Im Herbst 2021 feierte Bio Suisse sein 40jähriges Bestehen. Am 1. September 1981 gründeten die Organisationen FiBL, Biofarm, Bioterra, Demeter und Progana die Vereinigung schweizerischer biologischer Landbauorganisationen VSBLO. 1997 erfolgte die Umbenennung in Bio Suisse.

Und 1993 startete Coop seine eigene Bio-Marke Naturaplan mit Bio Suisse-Produkten. Die ersten Naturaplan-Produkte waren naturbelassene Lebensmittel wie Nature-Joghurt, Eier und Bündner Bergkäse.

Seither ist Bio Suisse vom Pionier zur wichtigsten Bio-Organisation in der Schweizer Agrarpolitik und auch im Schweizer Markt gewachsen.

Nach dem Bio Suisse-Rekordjahr 2020 mit einem Marktanteil von 10,8 Prozent, 7122 Bio-Landwirtschaftsbetrieben und 1150 Knospe-Verarbeitungsbetrieben kracht es aber im Gebälk von Bio Suisse. Oder weniger drastisch formuliert: bei Bio Suisse hängt der Haussegen schief.

Bio Suisse im Clinch zwischen Ideologen und Pragmatikern

Grüner Einkaufswagen und daneben das Porträt von Jürg Vollmer.EditorialBio Suisse hat seine Unschuld verloren – Editorial von Jürg VollmerMittwoch, 21. Juni 2023 So haben 2021 über 221 Landwirte die Knospe von Bio Suisse zurückgegeben. Besonders schmerzhaft aus Sicht von Bio Suisse: Der «Ceres-Biolandwirt des Jahres 2021», Bernhard Hänni aus Noflen BE, vermarktet seine 140 Sorten Bio-Gemüse seit April 2021 ohne Knospe.

«Bio Suisse ist heute komplett vom Geld gesteuert und hat seine Grundwerte verloren», erklärte der desillusionierte Bio-Landwirt der Konsumentenzeitschrift K-Tipp im Mai 2023. «Aus wirtschaftlichen Interessen nehmen die Ausnahmen und Verwässerungen in den Richtlinien stetig zu. Das ist nicht im Sinn der Gründer und schadet  der Natur und dem Bio-Landbau.»

Das Zitat zeigt: Die Gründe für den Austritt der Bio-Landwirte aus dem Dachverband liegen sprichwörtlich Welten auseinander, von den ideologisch gefestigten Demeter-Jüngern bis zu pragmatischen Landwirten («Mit Knospe erziele ich mehr Einkommen»). Den Pragmatikern geht Bio Suisse mit seinen Richtlinien nämlich viel zu weit:

Den Ideologen ist Bio Suisse umgekehrt zu wenig konsequent:

Pflanzenschutzmittel-Einsatz sorgt für vergiftete Kommentare

Dabei setzen auch Knospe-Landwirte Pflanzenschutzmittel ein. Zum Beispiel Spinosad, das breitflächig appliziert werden muss und damit Nützlinge wie Marienkäfer schädigt, aber auch Bienen und Wasserorganismen.

Bio Suisse erlaubte den Einsatz von Spinosad «aufgrund des zunehmenden Schädlingsdrucks», was nicht nur bei den Vereins-eigenen Ideologen für giftige Kommentare sorgte, sondern auch in den Medien.

In der Werbung zelebriere Bio Suisse pure Natürlichkeit und heile Welt – erlaube aber gleichzeitig hochwirksame Insektizide, um die vom Detailhandel geforderten Mengen und die optische Qualität des konventionellen Anbaus erzielen zu können.

Bei der Einführung von 3,5% Biodiversitätsförderfläche BFF rebellierte die Basis

Ein weiteres Beispiel ist der Entscheid von Bundesrat und Parlament, dass die Direktzahlungs-berechtigten Landwirtschaftbetriebe ab 2024 auf der Ackerfläche mindestens 3,5 Prozent Biodiversitätsförderfläche BFF ausscheiden müssen (anstelle von 7% BFF auf der ÖLN).

Der Schweizer Bauernverband SBV hatte dies von Anfang an bekämpft, Bio Suisse hielt die Füsse still. Jetzt, wo es an die Umsetzung geht, rebelliert die Basis. Bio Suisse-Präsident Urs Brändli machte eine Kehrtwende und forderte an der Delegiertenversammlung im April 2023, die Anforderung von 3,5% BFF auf der Ackerfläche soll von 2024 auf 2025 verschoben werden.

Der «Sündenfall» von Bio Suisse: Exklusivität für Coop und Migros

Die ersten Jahre lebte der Verein von der Hand in den Mund – bis er sich mit Coop verbündete. Der (damals zweit-)grösste Schweizer Detailhändler lancierte 1993 mit Bio Suisse die Bio-Eigenmarke Naturaplan. Heute verkauft Coop über 3000 Naturaplan-Produkte.

Seit 2022 darf auch die Migros Bio Suisse-Produkte verkaufen. Mit ebenso «extrem hohen Margen», wie Preisüberwacher Stefan Meierhans im März 2023 kritisierte.

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So schreibt zum Beispiel auch die Konsumenten-Zeitschrift «Saldo» unter dem Titel «Der Bio-Aufpreis ist fetter als die Wurst», dass Migros und Coop ein Paar Bio Suisse-Cervelats für 3.95 Franken verkaufen. Das ist mehr als doppelt so soviel wie der Preis für konventionelle Cervelats – obwohl die Produktion nur 8 Rappen pro 100 Gramm teurer ist.

Die Discounter Aldi und Lidl würden gerne Bio Suisse-Produkte verkaufen –notabene mit tieferen Margen – sie dürfen aber nicht. Jahrelang verhandelten Aldi und Lidl mit Bio Suisse, um deren Anforderungen nach 400 Bio-Produkten im Sortiment zu erfüllen. Als es soweit war, erhöhte Bio Suisse häb-chläb auf 800 Produkte und schützte damit die Exklusivität von Coop und Migros.

Bio Suisse muss bis 2027 rund 500 neue Knospe-Betriebe finden

Wie abhängig Bio Suisse von Coop und Migros ist, zeigt die aktuelle Ackerbauoffensive mit der Suche nach 500 neuen Knospe-Betrieben. Die Detailhändler wollen bis 2027 ihr ganzes Bio-Brot mit Knospe-Mehl backen, weshalb Bio Suisse verzweifelt neue Ackerbaubetriebe sucht. In fünf Jahren sollen 15'000 Hektaren umgestellt werden, die halbe Fläche des Kantons Schaffhausen.

Das Problem ist, dass nur Knospe-Weizen gesucht ist – Schweizer Landwirtschaftsbetriebe sind aber meistens gemischte Betriebe mit Tierhaltung. Bei deren Umstellung kommen auch mehr tierische Bio-Produkte auf den Markt, der Bio-Fleischmarkt und der Bio-Milchmarkt sind aber gesättigt.

Es ist also absehbar, dass die gesuchten 15'000 Hektaren bis 2027 kaum erreichbar sind. Nicht zuletzt auch aus Zeitgründen: Wer sich entscheidet, per 2024 auf Bio umzustellen, muss sich bis 31. August 2023 anmelden.

Vom Kupfer-Wolle-Bast-Verein zum grossen und teuren Verwaltungsaparat

Die Detailhändler sitzen am längeren Hebel. Dafür liefern sie Bio Suisse 0,9 Prozent Lizenzgebühren vom Umsatz ab, den sie mit Knospe-Produkten erzielen.

  • 13,8 Mio Franken verdiente Bio Suisse 2022 mit den Lizenzgebühren von Coop (neu kommen die mindestens so hohen Lizenzgebühren der Migros dazu)
  • 1,6 Millionen Franken hat Bio Suisse 2022 an Bundessubventionen erhalten, um die Bio-Knospe in der Gastronomie und im Internet zu verbreiten.
  • 2,4 Millionen Franken wurden 2022 als Jahresbeiträge der Mitglieder kassiert.
  • Dazu kommen Einnahmen unter anderem aus Spenden und Strafgebühren von Verarbeitungsbetrieben und Importeuren.

Insgesamt erzielte Bio Suisse 2022 rund 22,6 Mio Franken Umsatz. Der Verein hat 93 MitarbeiterInnen, die gut verdienen. Der Geschäftsführer erhalte fast 200'000 Franken jährlich und die anderen Geschäftsleitungsmitglieder bis 180'000 Franken, kritisierte der«K-Tipp» im Mai 2023 unter dem Titel «Wie Bio Suisse die Preise nach oben treibt».

Im Vergleich mit den etwas höheren Gehältern der Geschäftsleitung des Schweizer Bauernverbandes SBV liegt das durchaus im Rahmen. Erst recht im Vergleich mit dem vier Mal höheren Gehalt des Fenaco-CEO. Aber die Basis – die 7341 Knospe-Betriebe – will «ihre» Bio Suisse nicht mit dem konventionellen Bauernverband oder mit dem 8-Milliarden-Agrarkonzern Fenaco vergleichen.