Hinter dem orange verputzen Haus in Brunnen entstehen vier neue Räume für die Tierarztpraxis. Tierarzt Bruno Winzap (58) denkt an die Zukunft. Seit 30 Jahren lebt und arbeitet er in Brunnen.
Stück für Stück will er nun «die Vorzeichen ändern», wie er es nennt. Die Kleintierpraxis hat er zu einem Drittel bereits an eine Kollegin abgegeben. Für die Grosstierpraxis hat er eine Lösung aufgegleist.
«In den nächsten Jahren will ich meine Rolle ändern. Ich will vom Chef zum Angestellten und Berater werden», erklärt er. Einen Vormittag lang darf ihn «die grüne» begleiten. Ist Tierarzt ein Beruf oder eine Berufung? «Eine Berufung» – diese Antwort kommt ohne das geringste Zögern.
Effizient, organisiert, aber bei einem Notfall ändert Bruno Winzap das Programm sofort
Im Auto, einem penibel aufgeräumten SUV, scheppert nichts. Der Koffer ist gepackt, jeder Handgriff sitzt. Säuberlich ausgedruckt hat Tierarzt Bruno Winzap das Tagesprogramm dabei.
Aber auch das Handy, falls der Plan ändert. «Effizienz und Organisation», betont Winzap. Jeden Tag trifft er sich um 7.30 Uhr mit seinen Kollegen Christoph Bächler, Fabienne Zurfluh und Karin Inderbitzin, der tiermedizinischen Praxisassistentin, zum Briefing. «Ausser, wenn einer von uns schon bei einem Notfall ist», sagt er.
Auf dem ersten Hof erwartet ihn Josef Betschart. Es hat in der Nacht ein wenig geschneit, die Strasse ist aber noch gut befahrbar. Zwei von Betscharts Tieren lahmen. Winzap untersucht, erklärt die Behandlung, trägt sie ins Journal ein. Betschart ist zufrieden mit seinem Tierarzt: «Er kommt Tag und Nacht, der Service ist sehr gut.»
Im Auto antwortet Winzap auf die meisten Fragen mit einer Geschichte – «so ist das mit 30 Jahren Berufserfahrung.» Er fährt zügig, gleichzeitig hoch konzentriert und entspannt.
Die Landwirte sind verunsichert und sorgen sich ums Einkommen, beobachtet Tierarzt Winzap
Was hat sich in all den Jahren verändert? Die Landwirte seien verunsichert, sorgten sich um Planungs- und Einkommenssicherheit, sagt Winzap.
Auf dem Betrieb von Fredy Auf der Maur zeigt sich das. Der Familien vater arbeitet zu 80 Prozent als Bestatter und hat eben erst einen neuen Laufstall in Betrieb genommen. Der rüstige Schwiegervater helfe im Betrieb, erzählt er.
Und die Umstellung von Anbindehaltung auf den Laufstall sei problemlos verlaufen. Freudig zeigt er auf eine seiner Kühe: «Sie ist 14 Jahre alt. Und hat nun das erste Mal ein Kalb bei sich behalten dürfen. Sie benimmt sich, als hätte sie nie was anderes gemacht.» Zügig wird ein Kalb kastriert, Winzap führt im geheizten Container Buch.
Er verabschiedet sich, steigt ins Auto, als ihn Auf der Maur mit einer Frage zurückruft. Minutenlang diskutieren die beiden Männer über einen Gentest, der Bauer mit seinem kleinen Sohn auf dem Arm. Diesem will er dereinst den Betrieb übergeben – «wenn er denn will».
«Diesen Bauern kenne ich seit Kindesbeinen», erzählt Winzap später. Drei, manchmal vier Generationen begleitet er. «Meine Bauern sind fleissig», sagt er.
Respektvoll, teilweise gar freundschaftlich sei die Beziehung zwischen Tierarzt und Bauern. Von jedem weiss er, wer welchem Nebenerwerb nachgeht. Winzap bewundert den Einsatz seiner Landwirte: «Wer heute Bauer ist, will wirklich Bauer sein.»
Helfen ist selbstverständlich, die dauernde Erreichbarkeit auch – sie führt zu Auswüchsen
Der Tierarzt hat ein gedrängtes Programm. Was ihn nicht davon abhält, auf einem Betrieb zu helfen, einen Klauenstand auf ein Fahrgestell zu hieven. «Das ist selbstverständlich», findet er.
Selbstverständlich seien mittlerweile auch das Handy und die neuen Kommunikationsformen. War früher die dauernde Erreichbarkeit etwas Exklusives, sei sie nun normal und führe zu Forderungen. Und zu Auswüchsen, die ihm unverständlich sind: «Manchmal bekomme ich per Mail Fotos von Exkrementen mit der Bitte um eine Diagnose. Das lösche ich sofort – der Tierarzt muss das Tier sehen, schon am Telefon ist eine Diagnose schwierig.»
Winzap differenziert aber: «Telemedizin wird etwa in der Kleintiermedizin helfen: Etwa, wenn in einer grossen Klinik mitten in der Nacht ein MRI gemacht wird, kann dies zum Beispiel ein Experte im Ausland analysieren und beinahe zeitgleich beurteilen.» Oder wenn jemand eine Verhaltensstörung seines Tieres mit dem Handy filmt und dies mit seinem Tierarzt besprechen will.
Bruno Winzap ist überzeugt: Tierärzte dürfen keine Einzelgänger sein, die sich irgendwie durchwursteln
Den Nachwuchsmangel hält er für ein Problem, das sehr ernst zu nehmen sei. Gerade in Bergregionen mit langen Anfahrtswegen sei es schwierig, Tierärzte zu finden. Das von der Gesellschaft Schweizer Tierärzte angeregte «Wartegeld» hält er für sinnvoll. Er hat für seine Praxis Lösungen gefunden.
Spontanbewerbungen schätzt er aber und prüft diese genau. «Es braucht einen Bezug zur Landwirtschaft – ich kann mir reine Stadtkinder hier bei uns nicht vorstellen.»
Er selber ist als Bauernsohn im Bündner Oberland aufgewachsen, hat in Zürich studiert und dann den Weg in die Innerschweiz eingeschlagen. Teamplayer müsse man als Tierarzt sein, auch mal abgeben können und nicht als Einzelkämpfer wursteln. Er selber macht seine Ferien geplant, wie alle seine Mitarbeiter, und nimmt sich auch zurück.
Bruno Winzap will stets den Menschen neben den Tieren sehen und ernst nehmen
Auf den Touren ist er aber mit Herzblut dabei, erklärt jedem Kunden die Behandlung, schreibt auf, ob er sich wieder beim Bauern meldet oder dieser zurückruft: «Wir müssen immer den Menschen neben dem Tier sehen und ihn in seiner Not ernst nehmen.» Das will er auch seinen jungen Kolleginnen und Kollegen mitgeben.
«Sie müssen neugierig bleiben, lebenslang. Und viel lesen, damit sie auf dem neusten Stand sind.» Winzap wird ernst und tönt den Spagat zwischen Beruf und Privatleben an.
Und das Gespräch landet bei der Planung und der Personalführung. Letzteres liegt Winzap mehr auf dem Magen, als mitten in der Nacht zu einem Notfall zu fahren. «Es sind oft kleine Sachen – aber sie rauben Energie.»
Lieber diskutiert er mit den Landwirten, hört sich deren Meinungen zum Lauf der Welt im Allgemeinen und der Agrarpolitik im Besonderen an. Betritt er einen Stall, in welchem die Tiere ruhig sind und sich problemlos untersuchen lassen, lobt er danach: «Da merke ich, wie gut sich ein Bauer um seine Tiere kümmert.»
Die Tour führt von Hof zu Hof, von der Talsohle hoch hinauf und am Ende wieder in die Praxis. Zwei Alpakas gucken neben der Praxis über den Zaun und Winzap wird den Nachmittag mit einem Informatiker verbringen. Dass er lieber zum nächsten Stall fahren würde, ist ihm anzusehen.