. «Wieso geht das zehn Jahre?» Die Anforderungen und die Anspruchshaltung an die Tierseuchenbekämpfung ist gestiegen. Das ist auch richtig so!

Das beste Beispiel ist für mich die Tilgung eines PRRS-Ereignis, die wir 2012 gemacht haben. Die PRRS gehört weltweit zu den verlustreichsten Schweineseuchen. Eingeschleppt wurde sie über Frischsamen. Innerhalb von sechs Wochen haben wir es geschafft, die Seuche wieder aus dem Land hinauszubekommen. Wenn wir die betroffenen Betriebe nicht so schnell gefunden hätten und nicht so schnell hätten angehen können, wäre uns das nie gelungen.

Alle Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und gekürzt.

 

So wird eine Tierkrankheit zur Tierseuche

Tierkrankheiten gelten gemäss Tierseuchengesetz als Tierseuche, wenn sie auf andere Tiere übertragbar sind und mindestens eine der folgenden Kriterien erfüllen:

  • übertragbar auf den Menschen (sog. Zoonose)
  • vom einzelnen Tierhalter ohne Einbezug weiterer Tierbestände nicht mit Aussicht auf Erfolg abzuwehren
  • eine Bedrohung für einheimische, wildlebende Tierarten darstellend
  • aufgrund der Seuche ist mit bedeutsamen wirtschaftlichen Folgen zu rechnen
  • für den internationalen Handel mit Tieren und tierischen Produkten von Bedeutung.

Quelle: BLV

 

 

Glossar

ASP:Afrikanische Schweinepest

Biosicherheit: Die Biosicherheit in der Tierhaltung umfasst alle Massnahmen, die eine Einschleppung und Verbreitung von Infektionskrankheiten in Tierbestände verhindern sollen.

BVD:Bovine Virus-Diarrhoe

MKS: Maul- und Klauenseuche

PRRS: Porcines reproduktives und respiratorisches Syndrom

SARS:Schwere Akute Respiratorische Syndrom

Vector-borne disease: Ein Vektor ist ein lebender Organismus, der Krankheitserreger von einem infizierten Tier auf einen Menschen oder ein anderes Tier überträgt. Zum Beispiel bei der Blauzungenkrankheit ist die Gnitze (Bart-mücke) der Vektor.

 

 

Zur Person

Lukas Perler ist seit 2003 Leiter Tierseuchen beim Bundesamt für Landwirtschaft und Veterinärwesen BLV. Vorher war er als Tierarzt in einer Praxis im Berner Mittelland tätig. Lukas Perler 1996 hat sein Veterinär-Studium an der Universität Bern abgeschlossen.

 

 

So schützt man seine Tiere vor einer Seuche

Lukas Perler empfiehlt, die eigene Tierhaltung gut einzuschätzen. Wo sind meine Risiken? Was kann ich dagegen unternehmen? «Das BLV treibt diese Thematik im Moment voran, also das Bewusstsein der Tierhalter, beispielsweise für Biosicherheit», sagt Perler.

Bei der externen Biosicherheit solle jeder schauen, dass keine Erreger in den Betrieb hineinkommen, sei es durch Tiere, Menschen oder Waren. Wie viel weiss man von den Herkunftsbetrieben? Von wie vielen Betrieben kommen die Tiere? Von wo, geografisch gesehen, nimmt man die Tiere?

Bei der internen Biosicherheit schaut man, dass sich ein Erreger innerhalb der Tierhaltung nicht vermehren oder verbreiten kann. «Also beispielsweise durch gute Hygiene und Reinigung», präzisiert Perler.

Eine weitere Massnahme sei die Information. Das BLV investiere viel in die Kommunikation und weise auf Gefahren hin. Aber auch auf Möglichkeiten, wie man diese Gefahren mindern könne.

«Und auch der Landwirt kann sich aktiv informieren», sagt Perler: «Was sind die neuesten Bedrohungen? Was hat sich verändert? Was kann ich dagegen tun?»